Foto: Marcello Di Francesco
Erkenntnisse aus Unfällen

Der Ohrstöpsel

Der Taucher war 58 Jahre alt und hatte bereits 150 Tauchgänge hinter sich. Er litt an einer Schilddrüsenunterfunktion (d. h. einem niedrigen Schilddrüsenhormonspiegel) und nahm hierfür täglich das Medikament Levothyroxin ein. Er hatte keine anderen medizinischen Probleme und sagte, er sei körperlich fit.

Die Tauchgänge

Der Taucher und seine Begleitung waren in der Karibik im Urlaub und hatten vor jeden Tag tauchen zu gehen. Es waren täglich zwei Tauchgänge am Morgen und zwei am Nachmittag geplant. Bei ihrem ersten Tauchgang war das Meer ruhig und die Strömung minimal. Nach einer Vorstellung des Tauchplatzes zur Orientierung und einem Tauchbriefing tauchten sie 35 Minuten lang mit Luft bis auf 20 Meter hinab.

Der Tauchgang war weitestgehend ohne Probleme, aber der Taucher berichtete, dass er beim Druckausgleich des rechten Ohrs ein etwas Schwierigkeiten gehabt hatte. Er erklärte aber, dass diese nicht so schlimm gewesen seien, dass sie Beschwerden verursacht oder ihn dazu veranlasst hätten, den Tauchgang abzubrechen. Als er dann aber seine Ausrüstung auszog, wurde ihm schwindelig. Aus dem Schwindel wurde bald ein ernstzunehmender Drehschwindel und er musste sich zweimal übergeben. Außerdem fiel es ihm schwer aufrecht stehen zu bleiben.

Die Bootscrew brachte den Taucher in die stabile Seitenlage und verabreichte ihm Sauerstoff in der höchstmöglichen Konzentration. Durch den Sauerstoff verbesserten sich seine Symptome jedoch kaum. Nachdem alle Taucher wieder an Bord waren, kehrte das Boot zur Anlegestelle zurück. Während der Fahrt nahm die Crew Verbindung zum Rettungsdienst auf, der dann auch an der Anlegestelle eintraf. Auf dem Weg zum Krankenhaus stellte der Taucher fest, dass der Schwindel nachließ. Als sie das Krankenhaus erreichten, konnte er schon wieder aufrecht sitzen und die Übelkeit war vergangen.

Die Beurteilung

Das Krankenhauspersonal untersuchte den Taucher sehr zügig. Es wurden ein Elektrokardiogramm (EKG) und Routine-Blutuntersuchungen gemacht, um festzustellen, ob Herz-Kreislauf-Probleme vorlagen. Der Arzt führte eine neurologische Untersuchung durch und stellte fest, dass der Taucher ganz normal und ohne Hilfe gehen konnte. Er konnte ganz einfach von der Ferse bis zu den Zehen abrollen und sein Gleichgewicht halten. Seine Koordination, Reflexe und motorischen Funktionen waren alle normal. Sein Kurzzeitgedächtnis wies keine Beeinträchtigungen auf und er beklagte sich nur darüber, dass er auf seinem rechten Ohr Geräusche nur noch dumpf hörte.

Der Arzt untersucht seine Ohren. Das linke Ohr schien normal zu sein und zeigte keine Anzeichen eines Barotraumas. Das rechte Ohr konnte der Arzt nicht untersuchen, da der Gehörgang durch Cerumen-Pfropf (Ohrenschmalz) blockiert war. Nachdem er den Propf aus dem Gehörgang herausgespült hatte, war der Arzt in der Lage, das leicht gerötete Trommelfell des Tauchers zu untersuchen. Dabei ging es dem Ohr des Tauchers schon besser. Alle Testergebnisse waren normal und der Taucher wurde entlassen und konnte zurück ins Resort. Der Arzt riet dem Taucher, am nächsten Tag vorsichtshalber noch nicht wieder zu tauchen und sagte, dass er, falls keine weiteren Probleme auftreten würden, am darauffolgenden Tag wieder tauchen könne.

Diskussion 

Es ist nicht möglich mit absoluter Sicherheit zu sagen, was bei diesem Taucher vorgefallen ist. Auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Informationen lässt sich aber mutmaßen, was passiert sein könnte. Der Körper produziert von Natur aus Ohrenschmalz, der für die Gesundheit des Ohrs wichtig ist. Manche Menschen neigen aber mehr als andere dazu viel Ohrenschmalz zu produzieren. Das hat wenig mit Hygiene zu tun und ist einfach in den Griff zu bekommen. Es ist aber auch leicht zu übersehen, dass man überschüssiges Ohrenschmalz im Ohr hat. Bis ein Problem auftritt.

Der überschüssige Ohrenschmalz verhält sich dann wie ein luftundurchlässiger Ohrstöpsel. Wenn der Wasserdruck während des Abstiegs steigt, kann sich zwischen dem „Ohrenschmalz-Stöpsel“ und dem Trommelfell eine Luftschicht bilden. Dieser Stöpsel wird dann nach innen in Richtung Trommelfell gedrückt und die Luft wird zusammengepresst. Dieses Zusammenpressen war vermutlich der Grund dafür, dass der Taucher beim Druckausgleich Probleme mit dem rechten Ohr hatte. Aufgrund der zusammengepressten Luft konnte sich das Trommelfell beim Druckausgleich im rechten Mittelohr nicht richtig bewegen.

Der Ohrenschmalz kann beim Abstieg tiefer in den Gehörgang gedrückt werden. Während des Aufstiegs wandert er wahrscheinlich nicht wieder in die ursprüngliche Position zurück (obwohl die Luft, die komprimiert wurde, sich wieder ausdehnt, wenn der Umgebungsdruck abnimmt). Dies kann dazu führen, dass es zwischen den beiden Ohren zu einer Druckdifferenz kommt, die Schwindel („alternobaric vertigo“) auslösen kann, also einen Drehschwindel, der durch den Druckunterschied in beiden Ohren verursacht wird.

Dass der Taucher zunächst keine akuten Symptome hatte, deutet darauf hin, dass die sich ausdehnende Luft durch ein Loch im Ohrenschmalz entweichen konnte. Als sich die Symptome des Tauchers schlagartig verschlechterten, war dieses Loch wahrscheinlich blockiert und die sich ausdehnende Luft löste den Schwindel aus. Während der Fahrt im Krankenwagen ließen die Symptome des Tauchers nach und als er dort ankam, berichtete er, dass die Symptome, bis auf das gedämpfte Hören, völlig verschwunden waren. Die expandierende Luft hatte wahrscheinlich ein Loch im Ohrenschmalz gefunden, über das der Druck auf den Ohren ausgeglichen werden konnte.

Zusammenfassung

So etwas kann jedem Taucher passieren. Prävention ist einfach: Spüle dir doch vor deinem Tauchurlaub vielleicht einmal deine Gehörgänge durch. Was man dafür benötigt, gibt es in jedem Drogeriemarkt. Man kann auch eine einfache Spritze dazu verwenden, die Gehörgänge mit warmem Seifenwasser auszuspülen. Wie bei allem, was deine körperliche Gesundheit angeht, solltest du aber auch das mit deinem Arzt besprechen.

Die Crew dieses Tauchbootes hat alles richtig gemacht und dafür gesorgt, dass sich der Taucher einer ärztlichen Untersuchung unterzieht. Wenn du nach einem Tauchgang irgendwelche Symptome oder Bedenken hast, dann zögere bitte nicht und nimm Kontakt zur DAN Notfall-Hotline auf.


Bevor du fährst, solltest du dich aber vergewissern, dass deine DAN Mitgliedschaft noch aktiv ist. Falls nicht, dann melde dich an oder erneuere deine Mitgliedschaft auf www.daneurope.org.


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