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Interview mit dem Freediving-Rekordhalter Andrea Zuccari

"Die Anfänge, die Rekorde und seine Forschung mit DAN: „Sicherheit muss vor Leistung kommen”

Andrea ist Rekordhalter und Wegbereiter mit einem natürlichen Talent im Freitauchen. Eines Tages entschloss er sich, sein Leben zu ändern und zog nach Sharm el Sheikh in Ägypten um dort als Tauchlehrer zu arbeiten. Dort fand er sich dann zwischen den größten Freitauchlegenden aller Zeiten wieder und erfand später eine Druckausgleichstechnik mit dem Namen „Aware Equalisation“.

 Andrea, Du wirkst wie jemand, der direkt am Wasser aufgewachsen ist. Hast Du das Meer immer schon so geliebt?

Ich wurde in Rom geboren und bin dort aufgewachsen. Bis ich 17 war, verbrachte ich alle meine Sommerferien mit meinen Eltern am Strand. Jeden Morgen fuhren wir mit einer Jolle raus und kamen erst spät am Nachmittag wieder zurück. Ich verbrachte quasi jeden Tag im Wasser und fand heraus, dass es sich für mich natürlicher anfühlte im Wasser zu sein als an Land. Meine Eltern erzählten mir, wie ich schon im Alter von nur 3 Jahren mit einer Taucherbrille unter Wasser unterwegs war.

 – Und dann hast Du mit dem Gerätetauchen begonnen

Mein Ausbilder gehörte zur „alten Schule” und ehe er mir das Gerätetauchen beibrachte, lies er mich zwei Monate lang im Pool das Freitauchen üben. Vielleicht habe ich während dieses Kurses meine Liebe zu dem Sport entdeckt. Einige Jahre später entschloss ich mich dann dazu, meinen normalen Job in Rom aufzugeben und in Ägypten Vollzeit-Tauchlehrer zu werden.

 – Und dann DAN Mitglied

Genau. Ich schloss bei DAN eine Tauchversicherung für Profis ab und nahm im Anschluss daran an verschiedenen Initiativen der DAN Foundation teil.  2014 unterzog ich mich einigen Forschungstests zum Thema Prädisposition für Lungenödeme (Diese Studie wurde international ausgezeichnet. Lies hierzu den Artikel im Alert Diver). Dann lud mich der DAN Forscher Danilo Cialoni ins Y-40 ein, also in den tiefsten Pool der Welt, wo ich ich unter Wasser auf ein PFO beim Freitauchen untersucht wurde.

 – Früher oder später kommen wir zum Thema Freitauchen

In Sharm forderte ein Freund mich zu einem Apnoetauchgang heraus und ich lies mich darauf ein. Wir erreichten eine Tiefe von 30 Metern. Jedes Mal, wenn ich dann im darauf folgenden Monat einen Tag frei hatte, fuhr ich zum Ras Umm Sid (einem tiefen Korallenriff, das von Land aus erreichbar ist) und schon am vierten Trainingstag erreichte ich eine Tiefe von 50 Metern. Da wurde mir klar, dass es Zeit wurde, einen Kurs zu belegen. Ich tauchte regelmäßig in die Tiefe ab, ohne jedoch irgendeine Vorstellung davon zu haben, was das eigentlich bedeutete. Heute ist mir klar, welches Risiko ich eigentlich bei diesen ersten Tauchgängen eingegangen bin!

 – Sharm el Sheikh ist ein wichtiger Teil Deines Lebens… auch Deiner Rekorde?

Ich würde sagen, es hat schon eine sehr große Rolle gespielt. In Sharm gab es eine Zweigstelle der Apnea Academy Red Sea, der Ausbildungsorganisation, die von Umberto Pelizzari gegründet wurde. Dort lernte ich meinen Ausbilder Riccardo Mura kennen, der später auch mein Coach wurde. Da ich in Sharm wohnte, konnte ich jederzeit und wann immer ich wollte, trainieren.  Schon 10 Monate nachdem ich meinen Freediving Kurs belegt hatte, nahm ich an der Weltmeisterschaft teil und belegte mit 51 Metern in der Kategorie "Constant Weight Without Fins" den 7. Platz.

 – Momente der Angst?

Ich war schon immer sehr auf Wettbewerb aus und daher konnte ich auch recht schnell in große Tiefen vordringen. Allerdings auch nicht ohne Pannen. Damals bedeutete das Freitauchen für mich, dass ich in der Lage war, oben anzukommen. Dann sagte ich mir „Ich lebe noch? Ja. Prima, dann kann ich ja jetzt sogar noch tiefer tauchen!“ Oft musste ich nach einem tiefen Tauchgang Blut husten (Hämoptysis), Blut spucken oder ich verlor sogar das Bewusstsein. Aber Angst? Nein, die hatte ich nie.

 – Erzähl mir von einem besonders beeindruckenden „Wow“-Moment

Als ich ins Freitauchen einstieg, lud ich mir alle Filme und Dokumentationen herunter, die ich finden konnte. In vielen davon kam Umberto Pelizzari vor. Als ich mir diese Videos ansah, träumte ich davon, einen seiner Rekorde zu brechen. Und 2013 kam es dann tatsächlich dazu.  Ich hatte gerade erst das Freediving World Apnea Center eröffnet und tauchte im Januar desselben Jahres auf eine Tiefe von -155m. Damit stellte ich den neuen italienischen Rekord im No-Limits auf und brach Umbertos 10-jährigen Rekord. Beim No-Limits fährst Du mit Hilfe eines mit Gewichten versehenen Schlittens hinunter und tauchst mit einem Ballon wieder an die Oberfläche. Bei dieser Disziplin kommst Du am tiefsten. Sie heißt No Limits, weil es keine Grenzen beim Gewicht gibt, das am Schlitten befestigt wird, keine Grenzen für die Geschwindigkeit, mit der ab- oder aufgetaucht wird und auch keine Spezifikationen für das Design des Schlittens selbst. Im Juli 2015 stellte ich einen neuen italienischen Rekord auf, indem ich auf -175m tauchte und wurde nach Herbert Nitsch Zweiter der Weltrangliste.

 – Für Tauch- und Freitauchausbilder hat Tauchsicherheit etwas mit Stolz zu tun bzw. ist Ehrensache. Welche Bedeutung hat Tauchsicherheit für Andrea Zuccari?

Ich gebe zu, dass ich am Anfang sehr viel Glück hatte. Heute habe ich mehr Respekt vor dem Meer und seiner Tiefe. Ich bemühe mich, bewusster mit den Dingen umzugehen, Protokolle zu erstellen und mit langfristig orientierten Trainingsprogrammen zu arbeiten. Dadurch habe ich nun erheblich weniger Probleme mit der Druckanpassung. Als ich diesen Sommer dafür trainierte, den Rekord im Constant Weight (der aktuelle Rekord liegt bei -104m) zu brechen, erreichte ich mehrmals die -105m. Ich entschied mich aber gegen einen Versuch, den Rekord offiziell zu brechen. Mir war klar, dass ich meine Grenze erreicht hatte und ich wollte den Rekord nicht um jeden Preis brechen. Ich entschloss mich, noch ein Jahr mit dem Tauchgang zu warten, um mir dann sicher sein zu können, dass ich meine gewünschten Ergebnisse auch erreichen würde. Tauchsicherheit ist für mich eine grundlegende Angelegenheit, sie ist noch wichtiger als die Leistung selbst.

 – Wie sieht ein typischer Tag im Leben eines Tieftauchers, eines Rekordhalters, aus?

Wenn ich mich auf einen Rekord vorbereite, dann beginnt mein Tag um 6 Uhr, ich bin um 7:15 Uhr zum Training im Wasser, frühstücke um 8:30 Uhr und beginne dann meine Arbeit im Tauchcenter um 9 Uhr. Normalerweise bleibe ich morgens „trocken“ und gebe theoretischen Unterricht und gehe dann nachmittags mit Schülern oder anderen Athleten wieder ins Wasser.

 – Welchen Beitrag hast Du bislang zum Freitauchen geleistet?

Als ich meinen ersten Kurs im Gerätetauchen machte, wusste ich noch nicht einmal was Druckausgleich bedeutet. Es war etwas, das ich einfach instinktiv machte. Als ich dann Ausbilder wurde, war es etwas, das ich anderen beibringen musste und so begann ich, mehr darüber zu lernen, mein Wissen zu erweitern und später eine Technik zu entwickeln, die ich dann Aware Equalisation nannte. Heute unterrichte ich das Thema Druckausgleich an der Apnea Academy und biete in ganz Europa Workshops zu diesem Thema an.

 – Dein nächster Schritt?

Der Weltrekord im Variable Weight, d.h. im Variablen Gewicht (man taucht mit Hilfe eines beschwerten Schlittens auf eine maximale Tiefe hinab und taucht dann aus eigener Kraft mit Hilfe von Flossen oder durch das Hochziehen an einem Seil wieder auf). Der aktuelle Rekord liegt bei -145m. Meinen persönlichen Rekord in dieser Disziplin habe ich 2013 mit -135m aufgestellt.

 – Aber der wahre Traum von Andrea Zuccari ist der Weltrekord im No Limits, richtig?

Der aktuelle Rekord liegt bei -214m und ich habe mir selbst versprochen, das Brechen dieses Rekords nur in Angriff zu nehmen, wenn ich dabei von einem gut ausgerüsteten und gut ausgebildeten medizinischen Team begleitet werde. Für einen Tauchgang dieser Art braucht man diverse medizinische Fachleute: einen Kardiologen, einen Neurologen, einen Lungenspezialisten. Und das nicht nur am Tag des Rekordversuchs, sondern schon während der letzten Vorbereitungsmonate. Auf medizinisch-wissenschaftlicher Ebene ist noch immer wenig über die physiologischen Reaktionen in solchen Tiefen bekannt. Daher würde ich mich bei einem Tauchversuch dieser Größenordnung nur mit der Unterstützung einer erfahrenen Organisation sicher fühlen. Ich würde hierfür nicht mein Leben aufs Spiel setzen.

 – Dein Lieblingstauchplatz?

Shark & Yolanda Reef im Sommer. Das heißt, wenn ich sehr früh dort sein kann. Denn ab 9 Uhr kommen die ersten Boote mit Gerätetauchern an und das kann für Freitaucher gefährlich werden.  Ich tauche an diesem Tauchplatz schon seit Jahren und bin immer wieder von den Farben der Korallen beeindruckt, von den 780 Metern Tiefe der Steilwand am Shark und der Unmengen an Fischen, die sich dort von Mai bis September aufhalten.


Andrea Zuccari – Die Statistik

  • Sternzeichen: Skorpion
  • Alter: 41
  • Geboren in Rom, Sohn eines Italieners und einer Schweizerin. Lebt in Sharm el Sheikh, Ägypten.
  • Lieblingstauchplatz: Shark Reef, Ras Mohammed, Rotes Meer
  • Ausbilder der Apnea Academy International seit 2008
  • DAN Mitglied seit 2005

 

Rekorde

  • 2006 – 2011 10 Schweizer Nationalrekord
  • 2011 Weltrekord No-Limits im Tandem / -125m mit der deutschen Taucherin Anna von Boetticher
  • 2013 World Record No-Limits in Tandem / -126m mit dem griechischen Taucher Stavros Kastrinakis
  • 2014 Italienischer Rekord im No Limits, -175m


Über den Autor

Claudio Di Manao ist PADI und IANTD Tauchausbilder und seit 1997 DAN Mitglied. Er ist Autor verschiedener Bücher und Romane über das Tauchen, u.a. Shamandura Generation, einem aufregenden Portrait der Tauch-Community in Sharm el Sheik. Er arbeitet für Magazine, Radiosender und Zeitungen und spricht bzw. schreibt über Tauchsicherheit, Meereslebewesen und Reisen.


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