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Staatsquallen-Alarm im Mittelmeer

Die „Portugiesische Geleere“, wie diese Staatsqualle im Atlantik heißt, hat nicht nur mit Physalia physalis einen wohlklingenden lateinischen Namen, sondern ist auch ein ausgesprochen schönes Gebilde. Ein geniales Produkt der Evolution. Es ist keine eigentliche Qualle, sondern ein Zusammenschluss vieler einzelner Polypen (deswegen: „Staatsqualle“). Jeder Einzelpolyp  hat seine individuelle Spezialisierung entwickelt, Navigation, Verdauung, und, na klar, Spezialgerät wie zum Beispiel für Angriff und Verteidigung durch Nesselungen. Das Gesamtkunstwerk der Natur funktioniert nur aber als Kolonie. Die einzelnen Polypen sind selbst nicht mehr existenzfähig. Die Kolonie hat Auftriebskörper (Pneumatophoren) und eine Art aufgeblasenes Segel. Das schillert herrlich blauviolett, fast so rein wie ein Bergkristall und stellt das segeln an der Wasseroberfläche sicher. Die stattliche Staatsqualle zieht Nessel-Fangfäden von bis zu mehr als 10 Meter Länge mit sich. Kleinere Exemplare mit zum Beispiel 10 cm „Segelfläche“ haben immer noch bis zu 2 Meter Tentakel. Auch diese sind die Summe von spezialisierten Einzel-Polypen.

Jetzt aber genug des Lobes, denn wen diese Fangfäden erwischen, der weiß danach, wie vergleichsweise mickrig Nord- und Ostsee-Feuerquallen nesseln. Der Schmerz, den die Staatsqualle auslöst, ist der „perfekte Schmerz“. Das muss so sein, aus Sicht der Portugiesische Geleere, denn der Fang muss sitzen, wenn die Kolonie Nahrung einheimsen will.

Mallorca – Wirklich ein neuer „Angriff"?

Der Alarm im Mittelmeer ist zwar berechtigt, bezieht sich aber sicher nicht auf die Globalerwärmung, denn ich selbst konnte 1975 als genervter zukünftiger Abiturient mit naturwissenschaftlichem Leistungskurs zu meiner Begeisterung an der Nordseeküste der Ostfriesischen Inseln mehrere gestrandete Exemplare bewundern und begutachten. Wie konnte das sein? In der Tat strandeten 1975 ganze Schwärme der Atlantik-Geleeren vor den niederländischen West- und den deutschen Ostfriesischen Inseln. Die Portugiesische Galeere mag es nicht heiß, deswegen sucht sie vielleicht gelegentlich Abkühlung. Aber auch das Mittelmeer befindet sich nicht im Stadium eines Erstangriffs. Auch vor knapp 10 Jahren gab es auf Mallorca schon eine „Angriffswelle“. Wer dort heute weiß, was die Galeeren anrichten können, hat das damals miterlebt.

Diese Staatsqualle verhält sich, könnte man sagen, wie ein angriffslustiger „qualliger“ Staat und erweitert ihr Territorium nach eigenem Ermessen, würde ich mal vermuten wollen, je nachdem, wie ihre einzelnen Teile das Gesamte steuern, oder, banaler, das Gesamte wird aufgrund des Segels von Wind und Wetter eher zufällig verdriftet. Ich denke aber, dass es der Gesamtstaat ist, der das Ganze lenkt.

Nesselung durch die Portugiesische Galeere

Das Venom, so bezeichnet man das Gift, das sich innerhalb von Zehntausendstel Sekunden aus einem genial konstruierten Abschussapparat per Pfeilschuss entleert, ist für kleine marine Lebewesen hoch toxisch und sekündlich tödlich. Der Sinn ist die Nahrungsaufnahme der Staatsqualle durch einen gewissen Overkill. Der Quallenstaat besitzt wenig Verfolgungskompetenz. Es muss daher alles sehr schnell gehen und damit maximal effektiv sein.

Wird ein Mensch genesselt wird, dann steht zunächst der unsagbare Schmerz im Vordergrund, der Folge des hochgiftigen Neurotoxins ist, welches das Venom ausmacht. Es soll andere marine Organismen sofort lähmen. Der Mensch ist zu groß, auch wenn er körperlich klein ist wie ein Kind, und er überlebt die Attacke in annähernd jedem Fall. Seltene Todesfälle sind sekundärer Art, wie Herzinfarkt durch Stress oder schwere allergische Kreuzreaktionen gegen das Venom. Die einzige für den Menschen primär  lebensgefährliche Qualle ist die Würfelqualle des Pazifiks (Chinorex fleckeri), deren um Potenzen wirksameres Gift, mutmaßlich eines der stärksten in der Natur, auch Erwachsene töten kann.

Nach der schmerzhaften Galeeren-Nesselung entwickeln sich dann schwere lokale Hautschäden dort, wo die Nessellungen stattgefunden haben, also zuvor der superstarke Schmerz einschlug. Sie benötigen dann unbedingt.

Erstmaßnahmen nach Nesselung

Es ist klar, dass von diesem Artikel eindeutige Hinweise zu den korrekten Erstmaßnahmen erwartet werden. Das ist nicht ganz einfach, denn solange ich im tauchmedizinischen Geschäft bin, also bald 4 Jahrzehnte, werden teils abenteuerliche Ideen veröffentlicht, die häufig wiederholt werden und nicht abgesichert sind. Nur eine kleine Auswahl: Backpulver, Rasierkreme, Süßwasserspülung, Urinspülung, Alkohol …. Dies alles soll den Venom-Angriff der Galeere neutralisieren.

Sicherlich haben Sie immer Backpulver und Rasierschaum im Tauchgepäck. Klar. Wenn nicht, haben Sie mindestens Urin, Süsswasser oder gar Alkohol dabei. Nur, es nützt Ihnen nichts. Denn es wirkt nicht. Und macht alles nur noch schlimmer.


Fragen wir also mal die Wissenschaft

Und die hat seit 2017 experimentell abgesicherte Antworten (Toxins 2017, 9, 149; toi:10.3390/toxins9050149).

Wenn die Portugiesische Galeere zuschlägt und es uns sehr weh tut, dann schlägt sie noch verhalten zu, indem sie nur ca. 1% ihrer Kampfkraft einsetzt. Heißt also, die Masse der Abschussapparate bleibt inaktiv. Wenn es also schon bei 1% so massiv schmerzt und hässliche Hautverletzungen hervorruft, was wären dann, wenn sich die gesamte Armada aufbäumte? Eine Katastrophe. Bei der Ersten Hilfe kommt es also darauf an, 99% der Feuerkraft der Portugiesische Galeere ruhig zu halten. Wie die Wissenschaftler aus Hawaii ermittelten, veranlassen die „Hausmittel“ Backpulver, Rasierschaum, Urin, Süßwasser und  Alkohol die Galeere nur dazu, auf ihre restlichen 99% Abschusspotenz zurückzugreifen und zwar auch dann, denn die Tentakel bereits vor längerer Zeit (Tage!)  abgerissen sind – es sind ja eigene Organismen.

Der Venomausstoß der Portugiesischen Galeere wird sicher ausschließlich durch herkömmlichen unverdünnten Haushaltsessig verhindert. Den sollte man dann wirklich mitführen, wenn man sich in Gebieten der Portugiesische Galeere aufhält. Es werden aber mindestens  5% Essigsäure benötigt, nichts Verdünntes. Wenn kein reiner Essig zur Verfügung steht, ist Salzwasser das nächst beste Mittel zum Abspülen der Nesselkapseln. Es steht ja überall zur Verfügung, weil die Nesselung, wenn sie eintritt, logischerweise immer Salzwasser-assoziiert ist. Sandeinreibung und Abschaben der Nesselkapseln mit einem Messerrücken sind dagegen mutmaßlich eher im 99% Bereich der Auslösung weiterer Nesselung anzusiedeln.

Minimierung des persönlichen Risikos

Ganz einfach: Mit „Vollschutz“ im Neopren.

Dort wo es einen bekannten Alarm gibt, dass Portugiesische Galeeren gesichtet worden sind, sollten Taucher grundsätzlich mit komplettem Tauch- oder Schwimmanzug, Kopfhaube und Handschuhen tauchen. Helfer an Oberdeck sollten mindestens Handschuhe tragen, denn allein das Anfassen von Tentakelresten bedingt den gleichen Angriff mit eben den Risiken, wie ein frischer Kontakt mit der Staatsqualle.

Sichtet man selbst die durch ihr Segel meist gut erkennbare Portugiesische Galeere, heißt es großen Abstand zu halten und ggf. andere Personen in der Nähe entsprechend zu warnen. Insbesondere badende Kinder sind wegen ihrer geringen Körpermasse stärker gefährdet als Erwachsene.

Ein Fläschchen Haushaltsessig ist die beste Sofortbehandlung „am Nesselungsort“. Es macht jeden Sinn, ihn in Risikogebieten stets zur Hand zu haben. Ansonsten die Tentakel / Nesselkapseln mit salzigem Seewasser abspülen, aber nicht abreiben. Es waren nur die wenigsten Nesselkapseln aktiv, wenn es stark brennt und schmerzt. Sämtliche andere Maßnahmen sind geeignet das Ereignis durch Aktivierung der noch ruhenden Nesselkapseln deutlich zu verschlimmern.

Und nochmals trotz allem Leid im Kontaktfall: Ruhe bewahren, der Kontakt mit der Portugiesischen Galeere ist sehr unschön, aber niemals primär tödlich.


Zum Schutz vor Verletzungen von gefährlichen Meereslebewesen, muss man die Ursache der Verletzung erkennen können und Erste Hilfe leisten. Besuche unseren HMLI-Kurs.


Über den Autor:

Dr. Ulrich van Laak ist Mitgründer von DAN Europe und seit bald 30 Jahren medizinischer Direktor für Deutschland, Österreich und Ungarn. Er ist tauch- und hyperbarmedizinischer Consultant und früherer Präsident der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin. Als Flottenarzt der Deutschen Marine ist er ausgebildeter Fachmann für Maritime Medizin, Tauch- und Überdruckmedizin und Ubootmedizin. Derzeit führt er die Abteilung Maritime Medizin im Schifffahrtmedizinischen Institut der Marine in Kronshagen bei Kiel. Neben dem besonderen Interesse für die Tauchmedizin liegen seine fachlichen Schwerpunkte auf den Gebieten der Ubootsicherheit und Ubootrettung, der Pathophysiologie des Menschen im und unter Wasser, Ausrüstung und Prozeduren der Wasserrettung, Überleben auf See und Telemedizin für die Flotte.

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