Missverständnisse beseitigt

Als Taucher wissen wir alle, dass unser geliebter Sport ein kleines aber reelles Risiko birgt, nämlich Druckverletzungen wie die Dekompressionserkrankung (DCI).
In der Tauchcommunity herrschen einige hartnäckige Missverständnisse über die Behandlung in einer Überdruckkammer. Hier einige Beispiele:

  • Ein Taucher mit möglichen DCS-Symptomen wird zur Untersuchung und Behandlung an die örtliche Überdruckeinrichtung überstellt. Er hat dem DANMediziner schon vorher mitgeteilt, dass die Einrichtung, an die er überwiesen wurde, ihn nicht behandeln kann, weil die Kammer „nur bis auf 18 Meter geht“.
  • Der Rettungsdienst befördert einen möglicherweise verletzen Taucher und bittet DAN um die Bereitstellung einer alternativen Druckkammer, da laut Taucher die nächstgelegene Einrichtung „nur auf 18 Meter geht“.
  • Eine Militäreinrichtung auf einer einsam gelegenen Pazifikinsel konnte nicht länger nicht-militärische Taucher behandeln. Örtliche Taucher wandten sich ratsuchend an DAN. Sie waren besorgt, weil die einzige andere Kammer auf der Insel „nur auf 18 Meter gehen“ konnte.

Bei allen diesen falschen Vorstellungen war der DAN-Mediziner in der Lage, die Ängste der Taucher schnell zu zerstreuen. Aber woher rührten diese Missverständnisse?
* Die DCS-Häufigkeit innerhalb des Non-Stop-Limits der U.S. Navy liegt bei 1-8,4 DCS-Fällen/10.000 Tauchgänge. Aus: Vann RD. „Mechanisms and risks of decompression,“ Bove AA, ed. Bove and Davis‘ Diving Medicine, 4. Auflage (Philadelphia: Saunders; 2004:127-164.)

Behandlung bedeutet mehr als nur Druck Effektive Behandlung in einer Überdruckkammer besteht aus mehr als nur der Druckfunktion. Der hohe Partialdruck von Sauerstoff ist wahrscheinlich genauso wichtig. Um besser zu verstehen, dass eine Kammer, „die nur auf 18 Meter geht“, ebenso für eine Behandlung geeignet ist, müssen wir zuerst einen kurzen Blick auf die Geschichte der Druckkammerbehandlung werfen. Die Behandlung von Störungen, die durch Stickstoffbläschen verursacht werden,begann im 19. Jahrhundert bei den Caisson-Arbeitern. Diese waren in Unterwasserkammern beim Bau von Brücken und anderen Unterwasserkonstruktionen beschäftigt. Sie konnten in der Tiefe arbeiten und mittels der gerade (1837) erfundenen Luftdruckpumpe atmen. Aber bald bemerkten sie, dass sie mit zunehmender Länge und Tiefe an „Rheumatismus oder Erkältung“ litten. Fast vier Jahrzehnte vergingen, bis dieses Phänomen als  ekompressionskrankheit identifiziert wurde. Die Behandlung, die schließlich entwickelt wurde, bestand darin, die Caisson-Arbeiter auf die Druckverhältnisse zurück zu bringen, auf denen sie gearbeitet hatten, bis sich ihre Symptome linderten. Dann konnten  sie langsam an die Oberfläche aufsteigen.
Dieses Verfahren behielt man Anfang des 20. Jahrhunderts bei. Während der Behandlung wurde Luft geatmet. Ähnliche Verfahren wurden anfangs auch für die Behandlung der Dekompressionskrankheit bei Tauchern angewandt. Dank der Bemühungen der Royal Navy, des britischen Physiologen J.S. Haldane und der U.S. Navy wurden schließlich festgelegte Behandlungstiefen eingeführt. Da Luft das einzige weitläufig erhältliche Atemgas war, wurden schwere Fälle oft auf größeren Tiefen behandelt, besonders wenn das behandelnde medizinische Personal keine unmittelbare Verbesserung feststellen konnte. Deshalb sah man es als erforderlich an, dass eine Druckkammer eine Behandlung bis zu einer Maximaltiefe von 50 Metern ermöglichte.
In den späten 1930er Jahren versuchten Dr. Albert Behnke und seine Kollegen, eine Sauerstofftherapie in die Behandlung zu integrieren, um die Behandlungsdauer zu verkürzen. Obwohl diese Idee physiologisch nachvollziehbar war, stieß sie doch auf Widerstand.
In den 1960ern entwickelten die Forscher Dr. Michael W. Goodman und Dr. Robert D. Workman Sauerstoffbehandlungstabellen, die schließlich zu den U.S. Navy Behandlungstabellen 5 und 6 wurden. Seit sie 1965 übernommen wurden, haben diese Tabellen beständig zu guten Ergebnissen geführt. Tabelle 6 ist die am häufigsten für Tauchverletzungen angewandte Behandlung (Siehe Abbildung 1). Mehrere Jahre empfahl das U.S. Navy Diving Manual die anfängliche Behandlung von DCS und AGE auf 18 Metern, ließ jedoch 50 Meter als Option offen für Fälle, in denen sich der Zustand des Tauchers bei der Behandlung auf 18 Metern nicht verbessert oder verschlechtert. Solche Fälle waren jedoch äußerst selten.

Ein Grund für die nachweisliche Wirksamkeit der Behandlung anhand Tabelle 5 und 6 ist der Unterschied zwischen dem Partialdruck von Stickstoff im Gewebe und den Alveolen der Lunge(1) und dem arteriellen Blut. Dieser Druckunterschied, gewöhnlich in Millimeter- Quecksilbersäule (mm Hg) gemessen, repräsentiert die Triebkraft, mit welcher der Stickstoff aus den Blasen diffundiert.
Abbildung 2  zeigt, dass wenn bei einem Taucher Stickstoffbläschen vorliegen, der Unterschied des Stickstoffpartialdrucks zwischen Bläschen und Gewebe an der Oberfläche bei 142 mm Hg liegt (oben links). Das Diagramm unten rechts zeigt, dass auf 2,8 ATA (60 fsw, 18 msw) bei Atmung von 100-prozentigem Sauerstoff der Partialdruckunterschied auf 2.086 mm Hg ansteigt. Je höher der Druckgradient, desto schneller diffundiert der Stickstoff aus den Bläschen in das umliegende Gewebe. Das gleiche Prinzip ist auch ein Grund für die Wirksamkeit von Sauerstoffverabreichung an der Oberfläche. Das Diagramm oben rechts repräsentiert einen Taucher, der auf 2,8 ATA (60 fsw/18 msw) ohne zusätzlichen Sauerstoff (Stickstoffpartialdruckunterschied 482 mm Hg) behandelt wird. Das Diagramm unten links zeigt den Partialdruckunterschied mit Oberflächensauerstoff alleine (Stickstoffpartialdruck 718 mm Hg).

Oberflächensauerstoff alleine führt zu einer höheren Partialdruckdifferenz beim Stickstoff als der Druck auf 60 fsw mit der Atmung von Luft. Mit der Verwendung von Sauerstoff kann die große Mehrzahl von  Dekompressionskrankheitsfällen auf einem Druck von 18 Metern behandelt werden. Das U.S. Navy Diving Manual empfiehlt die Erstbehandlung aller Fälle nach Tabelle 6 (siehe Abbildung 3). Die Wirksamkeit der 18-m-Tabelle ist so hoch, dass selbst bei schweren Fällen im Allgemeinen ein positives Ergebnis erzielt werden kann.
Eine an der Überdruckkammer der University of Southern California in Catalina entwickelte Behandlungstabelle stellt eine Abwandlung der U.S. Navy Behandlungstabelle 6 dar, mit bis zu acht Sauerstoffdurchgängen auf 18 Metern. Diese Tabelle wurde mit Erfolg bei der Behandlung von Tauchern mit schweren Symptomen eingesetzt (siehe Abbildung 4).
Andere Behandlungstabellen wurden speziell für Ein- Personen-Druckkammern ohne Luftpausen angefertigt. Diese scheinen in den meisten Fällen wirksam zu sein. In einer professionellen Abhandlung beschreibt DAN Senior Medical Consultant Dr. Richard E. Moon, dass „die Erfahrung bei der Behandlung der Dekompressionskrankheit in der Praxis gezeigt hat, dass es selten nötig ist, den Taucher auf einem Druck tiefer als 2,8 ATA (60 fsw/18 msw) zu behandeln . . .“ (2) Wenn man einen möglicherweise verletzten Taucher behandelt, hat die Versorgung mit Sauerstoff (falls verfügbar) und der Transport in die nächstgelegene Notaufnahme oberste Priorität. DAN muss so schnell wie möglich kontaktiert werden: Wir können koordinieren, welche Kammer gerade zur Verfügung steht, um den Patienten aufzunehmen. Nur Kammern, die Taucher nach der U.S. Navy Tabelle 6 (oder gleichwertig) behandeln und für die Untersuchung und Behandlung von Tauchern ausgebildetes Personal aufweisen, kommen hierbei in Betracht. Behandlungen auf größeren Tiefen führen selten zu besseren Ergebnissen. Deshalb sollte nicht nur aufgrund der angebotenen Tiefe entschieden werden, an welche Druckkammer ein Taucher überführt wird.

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