Dekompressionserkrankung bei einem Vegetarier

(Anm. d. Red.: Der folgende Text ist eine gekürzte Version des Artikels Dekompressionserkrankung bei einem Vegetarier. Besteht ein Risiko für vegetarische Taucher? Ein Fallbericht veröffentlicht in „Caisson“, 26. Jg./2011/Nr. 2, S. 24-27)

Ein 36-jähriger Tauchlehrer machte einen 60-minütigen Tauchgang auf 18 Metern und einen zweiten 52-minütigen Tauchgang auf eine Maximaltiefe von 21 Metern. Die Oberflächenpause betrug zwei Stunden. Sein Tauchcomputer gab einen Dekostopp von acht Minuten auf drei Metern Tiefe vor, den er einhielt.

Etwa 45 Minuten nach dem Tauchgang klagte er über ein Kribbeln in seinen Füßen und seiner linken Hand, Schwäche in seinen Beinen, Schmerzen im Ellbogen des linken Arms und Müdigkeit. Auf dem Transfer in die Überdruckkammer atmete er 100-prozentigen Sauerstoff und trank 500 ml Wasser, um seinen Körper mit Flüssigkeit zu versorgen.

Bei seiner Ankunft in der Überdruckkammer sechs Stunden später war er voll orientiert, konnte normal sprechen, zeigte eine normale Pupillenreaktion und die Herz-Lungen-Untersuchung war unauffällig. Die neurologische Untersuchung ergab keine Schädigung der Hirnnerven, aber verringerte Reflexe in beiden Armen, keine Reflexe in seinen Beinen, normale Stärke in Armen und Beinen sowie anomale sensorische Aspekte für Vibration und Eigenwahrnehmung in den Beinen. Die Koordinationsfähigkeit war normal.

Der Patient wurde nach USN Behandlungstabelle 6 und vier täglichen HbO2-Einheiten (2,4 bar, 90 min) behandelt. Seine Symptome besserten sich während der Behandlung in der Druckkammer allmählich, aber zwischen den Behandlungspausen erschienen seine sensorischen Symptome und die Schwäche in seinen Beinen erneut. An Tag vier seiner Behandlung erfuhren wir, dass er sich vegetarisch ernährte, also führten wir zusätzliche Bluttests durch, die Wertabweichungen ergaben, die auf eine makrozytäre Anämie schließen ließen. Die Vitamin-B12-Konzentration lag bei 100 nmol/l (normaler Bereich 165-835), Folsäure bei 10,9 nmol (9,2-38), die Eisensättigung bei 7% (25-50), Serumeisen bei 4 μmol/l (12-30) und Ferritin bei 108 μg/l (50-300). Der Schilling-Test, der durchgeführt wurde, um eine Malabsorption auszuschließen, war negativ.

Wir verabreichten fünf Tage lang 1000 μg Cyanocobalamin intramuskulär, dann einen Monat lang einmal wöchentlich und drei Monate lang einmal monatlich. Der Patient hatte sich innerhalb von vier Wochen vollständig erholt. Ihm wurde die täglich Einnahme von Multivitamintabletten verschrieben, die Vitamin B12 enthielten. Aufgrund seiner Arbeit als Sport-/Tauchlehrer untersuchten wir ihn auch mittels TEE (transösophageale Echokardiographie) auf ein PFO (persistierendes Foramen ovale), es konnte jedoch kein Shunt festgestellt werden. Seine Blutwerte normalisierten sich nach vier Monaten und nach sechs Monaten begann er wieder mit dem Tauchen.

Diskussion

Nach Durchsicht der Medizinliteratur sind wir der Ansicht, dass dies der erste veröffentlichte Fall eines Tauchers mit vegetarischer Ernährung ist, bei dem ein Vitamin B12-Mangel zusammen mit einer DCS auftritt.

Vitamin B12 (Cyanocobalamin) ist in Fleisch, Fisch und den meisten tierischen Nebenprodukten reichlich enthalten. Aber auch strenge Vegetarier entwickeln nur selten einen klinisch relevanten Mangel, da nur 2.0-5.0 mcg (microgram) 125 mg Vitamin B12 am Tag benötigt werden und diese Menge durch Hülsenfrüchte zu sich genommen werden kann. Die häufigste Ursache für einen B12-Mangel ist eine Malabsorption aufgrund einer gestörten Intrinsic-Faktor-Produktion.

Ein Vitamin B12-Mangel hat Auswirkungen auf das Rückenmark, das Gehirn, die Sehnerven und die peripheren Nerven. Die Symptome setzen schrittweise ein, beginnend mit allgemeiner Schwäche und Parästhesien (Prickeln, Kribbeln etc.). Bei weiterem Fortschreiten der Krankheit wird der Gang unsicher und die Extremitäten (hauptsächlich die Beine) werden steif und schwach. Anfangs liegen womöglich noch keine objektiven Anzeichen vor, später zeigt sich bei Untersuchungen jedoch eine Störung des Hinterstrangs und Seitenstrangs des Rückenmarks. Der Verlust des Vibrationssinns ist das beständigste Anzeichen; es macht sich gewöhnlich in den Beinen und am Rumpf bemerkbar. Der Positionssinn ist gewöhnlich ebenfalls beeinträchtigt. An den Beinen können sich Kraftverlust, Veränderungen der Sehnenreflexe und ein Klonus zeigen.

Bei Tauchern beginnt eine DCS des Rückenmarks gewöhnlich akut und innerhalb von einigen Stunden nach dem Auftauchen mit Taubheit und Schwäche in den Beinen und später auch mit sensorischen und motorischen Defiziten: diese Symptome lassen auf eine Beteiligung des Rückenmarks, hauptsächlich des Hinter- und Seitenstrangs, schließen. In histopathologischen Studien zeigten sowohl eine DCS als auch ein Vitamin B12-Mangel schwammartige Veränderungen und Herde von Myelin- und Axon-Destruktion in der weißen Substanz des Rückenmarks. Am stärksten betroffen waren die Hinterstränge im Brust- und Halswirbelbereich, aber auch bei den Seitensträngen kam es zu Veränderungen. Die pathologischen Befunde des peripheren Nervensystems umfassten Axondegeneration und signifikante Demyelinisierung. Bei einer akuten DCS verursachen Blasen eine Obstruktion der Gefäße im Arterien- und Venensystem. Zudem kann es zu einer Freisetzung der Gasblasen in der weißen Substanz des Rückenmarks mit Spongiose, Axonschwellung und Myelinabbau kommen.

Affen, denen über längere Zeit Vitamin B12-arme Nahrung verabreicht wurde, zeigen neuropathologische Veränderungen, die sich nicht von denen bei Menschen unterscheiden. Die Dauer entspricht etwa der Zeit, die für den Abbau der Vitamin B12- Speicher bei Patienten mit perniziöser Anämie benötigt wird. Bei diesem Taucher konnte eine perniziöse Anämie mit dem Schilling-Test ausgeschlossen werden.

Das erstrangige Ziel bei der Behandlung eines B12-Mangels ist, den Körperspeicher wieder aufzufüllen und einen Rückfall so lange wie möglich zu verhindern. Es wird empfohlen, zu Beginn der Behandlung 12 Dosen à 1 mg Vitamin B12 wöchentlich zu verabreichen, gefolgt von einer Gabe von 1 mg Vitamin B12 alle 3 Monate. Alle neurologischen Symptome und Zeichen bessern sich meist in den ersten drei bis sechs Behandlungsmonaten und dann langsam über das kommende Jahr oder sogar länger.

Wir kamen zu dem Schluss, dass der Taucher in diesem Fall an einer DCS litt, da die Symptome direkt nach einem riskanten Dekompressionstauchgang akut einsetzten. Er war einem größeren Risiko ausgesetzt, da sein Rückenmark aufgrund des lang anhaltenden Vitamin B12-Mangels angreifbarer war. Wir vermuten zudem, dass einige der Symptome, die nach der Behandlung auftraten, Manifestationen eines B12-Mangels darstellten, die durch die DCS verstärkt wurden. Wir glauben jedoch nicht, dass Vegetarier im Allgemeinen einem größeren DCS-Risiko unterliegen. Sie sollten jedoch ihre Nährstoffversorgung, besonders in Bezug auf Vitamin B12, im Auge behalten.

Kontakt

Robert A van Hulst, MD, PhD, Diving
Medical Center, Royal Netherlands
Navy, PO Box10.000, 1780 CA Den
Helder, The Netherlands –
Email: [email protected]

Win van der Kamp, MD, PhD, Department
of Neurology, Medical Center
Leeuwarden, PO Box 888, 8901 BR
Leeuwarden, The Netherlands

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