Neurologische Störung

Der Taucher
Der Taucher ist Advanced Open Water Diver und zusätzlich im Tauchen mit sauerstoffangereicherten Atemgasgemischen [Nitrox] ausgebildet. Er ist 35 Jahre alt, in allgemein gutem gesundheitlichen Zustand und hatte zuvor weder tauchbedingte Verletzungen noch andere Erkrankungen in der jüngeren Vergangenheit. Er taucht seit 21 Jahren und macht durchschnittlich 30 bis 40 Tauchgänge im Jahr.

Die Tauchgänge
Der Taucher und seine Tauchpartner hatten einen 30-minütigen Tauchgang auf 33 Meter geplant. Er wollte ursprünglich Nitrox verwenden, aber nach Bewertung der Tauchparameter entschloss er sich, mit Pressluft zu tauchen. Der erste Tauchgang verlief wie geplant; die Taucher hatten keine Probleme oder Zwischenfälle. Vor dem Auftauchen führten sie einen dreiminütigen Sicherheitsstopp durch.
 

Sobald er wieder an Bord des Bootes war, verspürte der Taucher allerdings Schwindel und Übelkeit. Aufgrund der aufgewühlten Meeresoberfläche schrieb er diese Symptome der Seekrankheit zu. Als seine Tauchpartner ihren zweiten Tauchgang in Angriff nahmen, blieb er an Bord. In der Hoffnung, seine Übelkeit käme vielleicht vom Hunger, aß er etwas.
Nach einer Oberflächenpause von zwei Stunden entschloss er sich, einen zweiten Tauchgang zu unternehmen, der für seine Mittaucher der nunmehr dritte war.

Sein zweiter Tauchgang führte ihn für 44 Minuten auf maximal 19 Meter. Wieder gab es keine Probleme oder Zwischenfälle. Als sie aufgetaucht waren, stellte der Taucher fest, dass er seinen Tauchcomputer nicht entsprechend dem verwendeten Atemgas eingestellt hatte. Er war immer noch auf Nitrox eingestellt. Während der Rückfahrt des Bootes zum Ufer begannen sich die Symptome zu verschlimmern. Trotz des Schwindels und der Übelkeit für er eigenhändig nach Hause.

Die Komplikationen
Nach dem ersten Auftreten seiner Symptome waren vier bis fünf Stunden vergangen. Der Taucher verfügte zuhause über normobaren Sauerstoff, und er atmete diesen nun. Nachdem der Sauerstoff verbraucht war, stellte er fest, dass sich die Symptome nicht gebessert hatten: Schwindel / Benommenheit schien das ausgeprägteste Symptom zu sein. Als der Taucher die DAN Zentrale für Tauchnotfälle anrief, hatte er nahezu 24 Stunden nach seinem Tauchgang damit gewartet. Er beschrieb dem diensthabenden DAN-Mediziner die Begleitumstände und Symptome; der DAN-Mitarbeiter informierte ihn über die örtliche Druckkammer und riet ihm, er solle sich von jemand anderen in die Klinik fahren lassen. Der Taucher sprach anschließend mit dem Krankenhauspersonal, und der diensthabende Druckkammerarzt wies ihn an, sich direkt ins Druckkammerzentrum zu begeben und sich dort untersuchen zu lassen.

Die Diagnose
Bei der Ankunft im Druckkammerzentrum litt der Taucher immer noch an Schwindel und Übelkeit. Er verspürte jedoch zu keinem Zeitpunkt Gelenkschmerzen, Taubheitsgefühl, körperliche Schwäche, Schmerzen in der Brust oder Atemschwierigkeiten. Dennoch führte der diensthabende Arzt eine gründliche neurologische Untersuchung durch. Er bestätigte, dass der Taucher keinerlei körperliche Schwächeerscheinungen, verminderte Sensitivität, Verletzungen im Gehör, Schwierigkeiten beim Gehen oder unwillkürliche, schnelle Augenbewegungen (‚Nystagmus‘)aufwies, die in manchen Fällen von neurologischer Dekompressionserkrankung auftreten.
 

Während der Untersuchung wies der diensthabende Arzt den Taucher an, mit beiden Füßen zusammen und geschlossenen Augen zu stehen, was einer der Schritte bei einer Überprüfung auf neurologische Symptome ist. Dabei wurde beobachtet, dass der Taucher instabil stand. Er wurde dann aufgefordert zu gehen und dabei vom Hacken zu den Zehen abzurollen, ähnlich wie in den Tests von Polizisten zur Überprüfung der Nüchternheit einer Person. Der Taucher zeigte auch bei der Ausführung dieses Tests Schwierigkeiten (Anmerkung: Ärzte führen eher den ersten der beiden hier beschriebenen Tests durch. Taucher, die an neurologischen Symptomen leiden, können dabei ggf. schwanken oder hinfallen, wenn Sie ihre Augen geschlossen halten. Dies wird als ‚positives Romberg-Zeichen‘ beschrieben*.)

Vor dem Hintergrund der Tauchgangsdaten und der klinischen Befunde entschied der diensthabende Arzt, dass der Taucher eine Druckkammerbehandlung benötigte. Der Taucher wurde nach einer modifizierten Hart-Kindwall-Tabelle behandelt**. Die Symptome des verletzten Tauchers lösten sich während der ersten zehn Minuten der Behandlung auf. Nach der Behandlung wiederholte der Arzt die neurologische Untersuchung: Alle Ergebnisse fielen nun normal aus, und der Taucher wies keine der vorherigen Störungen mehr auf. Ihm wurde aufgetragen, während der kommenden 30 Tage nicht zu tauchen. Während der folgenden drei Wochen nach dem Vorfall kamen keinerlei Symptome zurück.

Nachbesprechung
Dieser Fall berührt mehrere Themenbereiche. Die Technologie hat die Tauchausrüstung weiterentwickelt, aber diese Fortschritte brachten auch zusätzliche Konsequenzen und Verantwortlichkeiten mit sich. In den meisten Tauchkursen wird empfohlen, die Tauchausrüstung vor dem Tauchgang gründlich zu überprüfen. Wenn wir langsam über mehr Erfahrung verfügen, können diese Überprüfungen zur Routine werden; dabei ist nicht die Gewissenhaftigkeit kritisch, sondern eher der Gewöhnungseffekt. Pannen kommen häufiger bei oft zu erledigenden Tätigkeiten vor als bei neuen Aufgaben. Glücklicherweise machen ausrüstungsbezogene Probleme nur einen kleinen Prozentsatz aller tauchbedingten Verletzungen und Todesfälle aus. Ob die Symptome dieses Tauchers nun direkt von seinem Versehen mit dem Tauchcomputer verursacht wurden, wird niemals zu klären sein, aber es ist wahrscheinlich schon einer der Faktoren.

Dieses Versehen kann aber sicherlich die korrekte Bestimmung der mit ursächlichen Faktoren verkomplizieren. Die Symptome, die dieser Taucher erfahren musste, waren nicht typisch für das, was man normalerweise in Verbindung mit einer Dekompressionserkrankung (DCI) beobachtet. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig eine frühe Begutachtung ist. Jedes ungewöhnliche Symptom nach einem Tauchgang sollte ernst genommen werden. Anzeichen und Symptome einer DCI können fast unmerklich sein. Im DAN-Kurs ‚On-Site Neurological Assessment for Divers‘ [Neurologische Beurteilung von Tauchern vor Ort] werden Ersthelfer darin ausgebildet, eine umfassendere Kombination neurologischer Tests durchzuführen, die konzipiert wurde, um die eher unausgeprägten Anzeichen und Symptome aufzuspüren, die sonst oftmals unbemerkt bleiben. Einige Symptome schreibt man oft leicht anderen Ursachen zu. Joel Darvenbarger, Vizepräsident der Abteilung für medizinische Serviceleistungen bei DAN, erklärt immer gern: "Taucher rufen uns nicht an, weil sie Symptome haben; sie rufen uns an, weil sie Symptome haben, die nicht verschwinden."
 

Der Statistik im ‚DAN Report on Decompression Illness, Diving Fatalities and Project Dive Exploration‘ [DAN-Report zu Dekompressionserkrankungen, Todesfällen beim Tauchen und dem ‚Projekt Dive Exploration‘] für das Jahr 2003 kann man entnehmen, dass sich die Mehrzahl der Sporttaucher erst mit Verzögerung in Behandlung begab. Taucher, die ernste Symptome erleiden, begeben sich in der Regel früh in die Hände von Ärzten und werden innerhalb von 12 Stunden behandelt. Taucher mit weniger schweren Symptomen warten häufig länger, und so vergingen durchschnittlich 37 Stunden, bevor sie in Behandlung kamen. Trotz dieser Verzögerungen klingen die Symptome der meisten Taucher bei geeigneter Behandlung normalerweise ab. Taucher sollten jedoch unbedingt beherzigen, dass die manchmal leicht ausfallenden Symptome sich zu weit ernsteren entwickeln können. Je schwerer die Symptome sind, desto schwieriger können sowohl Behandlung als auch Genesung ausfallen. Frühes Erkennen und frühe Begutachtung sind wichtig. Wenn Sie im Zweifel sind, rufen Sie DAN an.

 * Das Romberg-Zeichen erhielt seinen Namen nach dem deutschen Arzt Moritz Heinrich Romberg (1795-1873). Es steht für die Unfähigkeit einer Person, mit geschlossenen Augen und eng beieinan der stehenden Füßen das Gleichgewicht zu halten. Das Anzeichen wird als ‚positiv‘ vermerkt, wenn der Patient schwankt und hinfällt, nachdem er die Augen schließt. Dies kommt bei sensorischer Ataxie vor (Gleichgewichtsstörung).
– engl. Originaltext entnommen aus ‚Taber’s Cyclopedic Medical Dictionary‘.

**Die Hart-Kindwall-Tabelle
Der zu behandelnde Patient atmet während der gesamten Behandlungsdauer Sauerstoff. 30 Minuten auf 2,8 Bar (entsprechend einem Druck von 18 Meter Wassertiefe)15-minütige Dekompression auf 1,9 Bar (9 Meter), 60 Minuten Aufenthalt in dieser Tiefe 15-minütige Dekompression auf 1 Bar (Meereshöhe)Falls der Patient unter schweren neurologischen Symptomen leidet, z. B. Lähmungen, Bewusstlosigkeit, oder sich die Symptome in den ersten 10 Minuten der Behandlung nicht bessern, wird ein längerer Behandlungsplan angewendet (d. h. mit langsamerer Aufstiegsgeschwindigkeit): 30 Minuten auf 2,8 Bar (entsprechend einem Druck von 18 Meter Wassertiefe) 30-minütige Dekompression auf 1,9 Bar (9 Meter), 30 Minuten Aufenthalt in dieser Tiefe 30-minütige Dekompression auf 1 Bar (Meereshöhe).

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