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Erkenntnisse aus Unfällen

Keine Panik, wir sind Taucher!

Angstzustände zu erleben, und sei es auch nur für einen kurzen Augenblick, ist niemals angenehm. Auch im nicht-fiktiven Bereich stimmen die Experten für Panik beim Tauchen Arthur Bachrach und Glen Egstrom, Autoren des Essays Stress and Performance in Diving, zu: „Die meisten Tauchforscher sind der Meinung, dass Panik für einen Großteil von Verletzungen und Todesfällen beim Tauchen verantwortlich ist.“ Jeder erfahrene Tauchlehrer oder Instructor wird diese Aussagen bestätigen. Dies soll uns nun aber nicht glauben machen, dass Panik ein stets auf uns lauernder Feind wäre, der jederzeit bereit ist uns anzugreifen, unabhängig von Alter, Erfahrung, Geschlecht oder Herkunft: Auch wenn Panik als gefährlich gilt, kann sie doch gewöhnlich verhindert werden.
 

Eine aktuelle Studie (Colvard et al., 2000) untersuchte mehr als 12.000 Taucher, die beim Tauchen in Panik geraten waren, um die dafür verantwortlichen Ursachen herauszufinden. Die Ergebnisse waren überraschend. Den Befragten wurde eine Liste von 43 möglichen Gründen für Panik vorgelegt, darunter „Haie“, „Dunkelheit“, „Lufthunger“ und so weiter. Die Optionen wurden in drei Kategorien eingeteilt: Tauchbedingungen, Ausrüstungsprobleme, körperliche Probleme und/oder psychische Probleme. Die Taucher wurden gebeten anzugeben, welche dieser Bedrohungen bei ihrer Panikattacke vorlag.

Von den 43 möglichen Bedrohungen wurde in allen Kategorien ein Kästchen am häufigsten angekreuzt, nämlich das letzte: „Sonstige“. Kurz: Die auslösenden Faktoren für Panikreaktionen waren keine objektiven Ursachen für berechtigte, situationsbedingte Angstzustände. In den meisten Fällen war der Auslöser etwas Triviales,Routine, etwas, das zu einem anderen Zeitpunkt niemand als Grund zur Panik betrachten würde. Liest man sich DANs jährliche Berichte zu Tauchunfällen und -todesfällen durch, wird deutlich, dass eine erstaunliche Anzahl von Tauchgängen problemlos hätte abgeschlossen werden können, wenn der Taucher den Prinzipien der Grundausbildung gefolgt wäre. Man denke nur an die Regel: „Halte nicht den Atem an und steige nicht zu schnell auf“ – wie oft haben wir diese gelesen, gelernt, unterrichtet und eingeübt und dabei gedacht, dass wir niemals einen derartigen Fehler begehen würden.  Und doch kann jeder in Panik verfallen. Eine Panikattacke ist so willkürlich wie ein Herzanfall.

Panik bedeutet nicht Feigheit, ist nicht gleichzusetzen mit fehlendem Mut, sondern ist eine unwillkürliche Reaktion auf eine starke Adrenalinausschüttung in den Blutstrom, angeregt durch den Sympathikus, der bei großer Bedrohung das Herz schneller schlagen und Körpertemperatur und Blutzuckerspiegel schnell und drastisch ansteigen lässt. Man fühlt „Schmetterlinge“ im Bauch oder ein Gefühl von Übelkeit tritt auf. Man beginnt zu schwitzen. Die Haut wird gerötet oder blass. Der Atem wird schneller, weniger tief und dyspnoisch (oder unregelmäßig). Es kommt zum Phänomen der „Wahrnehmungseinschränkung“, bei dem der Verlust eines Bereichs des Gesichtsfelds das periphere Sehen einschränken kann, so als ob man die Welt durch eine Röhre betrachten würde.
 

Am schlimmsten aber ist, dass man immer aufgeregter wird und nicht mehr klar denken kann. Dazu kommt, dass man sich immer mehr auf das Problem selbst konzentriert, so dass die Lösung für das Problem in weite Ferne rückt und nicht mehr zu existieren scheint. Ist eine Panikattacke erst in vollem Gange, gibt es wenig, das der rationelle Teil des Gehirns tun könnte, um diese schnell zu stoppen,da der Körper mehrere Minuten benötigt, um das Adrenalin zu absorbieren – das Risiko, falsch zu handeln, steigt also. Die gute Nachricht ist, dass Panik trotz der sie umgebenden Geheimnisse in den meisten Fällen verhindert werden kann. Es gibt einen Hinweis dafür, der sich – wenngleich er auf den ersten Blick auch unbedeutend wirkt – in der oben erwähnten Studie zeigte.

Obwohl die Ursachen, die die Taucher für ihre Panikattacken angaben, nicht im Zusammenhang zu stehen schienen und so wahllos verteilt waren, dass es unmöglich war, eine logische, statistische oder epidemiologische Schlussfolgerung zu ziehen, waren sich doch alle einig, dass sie anfingen zu hyperventilieren, kurz bevor die Panikattacke einsetzte. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Hyperventilation (schnelles, flaches und unregelmäßiges Atmen) ein klassisches Zeichen für Angstzustände ist. Angst ist eine Ansammlung von täglichem Stress, die zu der unterbewussten Furcht führen kann, man sei nicht fähig, Probleme zu lösen. Daraus entsteht das Gefühl der Machtlosigkeit, die die Unsicherheit, Besorgtheit, Erschöpfung, Frustration und Angst, die Teil des täglichen Lebens ist, noch vergrößert. Es gilt als wahrscheinlich, dass genau dies dem Taucher passiert, der – wie die meisten von uns – schon gestresst ist, bevor er sich ins Wasser begibt.

Vielleicht erinnert er sich an einen schwierigen oder beängstigenden Tauchgang und ist darüber besorgt. Vielleicht sind die Tauchbedingungen ungewöhnlich schwierig. Oder vielleicht ging er am Vorabend spät zu Bett, steckte am Morgen im Stau und musste sich beeilen, um sein Tauchboot rechtzeitig zu erreichen. Vielleicht bekommt er einfach dieses verdammte Problem im Büro nicht aus dem Kopf. Oder der Instructor, der in diesem Fall seine Methode ändern sollte, macht ihn nervös, verspottet oder beleidigt ihn. Vielleicht sind aber auch die Schüler besonders widerspenstig und wollen den Anweisungen nicht folge leisten.

Zu dem Zeitpunkt, an dem sich der Taucher ins Wasser begibt, ist er besorgt, wütend und weniger in der Lage, schnell und konsequent zu reagieren: Er kann also leicht von Angst übermannt werden. Das Atmen ist schwieriger als normal, er tariert mehr als gewöhnlich,  und wenn etwas Unerwartetes passiert (die Maske verrutscht oder eine Flosse verheddert sich), fängt er an zu hyperventilieren, aber er scheint nie genug Luft zu bekommen. Das Gefühl des „Lufthungers“ und das Erstickungsrisiko nehmen zu. Panik macht sich breit. Man darf natürlich nicht davon ausgehen, dass alle Taucher, die morgens im Verkehr stecken bleiben, eine Panikattacke erleiden: Alle Menschen sind unterschiedlich und einzigartig, und gehen mit Stress und alltäglichen Sorgen verschieden um. Einige sind anfälliger für Stress und somit auch für Panik als andere. Und doch ist wie gesagt niemand immun gegen Panik, da unsere persönliche Panikschwelle sich täglich ändern kann.
 

Auch wenn es beängstigend erscheint, sollte dies dem Leser klar machen, dass eine Panikattacke beim Tauchen nie plötzlich auftritt – in den meisten Fällen hat der Stress schon seit Stunden oder gar Tagen an einem genagt. Am Ende bringt ein Tropfen das Fass zum Überlaufen und der Taucher fühlt sich übermannt: Die Angst zu versagen löst Panik aus. Man stelle sich einen Jongleur vor mit drei Tellern in der Luft, dann vier, dann fünf. Ein Element mehr, und es wird zu viel – die Darstellung endet mit einem Scherbenhaufen und einem lauten Knall. Die Ursache für den Kontrollverlust ist nicht das sechste Teller an sich, sondern einfach die Tatsache, zu viele Dinge gleichzeitig jonglieren zu müssen. So ähnlich kann auch ein beliebiger Vorfall Panik auslösen, und zu einem lauten Knall führen.

Man kann dies aber leicht verhindern, indem man „einige Teller entfernt“, oder den Stress und psychischen Druck verringert, wenn man unter Wasser ist, indem man sich einfach weigert, sich um all die unnötigen Lasten und Verantwortungen zu kümmern.  Eine der besten Arten um Stress zu verringern, oder zu vermeiden, ist es, eine Reihe von Pausen in den Tauchtag einzubauen: Innehalten, sich auf die aktuelle Situation konzentrieren und darüber nachdenken, was man als nächstes tut. Wenn du gestresst am Treffpunkt ankommst, nimm dir nach dem Einparken und wenn möglich noch bevor du deine Ausrüstung auspackst ein, zwei Minuten Zeit, um zu entspannen.

Wenn die Ausrüstung an Bord ist und bevor du dich anziehst: Mach eine Pause. Wenn du im Wasser bist, bevor du abtauchst: Pause. Und so weiter für den Rest des Tauchgangs. Es gibt mindestens drei gute Gründe, warum regelmäßige Pausen Stress vermindern und Panik vorbeugen können. Erstens wirken regelmäßige Pausen gegen Erschöpfung. Entspannung hilft, den Adrenalinspiegel zu senken, den Herzschlag zu verlangsamen, bewirkt ein langsameres, tieferes Atmen und das Kohlenstoffdioxidniveau in unserem Blut normalisiert sich wieder1. Zweitens bietet uns eine Pause die Möglichkeit, für einen Moment mental zu entspannen, die Eile und Hast, mit der wir täglich leben müssen, etwas zu verlangsamen, und mehr Aufmerksamkeit auf neu entstandene Bedürfnisse zu richten. Und letztlich sind häufige Pausen eine ideale Gelegenheit, um über die nächste Aufgabe und deren Durchführung nachzudenken.

Als nächstes folgt das Anziehen? Mach bevor du dir den Anzug überziehst eine Pause und organisiere geistig die Schritte, die du befolgen willst, einen nach dem anderen; gehe in Gedanken die Anforderungsliste durch. Versuche dir vorzustellen, welche Probleme auftauchen könnten, und wie du sie lösen kannst: Die Sportpsychologie hat nachgewiesen, dass Visualisierung eine effektive Waffe gegen Angst, Stress und Panik ist. Pausen können auch eine Gelegenheit sein, um deine Atmung zu kontrollieren. Mit der Brustwand und nicht mit dem Zwerchfell zu atmen, ist eine energieintensive Bewegung, da wir die falschen Muskeln benutzen. Natürlicher ist es, mit dem Zwerchfell zu atmen. Es wirkt entspannend und ist ein fundamentales Mittel, um die Atmung unter Kontrolle zu bringen: Hyperventilation ist nachgewiesenermaßen eine Ursache für Angstzustände und Panik.
 

Zusammenfassend lässt sich sagen: Wenn du dich nicht gut fühlst, ist es besser, nicht tauchen zu gehen. Wenn dir übel ist oder du aus irgendeinem Grund, den du nicht genauer benennen kannst, nicht tauchen gehen möchtest,dann ist es besser, du gehst nicht. Lass’ dich nicht vom Gruppenzwang über deine Grenzen treiben, denn dann würdest du deinen Tauchgang schon gestresst beginnen und wärst anfälliger für Panik. Wenn dies jemand nicht versteht, und dich deshalb verhöhnt, sind plötzliche Ohrenschmerzen oder Probleme mit dem Druckausgleich immer eine gute Ausrede!


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