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Medizinische Beiträge

Dekompression: Wahrheit oder Mythos? (Teil 2)

Nachdem wir im letzten Artikel die ersten Fragen und Antworten bereits bearbeitet haben, geht es hier nun weiter mit den “falschen Mythen” zum Thema Dekompression.

Viele Taucher glauben, dass die Dekompressionstheorie eine exakte Wissenschaft ist. Tatsächlich handelt es sich aber um nichts anderes als um eine vereinfachte mathematische Simulation komplexer biologischer Phänomene, die man nur schwer naturgetreu wiedergeben kann. Damit die Taucher mit den Erkenntnissen der Forscher Schritt halten können, kommt hier nun Teil 2 des Quiz.

Das Tauchen mit Atemmischgasen, die hohe Sauerstoffkonzentrationen enthalten, kann die DNS schädigen. 

FALSCH! J. Witte hat erkannt, dass selbst wenn in isolierten Polymorphonuklearen (“Kulturen”) die Schädigung der DNS mit dem Partialdruck von Sauerstoff korreliert, bei echten Tauchgängen ("echte") Taucher, die regelmäßig eine sauerstoffreiche Mischung atmen im Vergleich zu Tauchern, die Luft atmen, geringere DNS-Schäden aufweisen. Diese schützende Wirkung existiert nicht mehr, sobald die Tauchpause zwischen Wiederholungstauchgängen bei über drei Monaten liegt.

Von einer mäßig anstrengenden sportlichen Belastung (Fitnessstudio, Laufen, etc.) vor einem Tauchgang mit einem hohen Dekompressionstressniveau (Pflicht-Dekostopps, Multilevel-Tauchgänge außerhalb der Sicherheitskurve, etc.) wird abgeraten. 

FALSCH! Eine übermäßige Sauerstoffzufuhr, die beim Tauchen immer vorkommt, erhöht die Produktion freier Radikaler, die die Ursache für verschiedene Krankheiten sind. Der Hauptschaden entsteht für gewöhnlich im Kapillarendothel. Die Schädigung wird allerdings von verschiedenen Radikalfängern behindert, d.h. von Enzymen, die die Reaktionskette der freien Radikalen unterbrechen können. A. Brubakk berichtet, dass eine einzige Einheit mäßig anstrengender körperlicher Aktivität 24 Stunden vor einem Tauchgang mit hohem Dekompressionsstress dabei hilft, freie Radikale zu bekämpfen und das Doppler-Niveau der Blasen nach dem Tauchen erheblich zu reduzieren. Durch Experimente konnte jedoch nachgewiesen werden, dass eine einzige Einheit mäßig anstrengender körperlicher Aktivität direkt vor dem Tauchgang die Anzahl der Mikroblasen beim Ausstieg aus dem Wasser erhöht. Es wird empfohlen sich an die in Brubakks Forschung getestete 24-Stunden-Pause zu halten.

Von körperlicher Aktivität nach dem Tauchen wird abgeraten.

RICHTIG! D. Madden untersuchte 23 Taucher, die 47 Minuten lang bis zu einer Tiefe von 18 Meter tauchten. Direkt nach dem Auftauchen wurden ein transthorakales Echokardiogramm (Herzultraschall) gemacht – eines im Ruhezustand und eines nach körperlicher Belastung (Fahrradergometrie) – und dabei der Patient auf die möglichen Probleme untersucht, die von Blasen verursacht werden können, die vom venösen in den arteriellen Blutkreislauf wechseln können. Im Ruhezustand wurden 3 Rechts-Links-Shunts, bei denen Blasen in die Arterien wanderten festgestellt, während der Belastung kam es zu 12 Shunts und bei 8 Tauchern gab es keine Shunts. Wenn es notwendig war, blockierte die Gabe von Sauerstoff den Shunt sofort. Beim bloßen Atmen von Luft war das nicht der Fall. Die körperliche Betätigung hat den Rechts-Links-Shunt herbeigeführt ohne dabei die Anzahl der Blasen zu erhöhen (die Belastung hat zwar nicht die Anzahl der Blasen erhöht, dafür aber die Durchlässe geöffnet). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sogar eine leichte Belastung wie das Schwimmen mit der gesamten Tauchausrüstung vom Tauchplatz zurück zum Boot einen latenten Rechts-Links-Shunt auslösen kann.

Die Bildung von Blasen nach einem Tauchgang lässt sich durch Präventivmaßnahmen vor dem Tauchgang reduzieren. 

RICHTIG! Die Bildung von Blasen während eines Tauchgangs ist von vier Faktoren abhängig: der Ansammlung von Gas im Endothel (Gastasche), der Präkonditionierung, dem Zustand des Tauchers und den Variablen des Tauchganges (Umfeld). J.P. Imbert betont die Rolle der Präkonditionierung –  von einfach beeinflussbaren Faktoren. Eine Präkonditionierung durch das Atmen von Sauerstoff reduziert die Bildung von Blasen.  Andere vorbereitende Maßnahmen sind: Saunabesuche, die die neural vermittelte Gefäßerweiterung regulieren können, Vibration, die die Gefäßerweiterung mit Stickstoffmonoxid regulieren kann, körperliche Belastung, die die Gefäßerweiterung bei beiden Mechanismen regulieren kann (weitere Informationen zu diesem Thema im Artikel "Präkonditionierung und Dekompressionskrankheiten", im Alert Diver #51).

Wenn man die Anweisungen des Tauchcomputers und der Tauchtabellen befolgt, kann man unmöglich eine Dekompressionskrankheit bekommen. 

FALSCH! Wie M. Pieri von DAN DSL berichtet, hat DAN 58.256 Tauchprofile (75% Männer und 25% Frauen in einem Alter von durchschnittlich 35,6 Jahren) analysiert. Die untersuchten Tauchgänge gingen auf Tiefen von 5 bis 192 Meter. Bei 91,3% der Fälle bestand das Atemgas aus Luft, bei 5,14% war es Nitrox und bei 3,56% Trimix. Eine Untersuchung des Gradientenfaktoren (GF), verstanden als Prozentsatz des M-Werts (die maximal tolerierte Saturierung im kritischsten Kompartiment, d.h. in demjenigen, das den Tauchgang kontrolliert) zeigt, dass es bei Tauchgängen mit konservativen Tauchprofilen zu Vorfällen kommt (80% GF). Bis 2013 hatte die Studie 260 Dekompressionsunfälle untersucht, wobei das Gefahrenniveau bei durchschnittlich 0,79 GF lag (d.h. wenn 79% des M-Wertes erreicht wurden, traten selbst dann Unfälle auf, wenn sich der Taucher an die Anweisungen des Tauchcomputers hielt).
Zwischen den traditionellen Dekompressionsalgorithmen und den Algorithmen, die die Blasen kontrollieren, bestand kein wesentlicher Unterschied. Das Durchschnittsalter der Opfer war 42 Jahre. Die durchschnittliche Tauchtiefe, bei der es zu Zwischenfällen kam lag zwischen 40 und 45 Metern. Bei der Häufigkeit des Auftretens von Dekompressionskrankheiten gab es einen Unterschied zwischen den Geschlechtern:  Männer 0,03%, Frauen 0,08%. Die Studie zeigt, dass die Zwischenfälle meist "unverschuldet" sind und nicht aufgrund eines menschlichen Fehlers eintreten.  

Dekompressionsunfälle sind daher potenzielle Risiken, die von allen Tauchern berücksichtigt werden müssen.


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