Foto: Julian Mühlenhaus
Netiquette beim Tauchen

Taucher-Knigge: Tauchen in der Gruppe

“Ich habe Dinge gesehen, die ihr euch nicht vorstellen könnt… zum Zerreißen gespannte Nerven am Abgrund des Shark Reef… blitzende Taucherlampen in den Labyrinthen der Thistlegorm. All diese Augenblick werden sich in der Zeit verlieren, wie über Bord gegangene Kameras – es sei denn… hmm… wir reden drüber?”Roy Batty, wäre er Taucher gewesen

Menschen haben nicht die Instinkte von Vögeln oder Ameisen. Um einigermaßen koordiniert zu handeln, brauchen wir Anweisungen und Übung. Taucher sind da keine Ausnahme. Das Problem hierbei ist jedoch, dass wir in vielen Fällen mit Leuten tauchen, die wir erst Minuten zuvor kennengelernt haben. Meistens geht das gut, irgendwie.

Taucher haben eine Tendenz, sich wie Gasmoleküle zu verhalten und den zur Verfügung stehenden Raum komplett auszufüllen. Unter Wasser blähen sich ursprünglich gerade Linien von Tauchern allmählich zur Kugelform auf. Als wäre es ein Naturgesetz. Dies mag bei einfachen Tauchgängen im Freiwasser ganz amüsant anzusehen sein. Auf einer Felsspalte oder gar im Inneren eines Schiffswracks droht jedoch Gefahr, die es zu unterbinden gilt. Was also sind die geeigneten Gegenmaßnahmen?

Die wundersame Macht des Briefings

Ich weiß, die meisten Briefings sind wasserlöslich und überstehen kaum den Sprung vom Boot. Ein guter Divemaster wird sich dennoch redlich um chemische Stabilität bemühen. Ein geeignetes Mittel zum Unterbinden der spontanen Kugelbildung ist, die Gruppe in Buddy-Teams einzuteilen. In der Regel bleiben die am wenigsten erfahrenen Taucher in der Nähe des Divemasters, und die erfahrensten am Ende der Kette. Es kann hilfreich sein, die Teams zu nummerieren. Mit diesen Informationen sollte jeder Taucher in der Lage sein, mit dem Buddy gemeinsam die korrekte Position einzunehmen – ohne weiteres Eingreifen des DM.

Wer passt auf wen auf?

Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass eine Gruppe Taucher ein einziges, großes Buddy-Team bildet. Wenn ich das höre, wird mir angst und bange. Es ist falsch und gefährlich. Verlassen Sie sich auf Ihren Buddy, und auf niemand sonst! Das hat nichts mit Monogamie zu tun, es geht hier um Praktikabilität! Achten Sie sorgsam auf Ihren Buddy und seien Sie nett zu ihm, ihr, oder welches Pronomen auch immer Ihr Buddy bevorzugt. Detaillierte Benimmregeln finden Sie in dieser früheren Ausgabe des Taucher-Knigge: Der Buddy.

Die verblüffenden Vorteile einer linienförmigen Gruppe

Erfolg! Wir bilden nun eine Linie. Mit gleichmäßen Flossenschlägen beginnen die Taucher, paarweise die Flanke des Riffs zu erkunden. Der Divemaster entdeckt eine Familie Clownfische in einer Anemone und zeigt sie Sandra und Paul, dem ersten Buddy-Team. Die beiden nähern sich der Anemone, um die Clownfische zu beobachten. Als sie sich entfernen, denken sie daran, Giulia und Ben, das nachfolgende Buddy-Team, auf die Clownfische hinzuweisen. Und so weiter. Das Tauchlehrerpaar am Ende der Kette taucht ein wenig tiefer und achtet dabei sorgsam darauf, hinter der Gruppe zu bleiben und keine Blasen in die Gesichter der anderen Mitglieder zu pusten.

Paradiesische Zustände.

Die Hölle

Die ganze Gruppe stürzt sich auf die Clownfische. Luftblasen und Flossen überall. Sandra wird der Regler aus dem Mund gerissen und Giulias Maske verrutscht. Der Tauchlehrer kommt unbemerkt wie ein Hai aus der Tiefe und verpasst Ben mit seiner Flasche einen Kinnhaken. Die völlig verängstigten Clownfische haben sich in die Tiefen ihrer Anemone zurückgezogen, Korallenfragmente taumeln in die Tiefen des Ozeans.

Dies sind die Regeln:

1 – Halten Sie sich an das Überholverbot.

Im Supermarkt oder an der Bushaltestelle würden Sie sich niemals vordrängeln, oder? Warum also beim Tauchen damit anfangen? Es gibt unter Wasser keine Überholspur.

Ausnahmen bestätigen die Regel: Wenn die Strömung stark ist, kann man sich plötzlich n einer Art Überholspur wiederfinden.  Oder vielleicht hält sich Buddy-Team vor Ihnen ewig lange mit der Beobachtung eines winzigen Nacktkiemers auf. In den meisten Fällen liegt die Ursache jedoch bei Ihnen selbst: Sie schwimmen einfach zu schnell, ohne dass es Ihnen bewusst ist. Kein Problem: Bewahren Sie die Ruhe und schwimmen Sie zurück an ihren Platz. Das ist nicht so schwer.

2 – Halten Sie den Sicherheitsabstand ein.

Bei Tauchgängen in größeren Gruppen kommt es vor, dass Flossen, Sand und Luftblasen zu den Masken der nachfolgenden Taucher gravitieren. Mit der richtigen Schwimmtechnik vermeiden Sie das Aufwirbeln von Sand. Wenn Sie jedoch nicht gerade einen Rebreather benutzen, dürfte Ihnen das Vermeiden von Luftblasen schwer fallen. Versuchen Sie, nicht tiefer zu tauchen als das Team hinter Ihnen. Taucher mit hohem Luftverbrauch sind normalerweise vorne in der Gruppe beim DM und tauchen weniger tief. Aus gutem Grund.

3 – Die Anderen wollen auch was sehen.

Stellen Sie sich eine Gruppe von fünf Buddy-Teams vor. Wenn sich jedes Team zehn Minuten Zeit nimmt, um eine chromodoris quadricolor zu betrachten, kostet dies die Gruppe 50 Minuten. Ein ganzer Tauchgang für eine Nacktschnecke! Liebe Fotografen, bitte stellt Euch hinten an. Noch besser, und ich weiß, es schmerzt im Geldbeutel, aber haben Sie schon einmal daran gedacht, einen persönlichen DM anzuheuern? Die Kosten betragen nur einen kleinen Bruchteil dessen, was Sie für Ihre Ausrüstung hingeblättert haben. Es gibt auch Tauchbasen, die sich auf Fotografen spezialisiert haben. Vielleicht gibt es ja einen solche Basis an Ihrem nächsten Reiseziel. Wenn Sie keinen persönlichen DM finden können… folgen Sie der Gruppe, und halten Sie sich an die Regeln.

4 – Seien Sie pünktlich.

Schon kleine Verzögerungen beim Sprung ins Wasser können den Tauchgang ruinieren. (Verstehen Sie mich aber nicht falsch, Sie wollen auch niemandem auf den Kopf springen.) Achten Sie außerdem darauf, dass der DM Sie leicht sehen kann – gute DMs zählen regelmäßig die Gruppe durch um sicherzustellen, dass niemand verloren geht.

5 – Achten Sie auf Ihren Buddy.

Taucher schauen gewohnheitsmäßig nach unten. Die meisten Gefahren jedoch liegen an der Oberfläche. Stellen Sie sich vor, Sie sind an dritter Stelle in einer Reihe von Buddy-Teams. Plötzlich verliert Ihre Buddy die Kontrolle über seine Tarierung und beginnt aufzusteigen. Oben drohen Schiffsschrauben. Der DM ist zu weit weg, um zu helfen – es liegt an Ihnen.

 ”Wo ist Dein Buddy?” ist die am häufigsten von DMs gestellte Frage, an Land wie unter Wasser. Die häufigste Antwort ist ein überraschter Gesichtsausdruck, gefolgt von suchenden Blicken. Man kann es nicht oft genug sagen: Das Buddy-Team ist die Grundlage der Sicherheit. Verhalten Sie sich entsprechend.

6 – Du sollst nicht belästigen!

Ich habe schon viele Moränen sich vor einem Ansturm aus Tauchern und Luftblasen in Felsspalten verkriechen sehen. Selbst Haie ergreifen die Flucht. Schildkröten… ich fange besser gar nicht erst an. Übermäßig forsche Annäherungsversuche von Tauchern schaden der Umwelt, und nützen den Tauchern selbst auch nicht. Die meisten Meeresbewohner, selbst Haie, ergreifen bei Belästigung die Flucht. Denken Sie an die Taucher hinter sich – die werden sich bedanken, wenn Sie den Walhai verscheuchen.

7 – Rasseln, Hupen, und andere Lärmquellen

ich weiß, diese Accessoires sind aus der Mode gekommen. Lassen Sie mich erklären, warum: Es liegt nicht daran, dass Taucherohren empfindlicher geworden sind, sondern daran, dass Taucher bemerkt haben, dass Lärm Meereslebewesen verscheucht. Leider wissen es aber noch nicht alle. Sollten Sie sich also im Besitz eines dieser höllischen Instrumente befinden, dann verwenden Sie es bitte achtsam. Nur ein Taucher in Not, oder vielleicht ein sich mit 50 Knoten näherndes Atom-U-Boot, können den Lärm rechtfertigen. In allen anderen Fällen, benutzen Sie einfach Ihre Stimme. Wussten Sie, dass Sie durch Ihren Atmenregler sprechen (und sogar schreien!) können, und dass andere Taucher Sie hören können?

8 – Tauchen Sie am geplanten Ort und zur geplanten Zeit auf.

Niemand wird Ihnen Vorwürfe machen, wenn Sie aus gutem Grund nicht am geplanten Ort und zur geplanten Zeit auftauchen – etwa weil Sie in eine starke Strömung geraten sind oder Ihnen die Luft knapp wurde. Dennoch ist das Auftauchen weit weg vom geplanten Ausstieg und/oder zum falschen Zeitpunkt der erste Schritt auf dem Weg zur Suche nach einem vermissten Taucher.

9 – Schon wieder Deko?

Ungeplanter Deko-Stopp? Schieben Sie es nicht auf Ihren übermäßig konservativen Computer. Sofern Sie nicht gerade in einem Wrack oder in einer Höhle tauchen, wo das Profil mehr oder weniger erzwungen ist,  liegt die Ursache meistens nicht bei Ihrem Computer sondern bei Ihnen selbst. Fünf Minuten extra sind vielleicht noch okay, eine halbe Stunde ist es mit Sicherheit nicht. Und wenn die See ruppig ist, wird der Empfang durch die Mannschaft vielleicht noch ruppiger.

10 – Seien Sie freundlich.

Als Kunde haben Sie mehr Gelegenheiten, freundlich zu sein, also der Divemaster. Profis müssen ständig an diese nervige Sache denken, genannt Sicherheit. Sie sind verantwortlich, und manchmal auch haftbar. Sie müssen die Dinge genau nehmen, und manchmal auch deutlich werden. Als Kunde hingegen dürfen Sie immer freundlich sein.


Über den Autor

Claudio Di Manao ist PADI und IANTD Tauchausbilder und seit 1997 DAN Mitglied. Er ist Autor verschiedener Bücher und Romane über das Tauchen, u.a. Shamandura Generation, einem aufregenden Portrait der Tauch-Community in Sharm el Sheik. Er arbeitet für Magazine, Radiosender und Zeitungen und spricht bzw. schreibt über Tauchsicherheit, Meereslebewesen und Reisen.


Der Übersetzer

Tim Blömeke ist freier Übersetzer für Wissenschaft, Technik und Recht, sowie passionierter Wrack- und Höhlentaucher. Er unterrichtet Tauchen (Sport und Tec) in Taiwan und auf den Philippinen.


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