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Bereiter Taucher

Umgang mit Furcht beim Tauchen

Furcht ist eine kalte Welle von Gefühlen, die jede Vorwärtsbewegung lähmen kann. Sie gehört zu den primitivsten menschlichen Emotionen und ist Teil der adaptiven Reaktion auf Gefahren in der Umgebung. Unter Bedrohung steht unserem biologischen System eine Kaskade von reaktiven Zuständen zur Verfügung, die in der Psychologie als Abwehrkette bekannt ist: Orientierung – Flucht/Kampf – tonische Immobilität – kollabierte Immobilität – Fragmentierung (Schauer und Elbert, 2010). [Anm. d. Übersetzers: Im Englischen etwas eingängiger als freeze – fight/flight – fright – flag – faint wiedergegeben]. Unter Wasser haben diese Reaktionen die Tendenz, mehr Probleme zu schaffen als zu lösen. Besonders einleuchtend ist dies bei der Flucht-Kampf-Reaktion: Übermäßig schnelle Aufstiege sind eine gängige Ursache von Tauchunfällen.

Ausrüstungsprobleme, ein aggressiver Drückerfisch, Bootsverkehr – an potenziellen Auslösern von Furcht beim Tauchen herrscht kein Mangel. Hinzu kommen die Probleme, die ein Taucher selbst mitbringt: Befürchtungen hinsichtlich des Verhaltens bestimmter Meeresbewohner, Klaustrophobie, Höhenangst, Dunkelheit im Freiwasser können Furchtreaktionen auslösen. Erinnerungen an nicht aufgelöste traumatische Erlebnisse in der Vergangenheit können auch unter Wasser geweckt werden, und die weniger konkreten menschlichen Ängste vor Versagen, Zurückweisung und Kontrollverlust sind ständig präsent.

Sollte man Furcht vermeiden?

Ja… und nein. Die physiologischen Aspekte der Abwehrreaktion, wie flache, hochfrequente Atmung und Herzrasen, können beim Tauchen Probleme bereiten und bis hin zur Panik eskalieren. Furcht erschwert klares Denken und Problemlösen. Die Schwierigkeiten entstehen jedoch nicht durch die Angst selbst, sondern durch die Kaskade von Reaktionen.

Die erste Reaktion—Orientierung—ist innezuhalten und aufmerksamer zu werden. Diese Reaktion ist adaptiv und kann hilfreich sein. Wir nehmen ein Problem zur Kenntnis und überlegen, wie wir darauf reagieren. Solange sie nicht zu stark ist, kann die Flucht-Kampf-Reaktion ebenfalls hilfreich sein und uns Energie zum Handeln liefern. Unter Wasser läuft sie jedoch schnell aus dem Ruder. Dies kann physiologische Ursachen haben, z. B. durch rasche, flache Atmung erzeugter Stress, aber auch psychologische, wie Sorgen oder Widerstand gegen die Emotion selbst.

All dies kann dazu führen, dass ein Taucher in Panik gerät und die Fähigkeit zum klaren Denken und Handeln verliert. Wenn Flucht und Kampf keine Optionen sind, folgt tonische Immobilität als nächste Phase. Hier ist die Furcht am intensivsten: Das Subjekt ist de facto gelähmt, sich der Gefahr jedoch weiterhin bewusst. Nach dieser Phase beginnt ein Prozess der Dissoziation und Abstumpfung, mit Energieverlust bis hin zur Bewusstlosigkeit. Diese späteren Stufen haben klare negative Konsequenzen beim Tauchen.

Auch wenn diese Reaktionen das Gefühl von Furcht beinhalten, ist Furcht immer nur ein Aspekt. Furcht wie ist eine Energiewelle, die den Körper durchdringt. Die Mitte dieser Welle repräsentiert physiologische Prozesse, z. B. die Freisetzung von Stresshormonen. Dies kann ein Problem sein. Eigentlich jedoch ist es die Reaktionskaskade, die zu Unfällen führt.

Furcht allein ist nicht das Problem. Wir empfinden Furcht, wenn wir uns bedroht fühlen. Diese Bedrohung kann konkret vorliegen, oder aber auch allein im Kopf stattfinden: “Was, wenn mir die Luft ausgeht?” oder “Ich glaube, ich bin nicht bereit für diese Tiefe.” Furcht ist häufig ein Signal, dass etwas nicht stimmt und man handeln sollte. Sie uns daran, wo unsere Grenzen liegen und bringt uns dazu, über unsere Lage nachzudenken.

Als Taucher brauchen wir Furcht. Wir brauchen aber auch die Fähigkeit, im Angesicht der Furcht unsere Emotionen und Aufmerksamkeit zu regulieren. Was wir hingegen nicht brauchen, sind die reaktive, impulsive, gedankenlosen Zustände, in die uns Furcht treibt, wenn wir ihr zu widerstehen versuchen. Widerstand gegen Furcht kann mehr Probleme schaffen als die Furcht selbst. Zum einen ist Furcht in Situationen mit einer realen Bedrohung eine Warnung, die zu ignorieren uns in Gefahr bringt. Zum anderen kann das Widerstreben, starke Gefühle zuzulassen, selbst ein Auslöser für Panik sein. Statt Furcht zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu handeln, läuft der Taucher vor dem Problem davon. Dies hat die Tendenz, weitere Probleme zu verursachen, und die Gefühlslage kann zur Panik eskalieren. Drittens kann unser Ego uns daran hindern, einen Tauchgang abzubrechen. Viertens kann Vermeidungsverhalten das Risiko erhöhen, weil wir uns auf das Vermeiden der Furcht konzentrieren statt das Problem zu lösen.

Tauchen mit der Furcht

Furcht kann jederzeit eintreten, und der Umgang mit ihr gehört zum Tauchen dazu. Das bedeutet nicht, dass wir uns in Gefahr begeben sollten. Wir sollten jedoch Furcht als Signal zulassen sowie die technischen und psychologischen Fertigkeiten entwickeln, sicher zu tauchen. Hier sind ein paar Optionen:

  • Reduzieren der Wahrscheinlichkeit in Situationen zu geraten, die Furcht auslösen: Dies kann durch eine angemessene Ausbildung und den Aufbau von Erfahrung auf dem jeweiligen Niveau erreicht werden. Ungewissheit ist der Hauptauslöser von Furcht. Durch Training und Übung effektive Fähigkeiten und Reaktionen erlernen, minimieren wir diese Unsicherheit, weil wir wissen, was zu tun ist.
  • Ansprechen bestehender Ängste, Phobien und Traumata, insbesondere solcher mit Bezug zu Wasser, vor Beginn der Tauchausbildung. Starke Reaktionen oder Anspannung aufgrund negativer Erfahrungen beim Tauchen sollten außerhalb des Wassers angesprochen werden.
  • Reflexion, was man selbst an Belastungen mit ins Wasser nimmt, z. B. zwischenmenschliche Belastungen. Diese sollten vor dem Tauchgang angesprochen, um die Stressbelastung zu reduzieren.
  • Verständnis von Furcht als Energiewelle: Sie hat einen Auslöser, dann eine Kaskade von Hormonen und neurologischen Vorgängen, und läuft aus in die Freisetzung von Energie. Wenn dir etwas Angst macht, kann es helfen, ein kurz innezuhalten und die Welle passieren zu lassen.
  • Eine der besten Techniken ist auch die einfachste: Halte inne und höre darauf, was deine Furcht dir sagen will. Dies kann nützlich sein, zum Beispiel eine Erinnerung, auf das Finimeter zu schauen.

  • Lernen, Gedanken und Emotionen zu trennen. Dies ist die Fähigkeit, einen Schritt zurück zu machen, die Emotion zur Kenntnis zu nehmen und sie in den Kontext einzuordnen. Der Abstand wirkt wie eine Brandmauer und kann helfen zu entscheiden, ob die Situation Eingreifen erfordert oder du die Furcht loslassen kannst.
  • Akzeptanz und Bereitschaft: Das von der Abwehrreaktion erzeugte Chaos entsteht größtenteils nicht durch Furcht, sondern durch den Stress, der Widerstand gegen die Furcht erzeugt. Die Bereitschaft, eine unangenehme Emotion zuzulassen, kann die Reaktion mildern und uns helfen, einen klaren Kopf zu behalten und Herz- und Atemfrequenz in einem akzeptablen Rahmen zu halten.
  • Radikale Akzeptanz: Manche Taucher praktizieren bereits radikale Akzeptanz – das Annehmen und Vergegenwärtigen des schlimmstmöglichen Ausgangs einer Situation. Diese Praxis ist wahrscheinlich eher etwas für Höhlen- und Techtaucher, aber auch allgemein eine sehr interessante Erfahrung.
  • Mentales Üben und Visualisierung: Studien haben gezeigt, dass mentales Üben von neuen Tauchfertigkeiten helfen kann, Stress und subjektiv empfundene Furcht zu reduzieren. Mentales Üben hilft auch bei der Entwicklung von Kompetenz und macht Furcht weniger wahrscheinlich.
  • Gewöhnung: Unter den richtigen Umständen kann das Empfinden von Furcht in einer Situation die Furcht bei zukünftigen Erfahrungen ähnlicher Situationen reduzieren. Eine gute Ausbildung beinhaltet das Scheitern unter kontrollierten Bedingungen mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen, so dass Lernende ein bestimmtes Niveau von Furcht erleben und die Fertigkeiten erwerben können, das Problem bei minimalem Risiko zu lösen.
  • Erfahren von Furcht. Du kannst dies zuhause auf dem Sofa tun! Stell dir etwas vor, vor dem du dich fürchtest und beobachte, wie dein Körper reagiert. Achte bewusst auf das Gefühl und lasse ihm Raum. Indem du deinem Körper erlaubst, sich zu entspannen, während du Furcht empfindest, lehrst du ihn, Furcht effektiv zu regulieren und machst eskalierende Reaktionen weniger wahrscheinlich.

Es gibt auch Therapien, die bei wiederkehrenden Ängsten, Erwartungsängsten oder Leistungsblockaden helfen. Für Taucher halte ich die Augenbewegungsdesensibilisierung für besonders nützlich. Sie kann eingesetzt werden, um Ängste und die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Auslösens nach einer schlechten Erfahrung zu verringern. Sie kann auch ruhigere und effektivere Verhaltensreaktionen für zukünftige Szenarien schaffen.

Wir sollten uns vor der Furcht nicht fürchten. Furcht und das Lernen, mit ihr umzugehen, sind nicht nur Teil des Tauchens, sondern erinnern uns auch daran, wie wertvoll diese Erfahrung ist. Es gibt eine Theorie über Extremsportarten, die besagt, dass wir sie lieben, weil die Nähe des möglichen Todes die Freude am Leben weckt. Wie nah wir dieser Grenze kommen, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Für Sporttaucher ist dies vergleichbar mit dem Blick in einen Abgrund, während wir hinter einer stabilen Barriere stehen. Für die Abenteurer unter uns ist es eher wie der Sprung in diesen Abgrund mit einem Fallschirm. In allen Fällen jedoch bringt Offenheit für Furcht auch die Offenheit für Freude und Staunen mit sich.


Zitate

  • “Bei negativen Erfahrungen tritt eine unmittelbare physiologische Reaktion ein. Das Herz beginnt zu rasen, und tausend Gedanken gehen dir durch den Kopf. Ich versuche, sofort einen tiefen, langsamen Atemzug zu nehmen und denke mir: “Liebe Gefühle, ihr seid hier gerade nicht besonders hilfreich.” —Jill Heinerth
  • “Wenn man seine Furcht nicht zulässt, verbringt man sein Leben damit, vor ihr wegzulaufen..”——Jill Heinerth

Literatur:

Schauer, M., & Elbert, T. (2010). Dissociation Following Traumatic Stress Etiology and Treatment. Zeitschrift Fur Psychologie-journal of Psychology, 218, 109-127.


Die Autorin

Laura Walton ist klinische Psychologin und Tauchlehrerin. Sie setzt ihre Kenntnisse ein, um Tauchern zu helfen, ihre Fähigkeiten zu verbessern und bietet psychologische Dienstleistungen und Kurse für Taucher an. Laura lebt in Großbritannien. Sie arbeitet seit 2012 als Tauchgangsleiterin und Lehrerin und ist derzeit PADI IDC Staff Instructor bei The Fifth Point Diving Centre, Blyth, UK.

https://www.fittodive.org/


Der Übersetzer

Tim Blömeke unterrichtet Tech- und Sporttauchen in Taiwan und auf den Philippinen. Er ist Autor und freier Übersetzer, sowie Mitglied des Redaktionsteams von Alert Diver. Er taucht einen Fathom CCR. Im Netz erreicht man ihn über seinen Blog und auf Instagram.

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