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Ist Apnoetauchen ein Extremsport?
Als ich die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 am Fernseher verfolgte und die Perfektion der Athletinnen und Athleten bewunderte, fragte ich mich, ob ich wohl jemals Apnoetauchen auf meinem Bildschirm sehen würde. Ich weiß genau, dass die meisten Taucher begeistert wären, wenn unser schöner Sport in den Olympischen Kalender aufgenommen würde. Warum aber ist das noch nicht geschehen?
Abgesehen von dem Umstand, dass Apnoetauchen noch eine recht neue und unterfinanzierte Sportart ist, befürchten viele, dass dieser Sport für die breite Öffentlichkeit einfach zu riskant ist. Doch obwohl das unbeaufsichtigte Apnoetauchen sicherlich genauso riskant oder noch riskanter ist als Tech-Tauchen, gab es bisher nur einen Todesfall beim Apnoetauchen im Wettkampf. Dennoch halten die meisten Nicht-Apnoetaucher den Sport für extrem, wenn sie von den unglaublichen Tiefen hören, zu denen manche Apnoetaucher fähig sind.
Aber ist Apnoetauchen extremer als Sportarten wie Skifahren, Klettern oder Surfen? Alle diese Sportarten haben ihren Platz auf der großen olympischen Bühne.
In diesem Artikel möchten wird die Statistiken und die verschiedenen Meinungen zu diesem Thema erkunden und mit euch zusammen ein wenig tiefer in diese Frage eintauchen – so dass wir ein für alle Mal entscheiden können: Ist Apnoetauchen ein Extremsport?
Alice Modolo erhält die Olympische Fackel.
Titelbild: Alice Modolo mit der Olympischen Fackel. Beide Fotos von der Fotografin Hélène Pedemonte.
Was macht eine Sportart „extrem“?
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Merkmale, die eine Extremsportart ausmachen. Das Oxford Advanced Learner’s Dictionary definiert Extremsport als „ein Sport, der aufregend und oft gefährlich ist“. Konkret bedeutet dies Folgendes:
Hohes Risiko: Extremsportarten sind von Natur aus gefährlich, da sie oft mit hohen Geschwindigkeiten, großen Höhen, der Einwirkung von Naturgewalten oder komplexen Manövern verbunden sind. Die Gefahr schwerer oder gar tödlicher Verletzungen ist stets präsent und erfordert außergewöhnliche Konzentration und gutes Risikomanagement.
An die Grenzen gehen: Extremsportarten verlangen von den Athleten, an die Grenzen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit zu gehen. Kraft, Ausdauer, Koordination und außergewöhnliche Fitness sind Grundvoraussetzungen.
Technisches Fachwissen: Die Beherrschung einer Extremsportart erfordert nicht nur körperlichen Fähigkeiten. Spezifische Fertigkeiten und Kenntnisse sind unerlässlich. Dazu gehören spezielle Ausrüstung, Kenntnis der Umweltbedingungen, und die Anwendung komplizierter Techniken zur Risikominimierung.
Mentale Stärke: Extremsportarten sind auch eine psychologische Herausforderung. Athleten müssen Ängste überwinden, unter Druck die Ruhe bewahren und in Situationen, in denen viel auf dem Spiel steht, schnelle Entscheidungen treffen.
Auf den ersten Blick scheint es, als ob Apnoetauchen alle diese Anforderungen erfüllt. Doch lasst uns etwas genauer hinschauen.
Activimages/
Warum ist es so schwierig, Apnoetauchen konkret als „extrem“ einzustufen?
Apnoetauchen ist ein Sonderfall in der Welt der Extremsportarten. Im Vergleich zu rasend schnellen adrenalingetriebenen Aktivitäten kann Apnoetauchen täuschend ruhig erscheinen, ein meditativer Tanz mit der Welt unter Wasser. Doch unter der ruhigen Oberfläche lauert eine Vielzahl physiologischer Anforderungen und potenzieller Gefahren. Gute Vorbereitung und starke Nerven sind unabdingbar für den Erfolg. Kann man eine Sportart, bei der es vor allem darauf ankommt, Adrenalin zu vermeiden, wirklich als „Extremsport“ bezeichnen?
Wir haben gesehen, dass Apnoetauchen auf den ersten Blick die Kriterien erfüllt, um als extrem zu gelten. Schauen wir uns nun die verschiedenen Gründe an, die gegen diese Einstufung sprechen:
Ein Spektrum an Erfahrungen: Apnoetauchen umfasst ein breites Spektrum an Aktivitäten. Apnoetaucher, die an Wettkämpfen teilnehmen, gehen bis an die Grenzen der Tiefe und der Zeit, während Freizeittaucher die Unterwasserwelt in geringeren Tiefen erkunden und sich dabei in einem Rahmen bewegen, den die meisten Menschen als „sicher“ bezeichnen würden.
Fokus auf Training und Technik: Wie bei jeder anderen Sportart sind auch beim Apnoetauchen richtiges Training und kontrollierte Techniken das A und O. Mit der richtigen Ausbildung und angemessenem Sicherheitsbewusstsein kann man sagen, dass Apnoetauchen ein lohnendes und relativ risikoarmes Erlebnis sein kann.
Verbindung zwischen Geist und Körper: Apnoetauchen kann eine meditative Übung sein, die eine tiefe Verbindung zwischen Geist und Körper herstellt. Die Konzentration, die erforderlich ist, um die Luft anzuhalten und unter Wasser zu navigieren, kann eine Quelle von innerem Friedens und der Selbsterkenntnis sein – das genaue Gegenteil eines Adrenalinschubs.
Auch wenn beim Apnoetauchen hohe Geschwindigkeiten wie beim Basejumping oder akrobatische Manöver wie beim Wingsuitfliegen keine Rolle spielen, stellt es doch eine ganz besondere und unvorhersehbare Art von Gefahr dar: den ständigen Kampf gegen unsere natürlichen Grenzen und die unnachgiebige Natur der Unterwasserwelt.
Daten und Fakten
Vielleicht hilft es, die Risiken des Apnoetauchens mit denen anderer Extremsportarten zu vergleichen, um zu verstehen, welchen Platz unser Sport im Gefahrenspektrum einnimmt:
Apnoetauchen: Bisherige Studien deuten darauf hin, dass Apnoetauchen trotz der möglicherweise geringeren Teilnehmerzahl häufiger tödlich endet als Gerätetauchen. Laut DAN lag die Todesrate zwischen 2006 und 2011 im Durchschnitt bei 59 Apnoetauchern pro Jahr. Flachwasser-Blackouts und unkontrollierte Aufstiege sind wichtige Risikofaktoren.
Base Jumping: Diese Extremsportart, das Fallschirmspringen Gebäuden und Geländemerkmalen, hat einen berüchtigten Ruf. Beim Base Jumping ist die Sterblichkeitsrate deutlich höher als beim Apnoetauchen, Schätzungen zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit eines Todesfalls bei 1 zu 60.
Fallschirmspringen: Trotz der inhärenten Gefahr ist die Zahl der Todesfälle beim Fallschirmspringen mit 15-20 pro 100.000 Sprünge deutlich geringer als beim Apnoetauchen. Dies ist auf strenge Sicherheitsvorkehrungen und die stetige Weiterentwicklung der Ausrüstung zurückzuführen.
Freeride-Skiing/Snowboarding: Hochgeschwindigkeitsabfahrten in unpräpariertem Gelände können zu schweren Verletzungen führen. Dennoch sind Todesfälle im Vergleich zum Apnoetauchen seltener. Die Statistiken konzentrieren sich eher auf Verletzungsraten, nicht auf Todesfälle.
Boxen: Zwischen 1890 und 2011 starben schätzungsweise 1.604 Boxer an Verletzungen, die sie sich im Ring zugezogen hatten. Im Durchnschnitt sind dies 13 Todesfälle pro Jahr.
Klettern: Die Verletzungsrate liegt bei 4,2 pro 1000 Kletterstunden, bei einer weltweiten Todesrate von etwa 30 Todesfällen pro Jahr.
Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass Statistiken zwar einen allgemeinen Überblick geben können, das tatsächliche Risiko bei jeder Extremsportart jedoch von Faktoren wie Erfahrung, Ausrüstung und Umweltbedingungen abhängt.
Dies macht eine Abschätzung des Risikos beim Apnoetauchens schwierig. Todesfallstatistiken haben aufgrund einer Reihe von Umständen ihre Grenzen.
Dunkelziffer: Vorfälle beim Apnoetauchen, insbesondere solche ohne tödlichen Ausgang, verschwinden oft unbemerkt in der Versenkung. Anders als Mannschaftssportarten kann Apnoetauchen eine einsame Angelegenheit sein. Stellen Sie sich vor, ein Taucher erleidet allein einen Flachwasser-Blackout (Bewusstseinsverlust aufgrund von Sauerstoffmangel) und ertrinkt. Derartige Vorfällen können gänzlich unbemerkt bleiben.
Unscharfe Grenzen zwischen den Welten: In der Datenerfassung wird häufig unzureichend zwischen Apnoe-Aktivitäten im eigentlichen Sinne (z. B. Speerfischen, Unterwasserfotografie, Apnoetauchen zu Freizeit- und Wettkampfzwecken) und Unfällen beim Gerätetauchen differenziert. Dies macht es schwierig, die mit dem Apnoetauchen verbundenen, spezifischen Risiken zu isolieren.
Sensationslust: Die mediale Aufmerksamkeit konzentriert sich oft auf Todesfälle bei Apnoe-Wettkämpfen. Dies könnte die Realität des Apnoetauchens in der Freizeit überschatten, wo verantwortungsbewusste Praktiken das Risiko erheblich reduzieren.
Fragmentierte Datenlandschaft: Beim Apnoetauchen gibt es keinen zentralen Dachverband, der Vorfälle rund um den Globus akribisch verfolgt. Die Datenerfassung kann verstreut oder auf bestimmte Regionen beschränkt sein, wodurch ein unvollständiges Bild entsteht.
Der Verletzungs-Eisberg: Statistiken über Verletzungen beim Apnoetauchen sind möglicherweise leichter verfügbar als Statistiken zu Todesfällen. Verletzungsstatistiken geben einen Einblick in die Art der möglichen Gefahren, erfassen jedoch nicht das gesamte Risikospektrum, vor allem nicht das Risiko von Todesfällen.
Apnoe-Weltmeisterschaft in Sharm El Sheikh
Was andere denken
Wir haben eine Umfrage durchgeführt, um zu erfahren, wie andere Menschen über dieses Thema denken. Von den über 100 Antworten kamen mehr als 60 von Menschen mit Erfahrung in anderen „extremen“ Sportarten, z. B. Kitesurfen, Klettern, Gleitschirmfliegen, Big-Wave-Surfen, Fallschirmspringen, Highlining, Mountainbiking oder Kampfsport. 66% der Teilnehmer waren ausgebildete Apnoetaucher; nur wenige schienen untrainiert zu sein.
Die Umfrage ergab Folgendes:
- 19,8% waren der Meinung, dass Apnoetauchen keine Extremsportart ist. 38,7% waren der gegenteiligen Meinung, 41,5% waren unentschlossen.
- Dennoch würden fast 90% Apnoetauchen einem Verwandten oder Freund ohne Bedenken empfehlen.
- für die Definition von „Extremsport“ wurden vor allem ein hohes Verletzungsrisiko und Adrenalinrausch als ausschlaggebend empfunden. Für manche Teilnehmer spielten auch unkontrollierbare Variablen wie Wetter und das Versagen der Ausrüstung eine Rolle. Die Zahl der Todesopfer war am wenigsten entscheidend.
- Über 50% der Befragten betreiben Apnoetauchen für ihr allgemeines Wohlbefinden. 20% wollen ihre Tiefe verbessern, und 40% möchten mehr Zeit unter Wasser verbringen.
- Auf einer Skala von 1 (ungefährlich) bis 5 (sehr gefährlich) bewertete etwa die Hälfte der Teilnehmer Apnoetauchen als durchnschnittlich gefährlich (Wert 3).
Fazit
Nach Abschluss unserer Untersuchungen kommen wir zu dem Schluss, dass Apnoetauchen insgesamt nicht in die Kategorie der Extremsportarten eingeordnet werden sollte.
Apnoetauchen nimmt auf der Risikoskala eine Sonderstellung ein. Auch wennwettkampforientiertes Apnoetauchen und Flachwasser-Blackouts Gefahren bergen, ist die Wahrnehmung des Apnoetauchens als Extremsportart größtenteils auf mangelndes Wissen und dramatisierte Medienberichte zurückzuführen. Als Freizeitsport mit der richtigen Ausbildung ist Apoetauchen erheblich sicherer als die meisten anderen Extremsportarten.
Letztlich hängt das Risiko bei jeder Aktivität vom Verhalten der Teilnehmer ab. Dies unterstreicht die Bedeutung von Sicherheitsregeln und Verantwortungsbewusstsein. Man sollte auch im Kopf behalten, dass Apnoetauchen nicht nur Sport ist: Es ist eine Lebensweise; eine Erkundungsreise, eine Methode zur Selbsterkenntnisg und zur Entwicklung einer tiefen Verbindung mit dem Meer. Es erfordert Verständnis des eigenen Körpers und seiner Grenzen. Es lehrt Menschen, sich in ungewohnten Situationen wohl zu fühlen und ihren Instinkten zu vertrauen. Richtig betrieben ist Apnoetauchen nicht extrem.
Quellen:
- https://www.ft.com/content/51b4821e-cc7d-4649-a583-77d45512dcd3
- https://www.wired.com/2015/02/logan-mock-bunting-freediving/
- https://e-surgery.com/the-deepest-breath-can-freediving-destroy-your-health/
- https://diventures.co/is-freediving-really-a-dangerous-sport/
- https://gitnux.org/most-dangerous-sports-statistics/
- https://apnealogy.com/freediving-death-rates-the-shocking-reality/
- https://gitnux.org/deepest-free-dive-records/#:~:text=in%20free%20diving.-,Freediving%20fatalities%20average%20about%20100%20divers%20per%20year%2C%20worldwide.,across%20the%20globe%20each%20year
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6200847/
Die Autorinnen
Charly stammt urpsrünglich aus Großbritannien und lebt seit sieben Jahren in Dahab (Ägypten). Bevor sie ihre Liebe für das Apnoetauchen entdeckte, tauchte sie drei Jahre lang mit Gerät in Zypern, Thailand und Ägypten. Dies tut sie immer noch hin und wieder zum Spaß, sie konzentriert sich jedoch in erster Linie auf ihr Training als Apnoetaucherin. Wenn sie nicht im Wasser ist, sitzt sie am Laptop und schreibt zu Tauchthemen.
Gen unterrichtet mit Leidenschaft Abenteuersportarten. Von tropischen Stränden bis hin zu ruppigen Berglandschaften hat sie an vielen Orten der Welt gelebt und ihre Fertigkeiten als Lehrerin für Apnoetauchen, Kitesurfing, Klettern und Yoga. Man findet sie in Dahab (Ägypten) und auf Instagram unter @gen.morris.travel
Der Übersetzer
Tim Blömeke unterrichtet Tech- und Sporttauchen in Taiwan und auf den Philippinen. Er ist Autor und freier Übersetzer, sowie Mitglied des Redaktionsteams von Alert Diver. Er taucht einen Fathom CCR. Im Netz erreicht man ihn über seinen Blog und auf Instagram.