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Tauchunfälle besser verstehen: der jährliche DAN-Bericht

Unfälle passieren bei allen menschlichen Aktivitäten. In einem Büro könnte ein unsachgemäß montiertes Regal eine lebensbedrohliche Gefahrenquelle darstellen. Beim Tauchen hingegen lauern Risiken in mehreren Bereichen, von der Ausrüstung bis hin zur Tauchtechnik, vom Kompressor zur Bootsleiter. Wir müssen überall an die Sicherheit denken.

Der DAN Annual Diving Report wurde nicht als Sündenregister zusammengestellt sondern als Erinnerung an uns selbst, dass Gefahren real sind, und als Mittel zur Vermeidung zukünftiger Unfälle.

“Wir können Risiken beim Tauchen niemals komplett eliminieren. Sichere Verfahren können diese Risiken jedoch deutlich reduzieren. Um sichere Verfahren effektiv zu nutzen müssen wir wissen, wann, wie, und wo sie anzuwenden sind.”

Dies sind die einleitenden Worte des Vorsitzenden und Geschäftsführers von DAN, William Ziefle, in seinem Vorwort zum DAN Annual Diving Report 2020.

Als Taucher wissen wir, dass unser Hobby im Vergleich zu vielen anderen relativ sicher ist, insbesondere im Vergleich zu Hobbies, die Ausrüstung erfordern oder in für Menschen under normalen Umständen lebensfeindlichen Umgebungen betrieben werden.

Wir wissen außerdem, dass Null Risiko eine Utopie ist. Nicht utopisch hingegen ist das Konzept der Risikominderung. Die Studie hat daher den Zweck, Bereiche zu identifizieren, in denen wir mit erhöhter Aufmerksamkeit bessere Sicherheit erzielen können.

Diese Aufgabe fühlt sich für Forscher jedoch gelegentlich an, als würden sie durch einen dichten Nebel aus Plankton blicken. Nicht alle Tauchunfälle werden gemeldet, und die Daten sind häufig über verschiedene Archive verteilt. In manchen Bereichen wurden lediglich Notrufe an DAN erfasset. In anderen wurde mehrere Kanäle herangezogen, von Google Alerts bis hin zu Berichten von Polizei und Küstenwache. Im Unterschied zur zivilen Luftfahrt kennt die Welt des Tauchens leider keine allgemeine Datenbank, in der alle Unfallberichte erfasst werden.

Grauzonen

Für das Jahr 2018 ermittelten die Forscher 189 Todesfälle mit direktem bezug zum Tauchen weltweit. 100 dieser Fälle ereigneten sich beim Sport- und Techtauchen, 59 beim Apnoetauchen, 13 beim Berufstauchen, 12 bei Polizei, Feuerwehr und Zivilschutz, und einer beim Militär. In vier Fällen lies sich der Bereich nicht ermitteln.

Während bei nicht tödlichen Unfällen die Ursache relativ leicht zu ermitteln ist, fehlen bei tödlichen Unfällen häufig Zeugenaussagen und Obduktionsberichte. Dieser Datenmangel hat eine Reihe von Ursachen, vom Schutz der Privatsphäre über die Dauer forensischer Untersuchungen bis hin zu Vorschriften örtlicher Behörden. Manchmal ist das Opfer der einzige Zeuge, und Aussagen überlebender Tauchpartner sind häufig unzuverlässig.

An dieser Stelle möchte ich mich kurz an die Tauchgemeinde wenden, insbesondere die Profis: Wie oft haben wir im Zusammenhang mit schweren Unfällen von auf mysteriöse Weise verlustig gegangenen Tauchcomputern gehört, oder von Opfern die in einem Wimpernschlag plötzlich aus dem Sichtfeld ihrer Tauchpartner verschwunden sind?

Schock spielt hier sicherlich eine Rolle. Scham und die Furcht vor Konsequenzen müssen jedoch ebenfalls in Betracht gezogen werden. Das Problem des unzuverlässigen Zeugen ist so alt, dass es in historischen Quellen zahlreicher Epochen dokumentiert ist. Auch wenn die Praktiken der Heiligen Inquisition der Vergangenheit angehören, bleibt die Furcht vor juristischen und moralischen Konsequenzen bestehen.

Taucher, die aufgrund von Untätigkeit oder Unfähigkeit den Unfall eines Partners nicht verhindert haben, löschen vielleicht alle Erinnerungen an ihr Scheitern aus der Erinnerung. Die Geschichtsschreibung ist sich bewusst, dass unser Wissen um die Umstände des Lebens in vergangenen Zeiten häufig verschwommen ist. Das Gleiche gilt für Versuche, die Sicherheit beim Tauchen zu verbessern. Dies sollte nicht als Kritik missverstanden werden. Wir müssen uns dieser Verzerrung jedoch bewusst sein, wenn wir Unfälle wissenschaftlich untersuchen wollen.

Ein klareres Bild

Zahlen sehen immer gleich aus, auch wenn sie aus verzerrten oder inkonsistenten Quellen stammen. Dieser Umstand veranlasste einen Professor der Universität Berkeley, Studien zum Klimawandel in Zweifel zu ziehen, wegen möglicher Verzerrung durch eine Konzentration in urbanen Wärmeinseln und Problemen bei der Qualität der Daten. Ein groß angelegtes Programm zur Datensammlung mit Bürgerbeteiligung begann. Die Analyse der neuen Daten ergab, dass die Erde tatsächlich wärmer wird, wie von früheren Studien nahegelegt.

Aussagen von Tauchpartnern betreffen häufig die Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen. In anderen Bereichen sind die Daten zuverlässiger und die Zahlen konsistent, insbesondere in Bezug auf Alter und medizinische Probleme. Es überrascht wenig, dass die unmittelbare Todesursache bei Tauchunfällen so gut wie immer Ertrinken ist. Die interessantere Frage ist, was das Ertrinken verursacht. Hier führt Herzstillstand die Liste an. Diese Einschätzung stützt sich auf Krankengeschichten mit Komorbidiäten wie Bluthochdruck, Arteriosklerose, Kardiomegalie, Asthma, Fettleibigkeit und (in Taucherkreisen selten diskutiert) Medikamente und Drogen. Die Altersgruppe zwischen 50 und 59 scheint am meisten gefährdet zu sein. Ältere Taucher haben ein höheres Unfallrisiko als Taucher unter 30.

Hier stellt sich eine weitere Frage: Haben ältere Taucher mehr Unfälle, oder altert die Tauchgemeinde insgesamt? Eines ist sicher: Sport- und Apnoetauchen, wo die meisten Unfälle stattfinden, sind Aktivitäten, die vorrangig in Ländern mit hohem Durchschnittsalter betrieben weren. Ein fehlender Generatioswechsel ist eine mögliche Erkärung.

Wege und Landkarken

Die eingehenden Anrufe bei der Notfall-Hotline von DAN Europe aus aller Welt, mit Unfällen von Barotrauma bis DCS, spiegeln die Verteilung europäischer Taucher in den jeweiligen Regionen wider. Ein Vergleich der Daten von DAN Europe mit anderen Quellen legt nicht nahe, dass manche Regionen gefährlicher sind als andere, oder dass das Altern an sich das Risiko erhöht. Was die Daten nahelegen ist jedoch, dass es Altersgruppen und Reiseziele mit mehr Tauchern gibt. Die Suche nach Antworten wirft neue Fragen auf.

Spiegeln die Prozetsätze männlicher und weiblicher Unfallopfer die Geschlechterverteilung unter Tauchern wider? Unter welchen Umständen haben Frauen mehr Unfälle als Männer und umgekehrt? Während die Suche nach Antworten neue ragen aufwirft, führt das utopische Streben nach Risikofreiheit zu Lösungen für mehr Sicherheit. Laut dem Bericht hat die Anzahl der Unfälle im Vergleich zum Durchschnitt des vergangenen Zehn-Jahres-Zeitraums deutlich abgenommen – jedenfalls für Staatsangehörige der USA und Kanadas.

In der Physik ist der absolute Nullpunkt eine rein theoretische Temperatur. Nichtsdestoweniger haben neue Technologien wie wasserstoffbasierte Kältetechnik reale Temperaturen von nur wenigen Grad über dem absoluten Nullpunkt möglich gemacht. Der Diving Annual Report beschreibt eine Etappe unserer Reise – ein Panorama. Wir werden diese Panorama betrachten und hoffentlich davon lernen.

*Ab 2023 werden Taucher in DAN-Berichten in folgenden Kategorien erfassst: Sporttauchen mit offenem Gerät, Tech-Tauchen mit offenem Gerät, Höhlentauchen und Rebreather-Tauchen.


Über den Autor

Claudio Di Manao ist PADI und IANTD Tauchausbilder und seit 1997 DAN Mitglied. Er ist Autor verschiedener Bücher und Romane über das Tauchen, u.a. Shamandura Generation, einem aufregenden Portrait der Tauch-Community in Sharm el Sheik. Er arbeitet für Magazine, Radiosender und Zeitungen und spricht bzw. schreibt über Tauchsicherheit, Meereslebewesen und Reisen.


Der Übersetzer

Tim Blömeke unterrichtet Tech- und Sporttauchen in Taiwan und auf den Philippinen. Er ist Autor und freier Übersetzer, sowie Mitglied des Redaktionsteams von Alert Diver. Er taucht einen Fathom CCR. Im Netz erreicht man ihn über seinen Blog und auf Instagram.

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