BALD BEI EINEM TAUCHCOMPUTER IN IHRER NÄHE

Vor nunmehr fünfundzwanzig Jahren wurden Tauchcomputer eingeführt und wurden schnell zu einem allgemein gängigen Ausrüstungsgegenstand. In dieser Zeit hat sich viel verändert, besonders in der Wissenschaft und Technologie. Trotz alledem hat sich die grundlegende Funktionsweise von Tauchcomputer kaum verändert. Natürlich können sie nun auch Nitrox und Trimix verarbeiten und einiger „Schnickschnack“ wurde auch noch hinzugefügt, aber die Algorithmen, die allen momentan käuflichen Tauchcomputern zugrunde liegen, basieren immer noch auf Haldanes Modell von unabhängigen parallelen Modellgeweben, ein Modell, dass uns schon seit einhundert Jahren geläufig ist. („Niemals!”, sagst du. “Was ist denn mit Blasenmodellen?” Immer mit der Ruhe, dazu kommen wir noch.)

Das alles wäre natürlich kein Problem, wenn Haldanes Modell auch funktionieren würde. Immerhin gibt es Haie in ihrer heutigen Form schon seit Ewigkeiten und wir halten sie nicht für überholt, sondern sind erstaunt über ihr beinahe perfektes Design, das für ihre Funktion und ihr Überleben ideal ist. Haldanes Modell ist weit davon entfernt. Sein anfänglicher Reiz bestand in seiner relativen Schlichtheit. Vorschläge für realistischere, ineinandergreifende Modelle gab es schon zu Zeiten der ersten Tauchcomputer und davor. Das Problem bestand nun darin, dass frühe Tauchcomputer sehr wohl Haldanes Modell anwenden konnten, ein komplexeres Modell hätte jedoch ihre Speicher- und Mikroprozessorkapazitäten hoffnungslos überfordert.

Heutzutage sind wir natürlich in einer ganz neuen Ära von Computerleistung und Speicherkapazitäten. Und unabhängige parallele Modellgewebe können genauer Überprüfung einfach nicht mehr standhalten. Eine Anzahl von medizinischen und physiologischen Studien haben die Raten untersucht, mit welchen verschieden Substanzen, inklusive Gase, sich in unseren Körpergeweben verteilen und wieder ausgewaschen werden. Das Fazit? Die Ergebnisse stimmten nicht mit dem Haldane Modell überein, in dem die Modellgewebe voneinander unabhängig waren, zeigten aber, dass wahrscheinlich eine ineinandergreifende Modellgewebeanordnung der Fall war.

Und hier eine „Vorschau“ auf das neue ineinandergreifende Modell, das höchstwahrscheinlich Teil Eurer Tauch-Zukunft1 wird: Saul’s ICM. Abbildung 1 zeigt die Grundlagen von, links, einem Modell nach Haldane und rechts, Saul’s ICM. Pfeile zeigen, wo Gase in Modellgewebe eindringen und wieder austreten können, so kann man die Unterschiede in der Konnektivität der beiden Modelle in der Abbildung leicht sehen. Etwas wenig offensichtlich ist, was die Modellgewebe in den verschiedenen Modellen darstellen. Jedes der Modellgewebe in Haldanes Modell stellt Gewebe dar, die zu Dekompressionskrankheit führen könnten. (Darum sind alle Kammern Rot: für Gefahr.) Gewebe, die nicht mit Dekompressionskrankheit in Verbindung gebracht werden, spielen in Haldanes einfachem Modell überhaupt keine Rolle.
Obwohl die Risiken aller drei Modellgewebe eines Haldane Modells in der Berechnung von Dekompressionsrisiken mit einbezogen sind, wird in der Praxis das Risiko für einen bestimmten Tauchgang hauptsächlich von den Risiken von nur einem Modellgewebe (dem “ausschlaggebenden Modellgewebe”) abgeleitet, mit wenig oder gar überhaupt keinem Einfluss von Seiten der anderen beiden Modellgewebe. In Saul’s ICM Modell hingegen, repräsentiert nur die zentrale “risikotragende” Kammer (in rot) Gewebe mit Dekompressionsverletzungsrisiko.

Die übrigen Kammern (in grün) stellen „ruhendes“ Gewebe dar (wie Fettgewebe) wo keine Dekompressionsverletzungen vorkommen. Ihre Rolle im Modell ist die von Auffangbehältern oder Speicher für überschüssige Gase. Zunächst, während der Kompressionsphase, fungieren diese Gewebe wie ein Überlaufbehälter und vergrößern so die Menge von Gasen, die aufgenommen werden können, ohne Schaden zu verursachen. Aber im weiteren Verlauf des Tauchganges werden immer mehr Gase aufgenommen und irgendwann ist „payback“ angesagt. Der Tauchgang endet und ihr beginnt euren Aufstieg. Die „übergelaufenen“ Gase sind in der Zwischenzeit aber nicht verschwunden. Während eurer Dekompression muss die risikotragende Kammer nicht nur die Gase, die bereits darin vorhanden sind ausscheiden, sondern außerdem noch die „payback“ Gase, die jetzt von den anderen Kammern zurückkehren. (Das macht übrigens langsame Aufstiege und Sicherheitsstops umso wichtiger.) Natürlich in Tauchgängen mit sehr niedrigem Risiko, würden sehr wenige Gase während der Kompression absorbiert werden und daher gäbe es nur geringe Konzentrationen von Gasen im risikotragenden Modellgewebe wie auch in den anderen Modellgeweben. Mit einer geringen Konzentration von Gasen in den Speichern, ist der payback sehr langsam und da das risikotragende Modellgewebe zur gleichen Zeit seine geringe Konzentration von Gasen ausscheidet, ist das Risiko von DCS geringer als es andernfalls sein wäre. Und wenn ihr darüber nachdenkt, wie der Körper als ein Ganzes funktioniert, macht das auf den ersten Blick auch Sinn. Aber man sollte immer zweimal hinschauen. Der wirkliche Test kommt, wenn man sich ansieht, wie das Modell selber funktioniert. Und hier wird deutlich, dass dieses Modell den herkömmlichen Modellen der Berechnung der Wahrscheinlichkeit von Dekompressionskrankheit weit voraus ist.

Was genau will ich damit sagen? Natürlich verfügen Modelle nicht über hellseherischen Fähigkeiten. Der Vergleich funktioniert folgendermaßen. In der Praxis werden Modelle von Gleichungen dargestellt. Im Grunde ist eine Gleichung nur eine Sequenz von mathematischen Abläufen, die ausgeführt werden, indem Zahlen in einer von zwei Arten benutzt werden: als Variablen oder als Konstante. In Tauchmodellen würden die Variablen normalerweise Sachen wie Zeit, Tiefe, ob der Tauchgang Dekompressionskrankheit zur Folge hatte oder nicht, darstellen, also Dinge, die sich mit den Daten verändern. Konstante sind Zahlen, die ein Teil der Gleichung sind, Zahlen die konstant bleiben, egal was für Daten eingegeben werden. Bevor ein Modell – welches im Wesentlichen zuerst einmal ein theoretisches Gerüst ist – benutzt werden kann, muss man es an ein Beispiel von tatsächlichen Daten oder Daten, die man zu finden hofft, angleichen. Dieser Vorgang nennt sich „Eichung“. Während der Eichung eines Modells auf Beispielwerte, mutet der Prozess ein wenig eigenartig an: die Variablen bleiben nämlich konstant (weil die Beispielwerte sich nicht verändern) während die Konstanten variieren (weil verschiedene Werte der Konstanten ausprobiert werden müssen, um zu prüfen, welche davon die Vorhersagen den Beispielwerten am Nächsten bringen). Wenn die besten Werte für die Konstanten bestimmt worden sind, kann das Modell in einen funktionierenden Algorithmus umgewandelt werden.

Ein Test der Vorhersagefähigkeit – der Einfachste – wäre, wie gut ein Modell zu den Daten passt, die benutzt wurden, um es zu eichen. Aber, in gewisser Hinsicht ist das auch der am wenigstens wichtige Test. Er ist ähnlich dem Vorhersagen der Vergangenheit. Man weiß bereits, was passiert ist und man baut sein Modell so, dass es mit dem was passiert ist übereinstimmt. Aber er ist nicht ganz wertlos, denn wenn das Modell diesen Test nicht besteht ist es erledigt. Trotzdem ist er nur ein Ausgangspunkt. Der nächste Schritt ist herauszufinden, wie gut das Modell mit anderen Daten funktioniert, die aber trotzdem den Eichungsdaten ähnlich sein sollten. Jetzt wird nicht mehr die Vergangenheit vorausgesagt. Wenn das Modell diesen Test besteht, erhält die Theorie ein wenig Konsistenz, wenn auch nur in einem eingeschränkten Wirkungskreis. Die meisten Modelle, die den ersten Test bestehen, bestehen auch den Zweiten.

Aber damit ein Test einem Modell wirkliche Aussagekraft verleiht, muss man herausfinden, wie gut es sich verhält, wenn das Risiko für Daten berechnet wird, die gänzlich außerhalb des Risikorahmens liegen, das das Eichungsprofil darstellt. Wie gut verhalten sich also Modelle, die mit Daten von mäßigen Risiken geeicht wurden, wenn sie für von Grund auf verschiedene Tauchgänge angewendet werden, bei denen das Risiko von Dekompressionskrankheit um einiges höher liegt? Gehen wir einmal vom Extremfall aus. Forscher der amerikanischen Marine haben sich Dekompressionskrankheits-Risikowerte von Sättigungstauchgängen im wirklichen „denk-nicht-mal-daran-daszu-Hause-zu-versuchen“ Bereich angeschaut. Das taten sie, um herauszufinden, welche Risiken ein Direktaufstieg von einem beschädigten U-Boot haben würde. Wegen des äußerst hohen Risikolevels haben sie hauptsächlich Ratten und Schweine für ihre Versuche verwendet aber sie waren auch fähig, auszurechnen, wie ihre mit Tieren erzielten Ergebnisse auf Menschen übertragen werden können.

Die Punkte zeigen das erwartete Risiko von Dekompressionskrankheit für jedes von drei Profilen an: alle waren Direktaufstiege von Luftsättigung auf 10, 12 oder 15 Meter Salzwasser (msw). Schauen wir uns einmal an, wie andere Modelle, die jeweils mit weniger risikobehafteten Tauchdaten geeicht wurden, sich bei der Berechnung der tatsächlich erhaltenen Resultate bewähren. Das Diagramm zeigt einige markante Unterschiede. Die Modelle die wir verglichen haben waren die folgenden: ein typisches Haldane Modell, das LE1, Saul’s ICM und Saul’s ICBM (eine Blasenversion von Saul’s ICM). Das LE1 gibt vor, den Blaseneffekt zu einem anderweitig typischen Haldean Modell hinzuzufügen. Wenn wir uns nun das Diagramm anschauen, sehen wir, dass Saul’s ICM sowohl als auch Saul’s ICBM den tatsächlichen Ergebnissen sehr nahe kommen (die mit der Sättigungstiefe sehr schnell ansteigen), während sowohl das Blasen- als auch das Nicht-Blasen-Haldane Modell beinahe geradlinigen Bahnen folgen, die die Risiken auf größeren Tiefen ernsthaft unterschätzen. Das Hinzufügen von Blasen hatte sowohl beim ineinandergreifenden als auch beim unabhängigen Modellgewebe Modell nur geringe Auswirkungen auf die Berechnungen, währen die Auswirkungen des Wechsels von einem unabhängigen zu einem ineinandergreifenden Modellgewebe Modell gewaltig sind.

Wie verhält es sich nun, wenn wir die Modelle in der entgegengesetzten, risikoarmen Richtung vergleichen, die dem gelegentlichen Sporttauchen eher entspricht? Wenn wir die Erkrankungsrate für um die 10,000 Tauchprofile mit Luft (von der DAN Project dive Exploration [PDE] Datenbank) analysieren, kommt das ineinandergreifende Modell der Voraussage der tatsächlichen Anzahl an Fällen die vorkamen am nächsten. Diese Tauchgänge führten zu nur 10 Fällen von Dekompressionskrankheit. Wenn wir ein paar einfache statistische Parameter anwenden, würde ein Modell, das zwischen 5 und 18 Fälle voraussagt, einigermaßen richtig liegen. Das LE1 Modell berechnete 51 Fälle, ein reines Haldane Modell 126, das ICM Modell hat 10 und das ICBM 11 Fälle voraussagen. Abermals übertreffen die ineinandergreifenden Modelle die Anderen. Also sind sie genauer sowohl bei Tauchgängen mit sehr hohen und mit sehr niedrigen Risiken.

Wenn ihr euch nur die risikoarmen Ergebnisse anschaut, gähnt ihr vielleicht und fragt euch, warum euch das interessieren sollte. Die herkömmlichen Modelle sagen also mehr Fälle voraus – na und. Heißt das nicht, dass sie konservativer sind als die ineinandergreifenden Modelle? Und ist das nicht eigentlich auch gut so, wenn es darum geht sicher zu bleiben? Die jeweiligen Antworten dazu lauten: „Nein“ und „Es kommt darauf an.“

Erinnert ihr euch noch an den Vergleich mit den hohen Risiken, den wir uns zuvor angeschaut haben? Die herkömmlichen Modelle haben das Risiko gefährlich unterschätzt. Das heißt, dass sie für diese Profile mit hohem Risiko nicht sicher sind. An sich gesehen macht das nicht viel, denn ihr würdet solche Profile sowieso nicht tauchen. Was aber wirklich schlimm ist, ist das ihre Berechnungen nicht dem richtigen Muster gefolgt sind. Das macht es möglich, dass ihre Berechnungen auch die Risiken von weniger gefährlichen Profilen mit moderatem Risiko, die ihr vielleicht durchführen würdet, gefährlich unterschätzen. Ist ein konservativeres Modell (das, wie wir gesehen haben, nicht unbedingt auf die momentan benutzten Modelle zutrifft) eine gute Sache? Möglicherweise, solange es genau ist. Das relative Risikolevel, dass ein Taucher bereit ist einzugehen ist eine persönliche Entscheidung. Aber ohne genaue Informationen seid ihr einfach nicht in der Lage, das wirkliche Ausmaß des Risikos einzuschätzen. Egal, ob ihr lieber die sicherste Option wählt oder ob ihr bereit seid, geringfügige Risiken einzugehen, der Schlüssel zum gewünschten Ziel liegt in Genauigkeit. (Natürlich konnte dieser Artikel nur eine kurze Übersicht über die Modelle und die dahinter stehende Forschung geben. Für ausführliche Informationen und zum Herunterladen von kürzlich erschienenen Fachartikeln wenden Sie sich bitte an die Webseite des Autors.)

Ich nehme an, dass Saul’s Modelle in recht naher Zukunft in Tauchcomputern auftauchen werden und dass sie letztendlich der neue Standard fürs Tauchen werden. In der Zwischenzeit ist eure beste Option, weiterhin nach den Vorgaben eurer Tauchcomputer zu tauchen, aber seid euch ihrer Grenzen bewusst. Wenn der Computer etwas wiederspricht, an das ihr euch vielleicht noch von Tauchtabellen oder dem Unterricht erinnert, schlagt den sichereren Weg ein. Und vor Allem: vernachlässigt nie eure Sicherheitsstops.

Abbildung 1

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