Foto: Marcello Di Francesco
Sonderbeiträge

Daten verstehen: die DAN-Unfallstatistik

Ein Kommentar zum DAN-Jahresbericht zeigt, wie Fehler beim Tauchen, Ausrüstungsprobleme und Nachlässigkeit in Gesundheitsfragen zu Unfällen beitragen. Außerdem werden Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Verletzungsrisiken und zur Wichtigkeit einer robusteren Sicherheitskultur betont.


Jeder einzelne Tauchunfall betrifft uns direkt. Unfälle erinnern uns daran, dass unser wundervolles Hobby ständige Aufmerksamkeit und zutreffende Informationen erfordert. Beim Lesen in den im DAN-Jahresbericht untersuchten Fällen (hier eine Einführung zum Report) fällt ins Auge, dass Nachlässigkeit, Fehleinschätzungen, fehlende Ausrüstungskontrollen, Ignorieren medizinischer Probleme, sowie der Konsum von mit dem Tauchen inkompatiblen Substanzen wie Drogen und Medikamenten häufig eine Rolle spielen.

Ich wurde gebeten, meine Reaktion als Taucher zu beschreiben. Hier ist sie:

Die Wahrnehmung der Gefahr

Bei der Recherche für diesen Artikel stieß ich auf eine interessante Maßeinheit aus anderen Quellen: das Mikromort. Ein Mikromort bezeichnet eine Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million, bei einer bestimmten menschlichen Aktivität – einschließlich Joggen oder Zähneputzen – zu Tode zu kommen. Auf den ersten Blick könnte diese Einheit wie ein Witz erscheinen, doch das wäre weit gefehlt: Die Idee wurde im Jahr 1980 von Professor Ronald A. Howard an der Standford University eingeführt. Mikromort-Werte für die gleiche Aktivität können regional und für vierschiedene demografischen Gruppen Unterschiede aufweisen.

Gemäß zweier Umfragen, durchgeführt als Mitgliederbefragungen von DAN und BSAC im Jahr 2010, liegt das Todesrisiko beim Tauchen bei etwa 5 Mikromort pro Tauchgang – oder 5 Todesfälle pro Million Tauchgänge. Zum Vergleich: Die United States Parachute Association berichtet ein Todesrisiko von 9 Mikromort je Sprung (einschließlich Basejumping). Eine Reise von 1000 km mit dem Motorrad oder 170 km zu Fuß ist bereits 10 Mikromort wert. Eine Reise von 1000 km mit dem Motorrad oder 170 km zu Fuß ist bereits 10 Mikromort wert, und ein Versuch, das Matterhorn zu besteigen, schlägt mit 2840 Mikromort zu Buche.

Sich diese statistische Einheit als Henkersbeil vorzustellen, das je eine Million Tauchgänge auf die Häupter von fünf Tauchern niederfällt (ausschließlich DAN- und BSAC-Mitglieder, in diesem Fall), wäre grundfalsch. Statt dessen helfen diese Zahlen dabei, die Gefährlichkeit verschiedener menschlicher Aktivitäten zu vergleichen und so Vorurteile und Widerstände auszuräumen – wie zum Beispiel auch beim Impfen.

Der DAN-Jahresbericht erklärt uns, dass unvorhersehbare oder unbekannte Faktore insbesondere bei tödlichen Unfällen in den seltensten Fällen eine Rolle spielen. Er sagt uns, dass es der Tauchgemeinde, in der Vorbehalte gegen das Tauchen selbst seit Langem ausgeräumt sind, an einer sehr wichtigen Qualität mangelt: einer robusten Sicherheitskultur.

Der Faktor Mensch

Der Blick auf die Einzelheiten von Tauchunfällen ist alles andere als angenehm. Der Bericht enthält Beschreibungen von herzzerreißenden Unfällen, in denen die Tragik jeden Gedanken an Verurteilungen verschwinden lässt. Wären diese Taucher besser informiert oder ausgebildet, hätten sie sich genauso verhalten? Wären sie die gleichen Risiken eingegangen? Konzepte wie Mikromort kollidieren mit Welten, die aus Regeln, Standards, und Verfahren bestehen. Die Wahrscheinlichkeit von Unfällen ist kein Zufall, und keine Lotterie.

Unfälle werden seltener. Laut dem Jahresbericht 2018 sank die Anzahl erheblich im Vergleich zum Durchschnitt des vorangehenden Jahrzehnts, doch selbst diese Zahlen sagen wenig aus. Es ist traurig zu lesen, dass ein weiterer Todesfall durch ein altbekanntes Problem verursacht wurde: die Inkompatibilität von metrischen mit zölligen Flaschenventilen. Vor Zusammenbau eines Ventils empfiehlt sich die sorgfältige Lektüre der technischen Daten, da bei einem Fehler das Flaschenventil sich in ein kleinkalibriges Artilleriegeschoss verwandelt.

Dann las ich über einen Vorfall mit Aluminiumoxid. In einem Fall gelangte das weißliche Pulver in die Lungen eines Tauchers und verursachte eine Lungenentzündung. Die einzige Erklärung ist, dass das Aluminiumoxid in der Flasche ein Aerosol gebildet haben muss, was durch regelmäßige Flaschenwartung zu vermeiden gewesen wäre.

Unfälle mit Sauerstoff an Land bleiben eine traurige Realität. Die Bilder der Brandverletzungen sollten eine wirksame Abschreckung sein. Brandwunden, auch solche, die nicht lebensbedrohlich sind, gehören zu den schmerzhaftesten und am schwierigsten zu therapierenden Verletzungen. Auch am Kompressor nichts Neues: Peitschende Hochdruckschläuche können mit bis zu 300 kg/cm2 zuschlagen.

Die Landkarte der Unfallverteilung entspricht der Landkarte der beliebtesten Tauchreiseziele

Eine von Millionen Fahrzeugen befahrene Straße sieht mehr Unfälle als eine Straße mit nur zehntausend Fahrzeugen. Anzahl und Herkunft der bei den verschiedenen DAN-Organisationsn eingehenden Anrufe zeichnen eine Landkarte der beliebtesten Reiseziele von Tauchern aus Nordamerika, Europa, bzw. Australien. Disziplin und Urteilsvermögen sind wichtig (bei Tauchern wie bei Autofahrern), doch im großen und Ganzen entspricht die geografische Verteilung der Unfälle der Verteilung der Reiseziele.

Es dürfte niemanden überraschen, dass Taucher aus den USA in Florida, Hawaii und Mexiko meisten Unfälle erleiden. Italien überrascht: Die Anzahl der Anrufe aus Italien liegt leicht unter der von Thailand, gefolgt von Indonesien, Ägypten, Malta und den Malediven. Obwohl die zwei letzteren zu den beliebtesten Reisezielen europäischer Taucher zählen, liegen sie bei den Notrufen weit hinten. Wenn man nicht auf Klischees aus den sozialen Medien zurückgreifen möchte, erfordert die Antwort auf die Frage, warum diese Daten so sind, wie sie sind, mehr Daten. Und Antworten führen selbstredend zu mehr Fragen.

Sind Frauen stärker gefährdet als Männer?

Barotrauma und Dekompressionskrankheit (DCS) führen die Liste der nicht tödlichen Unfällen an. Bei den DCS-Fällen sind solche mit neurologischen Symptomen leider die häufigsten. Bei der Lektüre der von DAN untersuchten Fälle fällt eine seltsame Zahl ins Auge: Von den 16 DCS-Opfern, deren Geschlecht bekannt ist, waren 7 Frauen. DCS-Fälle bei Frauen betrafen außerdem in den meisten Fällen auch die Haut. Diese Zahlen sind seltsam, da wir wissen, dass es deutlich mehr Taucher als Taucherinnen gibt.

In der Statistik der Anträge auf Krankentransporte finde ich erneut bemerkenswerte Zahlen: in der Altersgruppe von 30-69 erscheint die Anzahl der Frauen viel zu hoch. In den Altersgruppen von 30-39 und 50-59 sind sogar mehr Frauen als Männer vertreten. Es entsteht der Eindruck, dass Frauen, in absoluten Zahlen ausgedrückt, fast so viele Tauchunfälle erleiden wie Männer. Dabei wissen wir jedoch, dass Frauen im Tauchsport prozentuell deutlich in der Mindeheit sind.

Vielleicht liege ich daneben, und natürlich haben persönliche Beobachtungen keinerlei wissenschaftlichen Wert: Ich erinnere mich jedoch an viele “unverdiente” DCS-Fälle bei Kolleginnen. Außerdem erinnere ich mich an eine Studie an Mäusen, die vor fast zwanzig Jahren auf einen Konferenz in Sharm el Sheikh präsentiert wurde. In der Studie wurde eine Korrelation zwischen einem hohen Testosteronspiegel und niedriger DCS-Inzidenz gezeigt. Verzeihen Sie mir, wenn ich die Studie nicht finden kann: Das Portal, für das ich den Artikel geschrieben hatte und meine beim Versand genutzte E-Mail-Adresse existieren beide nicht mehr.

Beim Stöbern in aktuellen wissenschaftlichen Studien bemerkte ich jedoch, dass die Diskussion, warum Frauen anscheinend anfälliger für DCS sind, alles andere als vorüber zu sein scheint. Was Testosteron anbelangt, bin ich allerdings der festen Überzeugung, dass ein Überschuss an diesem Hormon Taucher vor allem vor einer bestimmten Art Unfall wenig schützt: der Art Unfall, die im Kopf des Tauchers beginnt. Ja, der DAN-Jahresbericht liefert Antworten, wirft aber auch Fragen auf – that’s science, baby!


Über den Autor

Claudio Di Manao ist PADI und IANTD Tauchausbilder und seit 1997 DAN Mitglied. Er ist Autor verschiedener Bücher und Romane über das Tauchen, u.a. Shamandura Generation, einem spannenden Portrait der Tauch-Community in Sharm el Sheik. Er arbeitet für Magazine, Radiosender und Zeitungen und spricht bzw. schreibt über Tauchsicherheit, Meereslebewesen und Reisen.


Der Übersetzer

Tim Blömeke unterrichtet Tech- und Sporttauchen in Taiwan und auf den Philippinen. Er ist Autor und freier Übersetzer, sowie Mitglied des Redaktionsteams von Alert Diver. Er taucht einen Fathom CCR. Im Netz erreicht man ihn über seinen Blog und auf Instagram.

Artikel herunterladen

Ähnliche Artikel

Sonderbeiträge

Tauchen oder nicht tauchen?

Wir alle wissen, dass es schwer ist, einem Tauchgang zu widerstehen. Doch auch mit einem ärztlichen Attest in der Tasche gibt es Situationen, in denen...

19 November 2024
Sonderbeiträge

Ist Apnoetauchen ein Extremsport?

Als ich die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 am Fernseher verfolgte und die Perfektion der Athletinnen und Athleten bewunderte, fragte ich mich, ob ich wohl...

29 Oktober 2024
Sonderbeiträge

Die 5 häufigsten Gründe, warum Versicherungsansprüche abgelehnt werden

Wenn es um Versicherungspolicen geht, gibt es nichts frustrierenderes als einen abgelehnten Zahlungsanspruch. Was nutzt schließlich eine Versicherung, wenn sie entstehende Kosten nicht deckt? Bei...

08 August 2024

Tauchen Sie in die
neuesten Geschichten ein,
bevor es andere tun.

Abonnieren Sie den
Alert Diver
Newsletter.