DCI in Hirn und Rückenmark

Das Tauchboot befand sich sieben Stunden von der nächsten Küste entfernt. DAN beauftragte einen Rettungshubschrauber, um den Taucher zum nächsten Krankenhaus und zur nächsten Druckkammereinrichtung zu transportieren.

Der Taucher
Der Taucher war ein 58 Jahre alter Tauchlehrer, der vor mehr als 30 Jahren sein erstes Brevet erhalten hatte. Über die Jahre hatte er Hunderte von Tauchgängen absolviert, allein im vergangenen Jahr waren es mehr als hundert. Für seine Größe hatte er Übergewicht, aber er führte einen aktiven Lebensstil. Er litt unter Schmerzen im unteren Rückenbereich, bis auf gelegentliches Ibuprofen nahm er aber keine Medikamente ein.

Die Tauchgänge
Der Taucher buchte einen Wochenend-Tauchtrip zu einer den USA vorgelagerten Inselgruppe im offenen Meer. Er unternahm sechs Tauchgänge innerhalb von zwei Tagen. Am ersten Tag führte ihn sein tiefster Tauchgang auf 34 Meter. Dieser Tauchgang war dekompressionspflichtig. Am zweiten Tag unternahm er drei Tauchgänge; die ersten beiden gingen auf 30 Meter, der dritte auf maximal 25 Meter. Alle Tauchgänge waren Multilevel-Tauchgänge, am zweiten Tag gab es keine Dekompressionsverpflichtung. Er verwendete bei allen Tauchgängen einen Tauchcomputer, hielt Sicherheitsstopps ein, atmete Pressluft und hatte keine Probleme mit seiner Ausrüstung oder während des Aufstiegs.

Die Komplikationen
Etwa 20 Minuten nach dem Auftauchen vom letzten Tauchgang, beim Ablegen der Ausrüstung, verspürte der Taucher einen Schmerz im Unterleib, fast wie bei einem Magenkrampf; dieser wanderte langsam hoch in den Brustbereich und umgab den unteren Rumpf. Taubheit und Schwäche im linken Arm kamen hinzu, dann Rückenschmerzen. Die Bootsbesatzung bemerkte, dass er zunehmend Anzeichen für eine erhöhte Stressbelastung aufwies und nicht mehr effektiv kommunizieren konnte. Sie ließen den Taucher unverzüglich Sauerstoff mit hoher Gasflussmenge über eine Gesichtsmaske atmen und nahmen dann Kontakt mit DAN auf, um einen Transport zum US-amerikanischen Festland zu organisieren. Das Boot befand sich sieben Stunden von der nächsten Küste entfernt. DAN beauftragte einen Rettungshubschrauber, um den Taucher zum nächsten Krankenhaus und zur nächsten Druckkammereinrichtung zu transportieren, die beide in der Lage waren, einen verletzten Taucher zu versorgen.

Die Behandlung
Der Taucher gelangte etwa sechs Stunden, nachdem er von seinem letzten Tauchgang aufgetaucht war, in die klinische Versorgung. Bei der Aufnahme litt er an Schwäche in den Beinen und konnte weder gehen noch stehen, aber er konnte kommunizieren, und seine Stressbelastung war merklich zurückgegangen. Die Schmerzen im Unterleib, die Taubheit und Schwäche im linken Arm waren beinahe verschwunden. Kurz nach der Aufnahme erhielt er eine Druckkammerbehandlung nach U.S. Navy Tabelle 6 (s. Textkasten an der Seite). Noch am gleichen Tag erhielt er eine weitere Behandlung nach Tabelle 6 und am folgenden Tag eine dritte dieser Art. Jedes Mal verspürte er ein weiteres Zurückgehen seiner Symptome. Schließlich waren alle Symptome beseitigt, bis auf seine Rückenschmerzen. Am letzten Behandlungstag erhielt er zwei zweistündige Behandlungen, um seine Rückenschmerzen zu beseitigen. Die Rückenschmerzen gingen allerdings nicht weiter zurück, und er wurde mit anhaltenden leichten Schmerzen entlassen.

Nachbesprechung
Es handelt sich hier um eine schwere paralytische Form von Dekompressionskrankheit (DCS), die manchmal zu bleibenden Behinderungen führen kann. In diesem Fall verschwanden die neurologischen Symptome vollständig, abgesehen von den leichten Rückenschmerzen des Tauchers, die augenscheinlich durch die neuerliche Reizung einer Altverletzung hervorgerufen wurden. Die vollständige Erholung des Tauchers von seinen neueren Symptomen könnte den positiven Auswirkungen des normobaren Sauerstoffs zugeschrieben werden, den er frühzeitig auf dem Tauchboot und während des Transports zum Krankenhaus zu atmen bekam. Er hatte das Glück, so rechtzeitig Hilfe zu bekommen, dass man für den Transport über eine beträchtliche Distanz noch bei Tageslicht einen Helikopter organisieren konnte. Bei Fällen von DCS mit Lähmungserscheinungen ist der Ausgang nur schwer vorauszusagen, aber eine rasche Beurteilung, die sofortige Sauerstoffgabe und der Transport zu einer Druckkammer noch innerhalb von Stunden nach dem Auftreten der Symptome haben diesem Taucher sicherlich geholfen. Er konnte nach Ablauf der empfohlenen Erholungszeit das Tauchen und seine Tätigkeit als Tauchlehrer wieder aufnehmen.

Was bedeutet Tabelle 6?
Eine Behandlung nach Tabelle 6 dauert mindestens 4 Stunden und 45 Minuten. Sie wird überall dort angewendet, wo Sauerstoff verfügbar ist, denn Sauerstoff unter Druck zu atmen hilft den überschüssigen Stickstoff aus den Geweben auszuwaschen. Die Behandlung kann auf bis zu acht Stunden ausgedehnt werden, je nach Schwere der Symptome. Während einer solchen Behandlung atmet der Taucher über eine Maske, die der von Kampfjet-Piloten ähnelt, 100 Prozent Sauerstoff, oder er trägt eine Klarsichthaube, die den Kopf umschließt.

Eine Behandlung nach Tabelle 6 beginnt mit einem ‚Abstieg‘ auf einen Druck entsprechend der Tiefe von 18 Metern Salzwasser (msw). Nach der jeweils festgelegten Zeitspanne wird er mit einer ‚Aufstiegsgeschwindigkeit‘ von 0,3 msw pro Minute auf den Druck einer Tiefe von 9 msw gebracht. Der längste Teil der Behandlung wird auf einer Tiefe von 9 msw verbracht. Anschließend wird man mit einer Aufstiegsgeschwindigkeit von 0,3 msw pro Minute wieder auf Umgebungsdruck gebracht. Wenn die Symptome weiter bestehen, können Folgebehandlungen durchgeführt werden, die gewöhnlich kürzer ausfallen.

Neurologische DCI – die Symptome traten nach einem tiefen, technischen Dekompressionstauchgang auf Joel Dovenbarger, Vizepräsident, DAN America Medical Services

Die Taucherin
Die Taucherin ist 27 Jahre alt und Tauchlehrerin; ihre eigene Brevetierung liegt Jahre zurück. Sie war als Technical Diver zertifiziert und hatte mehr als 250 Tauchgänge unternommen. Sie gab an, Medikamente gegen Angstzustände einzunehmen. Sie hatte zuvor keine Verletzungen erlitten und war in einem guten Gesundheitszustand. Der fragliche Tauchgang war ihr erster dekompressionspflichtige Tauchgang als Teilnehmerin eines Kurses.

Der Tauchgang
Der Tauchplan führte die Taucherin auf ihrem ersten dekompressionspflichtigen Ausbildungstauchgang 20 Minuten auf eine Tiefe von 46 Metern. Sie atmete Pressluft aus einem offenen Atemsystem, trug einen Trockentauchanzug zum Kälteschutz und verwendete ein Tarierjacket. Sie hatte mit dem Trockentauchanzug zuvor mehr als 20 Tauchgänge in Tiefen von 6 bis 18 Metern unternommen. Vor diesem Ausbildungstauchgang hatte die Taucherin Tabellen für die Tauchgangsplanung und alle Eventualitäten verwendet; bei diesem Tauchgang verließ sie sich auf ihren Tauchcomputer.

Zwei Schüler, ein Tauchlehrer und ein Tauchlehrer-Assistent unternahmen zusammen diesen Tauchgang. Die Taucherin erreichte die planmäßige Tiefe und begann mit ihren Praxisübungen, darunter zwei ‚Valve Shutdowns‘ [Auf- und Zudrehen sämtlicher vorhandener Flaschenventile mit vorherigem Wechsel des Atemreglers] und Schwimmen ohne Maske. Die Sicht war mäßig, der Taucherin war kalt, und sie bemerkte die Vorzeichen eines Anzug-Squeeze [Quetschwirkung des Trockentauchanzugs bei unzureichender Belüftung], was sich zusätzlich negativ auf ihr Unwohlsein auswirkte. Sie absolvierte alle Übungsaufgaben ohne Probleme, aber sie litt unter Narkosewirkungen [durch den Stickstoff in der Tiefe]: Sie hatte Tunnelblick, ihr Denken war verlangsamt und sie schilderte, dass ihr alle Gegenstände orange eingefärbt erschienen.
 

Dekompression und Aufstieg nahmen etwa eine Stunde in Anspruch. Die Taucher verwendeten für die erforderlichen Dekompressionsstopps höhere Sauerstoffkonzentrationen; beim letzten Stopp auf 6 Meter atmeten sie reinen Sauerstoff. Die Taucherin berichtete, dass der Tauchgang trotz der Probleme in der Tiefe planmäßig verlief. Der Tauchlehrer äußerte, sie habe ihre Übungen gut ausgeführt. Keiner der anderen Taucher berichtete von Narkoseerscheinungen oder anderen Problemen. Nachdem sie das Wasser verlassen hatte, bemerkte sie, dass ihre Haut an den Stellen, wo sie ihr Trockentauchanzug eingeschnürt (und dort möglicherweise die Blutzirkulation behindert) hatte, Spuren aufwies. Nun wurde ihr bewusst, dass sie während ihres Tauchgangs nicht gerade viel Luft in ihren Trockentauchanzug eingelassen hatte. Sie behauptete, ihre Narkoseerscheinungen waren derart heftig gewesen, dass sie nicht merkte, wie sehr sie ihr Anzug zusammenquetschte. Sie hatte während des Tauchgangs keine Tarierprobleme.

Die Komplikationen
Ungefähr eine Stunde nach dem Tauchgang bemerkte sie einen dumpfen Schmerz in ihrer rechten Hand, begleitet von leichtem Taubheitsgefühl und Prickeln. Zwanzig Minuten später verspürte sie einen puckernden, dumpfen, krampfartigen Schmerz in ihrem rechten Handgelenk und Ellbogen. Als sie einem befreundeten Ausbilder über ihre Symptome berichtete, leistete dieser ihr Erste Hilfe mit Sauerstoff: Sie atmete 100 Prozent Sauerstoff über ein Demandventil [bedarfsgesteuertes Atemventil]. Während der nächsten 30 Minuten begann ihre Schulter zu schmerzen, und ein allgemeiner Juckreiz breitete sich über ihren Rumpf und unter ihren Armen aus. Danach entwickelte sich ein roter, unregelmäßig marmorierter Ausschlag an der Rückseite beider Schultern, im unteren Bauchbereich und auf ihrem rechten Arm und Bein. Sie berichtete außerdem über extreme Übelkeit und Erschöpfung.

Diagnose und Behandlung
Unter der Atmung von Sauerstoff hatten sich ihre Symptome nur leicht gebessert, und so wurde sie ins nächste Krankenhaus gebracht, wo man bei der Erstuntersuchung ihre extreme Erschöpfung und Benommenheit feststellte. Sie wurde dann an ein weiteres Krankenhaus überwiesen, das über eine Druckkammer zur Behandlung von Tauchern verfügte. Ihre Druckkammerbehandlung begann fünf Stunden nach dem Auftreten der ersten Symptome. Nach der ersten Rekompressionsbehandlung waren die Symptome auf ihrer Haut nicht mehr so gravierend, aber sie hatte Schwierigkeiten, ohne Unterstützung gehen oder stehen zu können. Sie erhielt eine Behandlung nach U.S. Navy Tabelle 6, die sich vorteilhaft auswirkte; ihre Schmerzen, das Prickeln, die Benommenheit und der Hautausschlag waren verschwunden.
 

Am nächsten Tag verspürte sie erneut leichte Schmerzen in Gelenken und Muskeln, und sie suchte die örtliche Klinikeinrichtung und Druckkammer auf, um sich nochmals untersuchen zu lassen. Die Taucherin bemerkte, dass ihr schwindlig war, und die Mediziner sahen, dass sie beim Gehen oder Stehen wackelig wirkte. Man unterzog sie einer weiteren Behandlung nach U.S. Navy Tabelle 6. Das Ergebnis war eine leichte Besserung ihres Schwindelgefühls und ihrer Schmerzen, aber während der folgenden drei Wochen lösten sich alle ihre Symptome auf. Zwei Monate später nahm die Tauchlehrerin die Schwimmbadausbildung wieder auf, aber sie unternahm vier Monate lang keine tiefen Tauchgänge. Seitdem sie wieder taucht, kam es zu keinen erneuten Symptomen.

Nachbesprechung
Symptome, die unmittelbar nach dem Tauchen auftreten, sind immer verdächtig, insbesondere wenn sie ungewöhnlich sind oder zum ersten Mal vorkommen. DCS in der Haut, wie Hautausschlag, marmorierte oder fleckige Haut tritt selten auf, aber laut den Fallberichten von DAN häufig in Verbindung mit Tauchen in kaltem Wasser. Laut dem jährlich erscheinenden ‚DAN Report on Decompression Illness, Diving Fatalities and Project Dive Exploration‘ [DAN Report über DCI, tauchbedingte Todesfälle und das Projekt ‚Dive Exploration‘], treten die meisten Symptome einer Dekompressionserkrankung (DCI) innerhalb von drei Stunden nach einem Tauchgang auf.

Das frühzeitige Auftreten und ein schnelles Fortschreiten dieser Symptome deuten oftmals auf einen schweren Fall von DCI hin, der möglicherweise schwierig zu behandeln ist. Obwohl die ausgebildeten Taucher überrascht waren, als die Symptome unerwartet bei der verletzten Taucherin auftraten, begannen sie unverzüglich mit der Sauerstoffgabe und transportierten sie anschließend ins nächstgelegene Krankenhaus. Wahrscheinlich war dies von großer Bedeutung für die späte, aber immerhin vollständige Genesung der Taucherin.
 

Ein weiterer wichtiger Punkt war in diesem Fall, dass die Taucherin in eine Einrichtung gebracht wurde, in der sie untersucht, diagnostiziert und richtig behandelt werden konnte. Es war die richtige Entscheidung, die nächste medizinische Einrichtung aufzusuchen: Wenngleich die erste Einrichtung keine Taucher behandeln konnte, können alle Kliniken doch eine neurologische Untersuchung durchführen, intravenös Flüssigkeit zuführen, Sauerstoff verabreichen und, falls nötig, einen medizinisch betreuten Transport organisieren. Dieses Krankenhaus war darin keine Ausnahme: Das medizinische Personal konnte die Taucherin stabilisieren und die Notwendigkeit einer Rekompression klären.

DCI-Symptome können vor und nach der Behandlung kommen und gehen. Zudem werden diese Erscheinungen nicht immer mit einer einzelnen Behandlung beseitigt. Das gilt insbesondere für Fälle, bei denen sich die Symptome von simplen Gelenk- oder Muskelschmerzen zu einem allgemeinen Erschöpfungszustand und Schwierigkeiten beim Gehen oder Stehen entwickeln, wie bei dieser Taucherin. Man sollte sich weiterhin vom behandelnden Arzt untersuchen lassen und bei aufkommenden Fragen DAN anrufen. Das Erkennen der Symptome, Erste Hilfe mit Sauerstoff, eine ärztliche Untersuchung und die Behandlung sind zusammen genommen die richtige Reaktion auf eine DCI.

Die Taucherin meldet sich zu Wort
"Diese Erfahrung machte mir die Bedeutung aller Einzelaspekte bewusst. Wenn ich zurückschaue, war ich vor dem Tauchgang einfach noch nicht vertraut genug mit meinem Trockentauchanzug. Ich habe der Tatsache nicht genug Bedeutung beigemessen, wie wichtig es ist, einen Anzug-Squeeze zu vermeiden, also eine Situation, in der die Blutzirkulation beeinträchtigt wird und durch die das Unwohlsein während des Tauchgangs zunehmen kann. Der Anzug-Squeeze und die extreme Kälte könnten zu der Deko in der Haut mit Hautausschlag geführt haben, die ich erlitten habe. Außerdem war mir bewusst, dass ich starke Narkoseerscheinungen hatte. Ich hätte bei meinen Dekompressionsstopps also konservativer sein und länger als die Mindestzeit verweilen müssen, denn der Tauchgang brachte für mich eine große Stressbelastung mit sich.

Nachdem alles vorüber ist muss ich sagen, dass dies die wahrscheinlich wichtigste Taucherfahrung war, die ich jemals hatte. Nicht, dass ich dies jemals irgendjemandem empfehlen würde, aber dieses Erlebnis hat mir nochmals mehr die Bedingungen zu Bewusstsein gebracht, die einen Tauchgang umgeben, und Wege aufgezeigt, wie man Faktoren reduzieren kann, die zu einer Dekompressionserkrankung führen könnten, insbesondere bei einem technischen Tauchgang. Mir macht das Tauchen immer noch großen Spaß, aber wenn ich jetzt tauchen gehe, denke ich über alles nach und gehe die Themen durch, die möglicherweise zu Problemen führen könnten, bevor diese sich mir aufdrängen."

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