Ein Ärger kommt selten allein

Der Taucher
Der Taucher ist ein 43 Jahre alter Divemaster mit zusätzlichen Specialty-Brevets. Er ist in guter körperlicher Verfassung, ohne nennenswerte medizinische Vorkommnisse in der Vergangenheit und ohne jegliche tauchbedingte Verletzungen; er nimmt keine Medikamente regelmäßig ein. Er ist seit fünf Jahren Taucher und unternimmt jährlich im Schnitt 40 Tauchgänge. Vor dem im Folgenden beschriebenen Vorkommnis hatte er in jenem Jahr vier Tauchgänge hinter sich.

Der Taucher hatte einen guten Mix an Taucherfahrungen angesammelt, von kaltem Süßwasser bis hin zu Tauchgängen im Karibischen Meer. Vor fünf Jahren wurde bei ihm die ‘Zerrung’ eines Rückenmuskels diagnostiziert; diese wurde erfolgreich behandelt, und er hatte seitdem keinerlei Symptome. Er betreibt regelmäßig Sport, ohne Beschwerden.

Die Tauchgänge
Die Ausgangsbasis für den Tauchgang war ein Fluss, tief genug für einen Wracktauchgang. Die Wassertemperatur betrug 18°C, die Luft hatte zwischen 18 und 19°C. Er beschrieb die Sicht mit etwa 3 Metern, und er musste gegen eine Strömung von 4 Knoten anschwimmen.

Beide Tauchgänge unternahm er mit Pressluft als Atemgas, unter Verwendung eines Tauchcomputers. Der Computer des Tauchers verfügt über einstellbare Algorithmen. Seine vorherigen Tauchgänge hatten in warmen Meeresgewässern stattgefunden, und er hatte den am wenigsten konservativen für die Tauchgänge ausgewählt. Für die Tauchgänge dieses Tages in dem kälteren Gewässer verwendete er das gleiche Rechenmodell. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob die Wahl des Algorithmus ein einflussnehmender Faktor war, aber man kann es in Erwägung ziehen.

Der erste Tauchgang begann um 10:53 Uhr und führte bei einer Grundzeit von 41 Minuten auf eine Maximaltiefe von 20 m. Dieses Multilevel-Tauchprofil entsprach der Tiefe des betauchten Wracks. Er machte einen dreiminütigen Stopp auf 5 m. Laut seinen Angaben kam es während des Tauchgangs zu keinen Problemen.

Die Oberflächenpause betrug 1 Stunde und 21 Minuten, und der Taucher berichtete, dass ihm in dieser Zeit kalt war. Er räumte ein, keine angemessene Bekleidung mitgebracht zu haben (ohne etwas über die Körpertemperatur des Tauchers zu wissen oder weitere Daten zu kennen, können wir nicht beurteilen, ob sein Kältegefühl sich in irgendeiner Weise auf die späteren Ereignisse auswirkte; es wird nur der Vollständigkeit halber erwähnt). Der zweite Tauchgang begann um 12:56 Uhr und ging auf eine Tiefe von 22 m, die Grundzeit betrug 48 Minuten.

Ungefähr 20 Minuten nach dem Abtauchen wurde die Maske des Tauchers versehentlich von seinem Tauchpartner heruntergerissen. Während er die Maske wieder aufsetzte und sie ausblies, stieg der Taucher ziemlich schnell 3 Meter höher. Sein Tauchcomputer zeichnete dieses Ereignis auf. Während er sich sammelte, schluckte er mehrere Male kleinere Mengen Wasser. Seine Atemfrequenz stieg aufgrund der zunehmenden Stressbelastung an.

Der Taucher hatte sich aber soweit unter Kontrolle und konnte eine Panik abwenden. Als er erst einmal seine Maske ausgeblasen und wieder entspannt zu atmen begonnen hatte, schloss er wieder zu seinem Tauchpartner auf, der von der Situation überhaupt nichts mitbekommen hatte. Er setzte seinen Tauchgang fort, bis er 68 Bar Restdruck erreichte und sein Computer das Warnzeichen für einen ‘obligatorischen Sicherheitsstopp’ anzeigte.
Die Taucher machten einen extra langsamen Aufstieg mit etwa 3 bis 6 Metern pro Minute. Sie dehnten ihren Sicherheitsstopp auf 5 Metern auf fünf Minuten aus. Sie tauchten um 13:44 Uhr auf.

Die Symptome
Um 16 Uhr, also etwa zwei Stunden nach dem letzten Tauchgang, bemerkte der Taucher ein Kribbeln im rechten Knie. Er packte seine Tauchausrüstung zusammen und fuhr nach Hause. Als er ankam, nahm er seine Ausrüstung heraus, spülte und verstaute sie. Das Kribbeln wurde nicht schlimmer, aber er bemerkte eine zunehmende Druckempfindlichkeit in der Ferse seines rechten Fußes, die das Gehen schließlich schon beeinträchtigte. Trotz dieser Symptome nahm er sein Abendessen ein. Als die Symptome um 20 Uhr immer noch nicht besser wurden, begann er sich Sorgen zu machen. Als seine Frau ihn dazu drängte, rief er die 24-Stunden-Notfallhotline für Tauchunfälle von DAN an. Nachdem sich der Arzt von DAN die Tauchprofile, Ereignisse und Symptome berichten ließ, überwies er den Taucher an ein örtliches Krankenhaus, das über eine Druckkammer und entsprechendes Personal verfügte, das verletzte Taucher untersuchen und behandeln konnte.

Er erreichte das Krankenhaus gegen 21 Uhr. Der diensthabende Arzt beriet sich mit einem Pneumologen (Lungenfacharzt) und einem Neurologen.

Die Symptome des Tauchers schienen nicht die typischen einer Dekompressionskrankheit (DCS) zu sein, aber nach Prüfung der Tauchprofile und der Entwicklung der Symptome des Tauchers diagnostizierten die diensthabenden Mediziner seine Verletzung als DCS Typ II. Das machte eine Druckkammertherapie nach U.S. Navy Tabelle 6 erforderlich, die um 1 Uhr morgens, 9 Stunden nach dem Eintreten der Symptome, eingeleitet wurde. Die Behandlung endete um 6 Uhr morgens. Während der Behandlung nahm das Kribbeln im rechten Bein deutlich ab, aber die Schmerzempfindlichkeit in der rechten Ferse nahm scheinbar zu. 

Der Druckkammerarzt untersuchte den Taucher drei bis vier Stunden später erneut und stellte fest, dass er verbleibende Symptome aufwies. Der Arzt ordnete eine zweite Behandlung an, dieses Mal eine nach U.S. Navy Tabelle 5. Danach waren die verbliebenen Symptome nur noch sporadisch vorhanden, gegenüber ihrer ursprünglichen Intensität auf jeden Fall erheblich reduziert. Eine bildgebende Untersuchung der Wirbelsäule ergab keine unmittelbare Sekundärursache für seine Symptome.

Der Arzt riet dem Taucher mindestens einen Monat lang vom Tauchen abzusehen; außerdem sollte er eine Woche lang nicht fliegen und starke Anstrengungen vermeiden.

Die Komplikationen
Der Taucher verspürte weiterhin von Zeit zu Zeit das Kribbeln im rechten Bein. Es wurde am stärksten, als er zwei Tage nach seiner letzten Behandlung eine sechsstündige Autofahrt unternahm. Da er sich seines möglichen Gesundheitsproblems bewusst war, folgte er dem medizinischen Rat und wartete eine Woche, bevor er erneut mit dem Flugzeug reiste.

Eine Woche nach seiner letzten Behandlung nahm der Taucher seinen Flugunterricht wieder auf. Sein erster Flug (mit einer einmotorigen Maschine ohne Druckkompensation) führte ihn auf eine Höhe von 340 Metern, dabei traten die Symptome nicht wieder auf. Zwei Tage später flog er mit den gleichen Flugparametern erneut, wieder ohne Symptome.

Bei seinem dritten Flug nach der Druckkammerbehandlung (maximale Flughöhe 580 m) traten die Symptome mit der gleichen Intensität wie am Anfang wieder auf; anschließend verschwanden sie über Nacht. Er suchte erneut das Krankenhaus auf und wurde nochmals von dem gleichen Neurologen untersucht, der ein weiteres MRT (Magnetresonanztomogramm) anforderte. Die Ärzte diagnostizierten aufgrund dieses MRT einen Bandscheibenvorfall zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbel. Der Neurologe und die Druckkammerärzte diskutierten, ob die DCS zu dem Bandscheibenvorfall geführt haben könnte, kamen aber zu dem Schluss, dass dies eher unwahrscheinlich ist.

Das Kribbeln war einen Monat nach der ursprünglichen Verletzung immer noch vorhanden. Die Hyperbarmediziner beschlossen, den Taucher erneut in der Druckkammer zu behandeln, dieses Mal nach U.S. Navy Tabelle 9. Diese zusätzliche Behandlung brachte kaum eine Veränderung seiner verbliebenen Symptome. Der Taucher begann gleichzeitig eine physiotherapeutische Behandlung. Diese schloss er nach drei Monaten ab und ging anschließend wieder tauchen. Es traten keine Symptome mehr auf.

Zusammenfassung
Welche Rolle die Rückenverletzung nun bei seiner tauchbedingten Verletzung gespielt haben mag, wird man nicht mehr genau bestimmen können. Indem man die allgemein anerkannten Sicherheitsrichtlinien befolgt, kann man sicherlich dazu beitragen, das Risiko einer DCS zu reduzieren und die Diagnose weiterer möglicher Erkrankungen bzw. Verletzungen zu vereinfachen. Dieser Taucher hat die Sicherheitsrichtlinien wirklich vorbildlich beachtet, und es ist bestimmt eine gute Sache, sich daran ein Beispiel zu nehmen.

  1. Tauchcomputer sind so konzipiert, dass sie bei einem gegebenen Tauchprofil die Grundzeit maximieren. Um die Tauchsicherheit zu maximieren, sollten Sie den/die Tauchgang/ Tauchgänge so planen, dass Sie die Bedingungen berücksichtigen, z. B. die zu erwartende körperliche Belastung in der Tiefe, die Wassertemperatur, usw.
  2. Man sollte beim Tauchen häufige Tiefenwechsel vermeiden, bei entsprechenden Boden– bzw. Wrackstrukturen kann das allerdings schwierig werden. Eine gründliche Planung und Orientierung am Tauchplatz im Vorfeld kann dazu beitragen, unnötige Tiefenwechsel auf ein Mindestmaß zu beschränken. Längere Oberflächenpausen sind
    immer eine gute Idee, fördern die Entsättigung und vergrößern den Sicherheitspuffer.
  3. Wählen Sie einen Tauchanzug mit ausreichendem Kälteschutz. Die Auswirkungen der Wassertemperatur und anderer damit in Verbindung stehender Faktoren sind komplex. Es gibt Literatur zu diesem Thema (s. Fußnoten).
    Grundsätzlich kann ein angemessener Kälteschutz den Unterschied zwischen einem angenehmen und einem leidvollen Tauchgang ausmachen.
  4. Machen Sie den tiefsten Tauchgang am Tag zuerst. Dies ist von besonderer Bedeutung, wenn die Bedingungen schwierig sind, oder irgendein Umstand vorliegt, der die Entsättigung erschweren könnte. Das ist eine allgemeine Richtlinie. Die Tauchprofile dieses individuellen Tauchers sind kein Paradebeispiel für Umkehrprofile, denn
    zwischen 20 und 22 Metern besteht keine so große Druckdifferenz.
  5. Trainieren Sie Ihre taucherischen Fertigkeiten. Die elementaren Übungen, die wir im Open-Water-Diver-Kurs erlernten, verlieren niemals ihren Wert. Wenn wir längere Zeit nicht tauchen waren, könnten wir erwägen, an einem Auffrischungskurs teilzunehmen, um unser Können nicht zu verlernen. Die Tauchfertigkeiten sollten wir wie im Schlaf beherrschen; insbesondere für den Fall, dass wir einmal in eine stressige oder möglicherweise kritische Situation geraten.

Und schließlich haben wir alle gelernt, “den Tauchgang zu planen und nach dem Plan zu tauchen”. Einige wenige Minuten für die Planung eines Tauchgangs können dazu beitragen, Probleme zu vermeiden, die uns ansonsten vielleicht lange Zeit beschäftigen. Nicht alle Notfallsituationen oder Vorfälle sind vorhersagbar, aber mit ein wenig Voraussicht kann man für ein sichereres taucherisches Leben sorgen.

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