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Medizinische Beiträge

Epilepsie

Taucher mit Epilepsie müssen alle Risiken ihrer Erkrankung berücksichtigen, ehe sie ins Wasser steigen. Denn ein epileptischer Anfall unter Wasser kann für den Taucher ernsthafte Folgen haben.

Die Begriffe „Epilepsie“ und „epileptische Anfälle“ werden meist gleichbedeutend verwendet.  Epileptische Anfälle sind unvorhersehbare und unkontrollierbare elektrische Entladungen der Nervenzellen eines Teils oder des ganzen Gehirns, zumeist de Hirnrinde.  Entsprechend ist Epilepsie ein medizinisches Leiden mit wiederkehrenden, urplötzlich auftretenden Krampfanfällen. Ihre Manifestation und Klassifizierung sind abhängig von der betroffenen Hirnregion.

WAS KANN ZUR EPILEPSIE BEITRAGEN?

Es mag überraschen, epileptische Anfälle sind recht häufig auftretende, unspezifische Manifestierungen neurologischer Verletzungen und Erkrankungen.  Unserem Verständnis nach besteht die Hauptfunktion des Gehirns darin, elektrische Impulse zu senden.  Die aktuelle medizinische Literatur deutet darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit, einmal im Leben einen epileptischen Anfall zu erleiden, bei rund 9% und die Wahrscheinlichkeit einer Epilepsie-Diagnose bei rund 3% liegt.  Das Vorekommen einer aktiven Epilepsie liegt allerdings nur bei 0.8%. Epileptische Anfälle können viele Ursachen haben, darunter eine genetisch bedingte Neigung, Kopfverletzungen, Schlaganfälle oder Gehirntumore. Sie können auch als gefährliche Entzugserscheinungen nach Alkohol- und Drogenmissbrauch auftreten.  Allem Anschein nach könnten bestimmte Bedingungen dafür verantwortlich sein, dass bei diesen Patienten die Schwellenspannung für epileptische Anfälle niedriger ist. Auf das Tauchen bezogen zählt der Aufenthalt unter Wasser hierbei mit Sicherheit zu den wichtigsten Ursachen.  Reizverarmung, Hyperventilation, Stickstoffnarkose, Blutansäuerung durch Kohlendioxidsättigung und Hypoxie (aus welchem Grund auch immer) können zur Herabsenkung der unter normalen Umständen vorliegenden Schwellenspannung  beitragen.  Weitere Faktoren sind Erschöpfung, psychologischer Stress, Drogenmissbrauch, flackernde Lichter, Krankheit und der Mangel an bestimmten Nährstoffen. Die Kombiniation nur einer dieser Faktoren mit dem Aufenthalt im Wasser bedeutet für einen Epileptiker, dass er beim Tauchen einem größeren Risiko ausgesetzt ist. Erstens, weil das Risiko eines epileptischen Anfalls unter Wasser höher ist und zweitens, weil damit dessen tödlicher Ausgang durch Ertrinken nahezu unvermeidbar ist.

WAS PASSIERT BEI EPILEPSIE?

Schauen wir uns die Anatomie (die Struktur) und die Pathophysiologie (die krankhafte Funktion) einer Epilepsie genauer an.  Grob gesagt kann man von "Herdanfällen" sprechen, bei denen sich Nervenzellen des Gehirns fokussiert auf nur eine bestimmte Region elektrisch entladen oder von "großen Anfällen", bei denen das gesamte Gehirn betroffen ist.  Der teilweise oder gänzlich betroffene strukturelle Bereich des Gehirns ist die Hirnrinde (Cortex), anatomisch gesehen die Oberfläche des Großhirns. Im EEG (Elektroenzephalogramm) ist die anfallsartige Zacke oder spitze Welle das klinische neurophysiologische Kennzeichen von fokal auftretenden Epilepsieanfällen. Das zelluläre neurophysiologische Korrelat hierzu ist der paroxysmale (anfallsartige) Depolarisationsshift (PDS). Kurz gesagt, zu diesem Prozess gehört eine Depolarisation (das ist die Veränderung des Ruhepotenzial bzw. des „Stroms“) der Nervenzellen durch onenkanäle (Calzium-abhängige Kaliumkanäle), worauf dann eine  markante nachträgliche Hyperpolarisation erfolgt.  Falls sich mehrere Millionen Nervenzellen entladen, können Elektroden auf der Kopfhaut die elektrische Aktivität bei einem EEG aufzeichnen und das typische Bild einer Epilepsie zeigen.

Die Mechanismen, die möglicherweise gleichzeitig in verschieden Kombinationen existieren und fokal auftretende Epilepsieanfälle auslösen, sind reduzierte Hemmung oder gesteigerte Stimulierung der Nervenzellen.  Dies lässt sich zusammenfassen, denn eine detailierte Betrachtung sprengt den Rahmen dieses Artikels.  Mechanismen, die zur reduzierten Hemmung von Nervenzellen führen, sind die gestörte Hemmung der Neurotransmitter (Botenstoffe) Gamma-Aminobuttersäuren (GABA)-A und B, die gestörte Aktivierung von GABA-Nervenzellen sowie die Störung der intrazellulären Kalziumpuffer.  Mechanismen, die zu gesteigerter Stimulierung von Nervenzellen führen sind die gesteigerte Aktivierung N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptoren, erhöhte Synchronie der Nervenzellen unter einander aufgrund erhöhter Nervenimpulsübertragungen und erhöhter Synchronie bzw. Aktivierung aufgrund wiederkehrender Sekundärreize. Aus fokal auftretenden Epilepsieanfällen können große Epilepsieanfälle werden.  Welchen Einfluss das Tauchumfeld auf Epilepsie hat wurde bereits erwähnt. Wenn man diese Variablen für sich betrachtet, ist jede einzelne bereits eine Kontraindikation zum Tauchen.  Man sollte sich vor Augen führen, wie schwerwiegen die Situation bei einer Kombination aller einfließenden Variablen ist.

WAS KANN DER TAUCHER BEI EPILEPSIE TUN?

Das Risiko ist grundsätzlich nicht quantifizierbar. Deswegen sind die tauchmedizinischen Fachleute in Hinblick auf die möglicherweise tödlichen Folgen dagegen, Sporttaucher nach ungeklärten, möglicherweise epileptischen Anfällen oder diagnostizierter manifester Epilepsie für tauchtauglich zu erklären.  Der Autor dieses Artikels ist der Ansicht, dass Personen, die an Epilepsie leiden ihr Interesse an Abenteuern und ihre Energie auf Aktivitäten an Land konzentrieren sollten, die genauso viel Aufregung und Erfüllung versprechen. Gelegenheitsanfälle mit epileptischem Charakter, die durch eine Vagusnervstimulation (Ohnmacht aufgrund von Nervenentladung), lagebedingte Hypotonie (niedriger Blutdruck), niedrige Blutzuckerwerte, Partydrogen und bei unter 5jährigen durch Fieberkrämpfe (ohne weitere spätere epileptische Anfälle) verursacht wurden, können eine Ausnahme bilden. Die vorhandenen Daten belegen: 30% der unter Epilepsie leidenden Patienten haben trotz Medikation epileptische Anfälle oder Krampfanfälle. Bei rund 50% der Kinder, die unter Jugendepilepsie leiden, tritt die Epilepsie im Erwachsenenalter nicht mehr auf und es besteht im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung auch kein erhöhtes Risiko (einige Fachleute bestehen jedoch darauf, dass ein erhöhtes Risiko von unter 1% besteht). Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem weiteren epileptischen Anfall kommt, sinkt im Laufe der Zeit exponentiell und erreicht nach fünf Jahren ein nahezu normales Risikoniveau (wobei die erhöhte Belastung beim Tauchen nicht berücksichtigt ist) und 30% der Kinder bzw. 65% der Erwachsenen erleiden innerhalb der ersten zwei Jahre nach Absetzen ihrer Epilepsiemedikamente epileptische Anfälle oder Krampfanfälle.  Einige Tauchmedizinfachleute erlauben Epileptikern mittlerweile das Tauchen, wenn sie fünf Jahre nachdem sie ihre Medikation abgesetzt haben, immer noch keinen weiteren epileptischen Anfall erlitten haben. Auch die Medikamente gegen Epilepsie haben in der Regel für sich Nebenwirkungen, die das Tauchen ausschließen. Andere Mediziner sind der Ansicht, dass das Tauchen zwei Jahre nach Absetzen der Medikation (und ohne Anfall) ein vertretbares Risiko ist, solange die Tauchtiefe auf 15 Meter beschränkt, das Wasser warm und klar ist und keine Nitroxmischung verwendet wird.  Obwohl die Inzidenz eines plötzlichen unerwarteten Todes von Menschen mit Epilepsie (engl. „sudden unexpected death in epilepsy“ oder kurz SUDEP) niedrig ist (rund 2,3 Mal höher als bei der Normalbevölkerung), sind die meisten dieser Tode auf Bewusstseinseinschränkungen zurückzuführen.  Ein Taucher mit Epilepsie muss sich letztendlich entscheiden.  Sollte er, nachdem er alle diese Informationen verstanden hat, trotzdem weiterhin tauchen wollen, dann muss er das höhere Risiko akzeptieren und auch seine Tauchpartner mit einbinden.

DU WILLST NOCH EINE ZWEITE MEINUNG HÖREN?

Sicherheit beim Tauchen sollte immer deine allererste Priorität bleiben.  Das gilt auch für Leiden wie Epilepsie und die mit ihr verbundenen Medikamente.  Vergiss nicht, dass Du auch für die Sicherheit der Taucher verantwortlich bist, die mit dir zusammen tauchen.  Bei der DAN Europe Hotline kannst du dir immer Hilfe von Experten holen.


Referenzen & Literatur

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7. Bove, A.A. Fitness to dive. In: Brubakk, A.O. & Neumann, T.S. (Herausgeber). Physiology and medicine of diving. 5th edition. 2003. Philadelphia: Saunders Elsevier; p703.

8. Kayle, A. Diving implications of ear, nose, throat and sinus disease. In: Kayle, A. Safe diving: A medical handbook for scuba divers. 2nd edition. 2009. Kapstadt: Struik Lifestyle; S. 74-6.


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