Medizinische Beiträge
Epilepsie und Tauchen, Frage und Antwort
Frage: Einer unserer Mitschüler möchte unbedingt tauchen, hat aber in der Vergangenheit epileptische Anfälle erlitten. Diese traten bei ihm nur in einem eng begrenzten Zeitraum von 12 Monaten auf (1998 – 1999). Sein Arzt füllte mit ihm zusammen anschließend ein Formular zur Tauchtauglichkeit aus, und der angehende Taucher gab an, dass er seit 1999 keine weiteren Anfälle erlitten hatte. Er erhielt schließlich auch seinen Führerschein von der DVLA (Driver and Vehicle Licensing Agency, Behörde zur Registrierung von Führerscheinen und Fahrzeugen in Großbritannien) zurück, und er musste seit 2001 keinerlei Medikamente mehr einnehmen. Der Arzt ist zuversichtlich, dass er wieder vollständig gesund ist, aber der junge Mann möchte gern bestätigt haben, unabhängig von den Anmerkungen seines Arztes, dass er wirklich wieder tauchtauglich ist. Können Sie uns hierzu eine Empfehlung geben? Da sein Arzt ihm das Tauchen gestattet hat und die DVLA ihm seinen Führerschein zurückgegeben hat, gehe ich davon aus, dass er tauchtauglich sein sollte, aber ich hätte doch gern eine zweite Meinung von Ihnen. Vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Unterstützung.
Ein DAN-Mitglied in Afrika
Antwort: Das Thema Epilepsie (eine Erkrankung, die sich durch das wiederholte Auftreten von Krampfanfällen zeigt) und Tauchen ist recht komplex. Die Hauptsorge besteht darin, dass ein Bewusstseinsverlust unter Wasser sehr wahrscheinlich zum Tod durch Ertrinken führen wird, es sei denn, derjenige hat viel Glück und: verliert seinen Atemregler nicht aus dem Mund;
- wird vor dem Ertrinken von jemandem entdeckt;
- hält seinen Atem beim Aufstieg nicht an, wenn man ihn bei einem Rettungsversuch nach oben bringt (möglicherweise hat er einen Stimmritzenkrampf oder kann einfach nicht ausatmen);
- wird an der Oberfläche sofort wirkungsvoll reanimiert; und
- erleidet keinen Herz-Kreislauf-Stillstand.
Leider ist diese zu erfüllende Wunschliste recht lang, und die Wahrscheinlichkeit zu sterben beträgt bei Bewusstlosigkeit unter Wasser zwischen 30 und 70 Prozent; bei einem unter Wasser auftretenden Krampfanfall ist sie unter Umständen noch höher. Tauchen bringt einige der Faktoren mit sich, die bekanntermaßen unabhängig voneinander einen Epilepsieanfall auslösen können: Flackernde Lichtverhältnisse, Hyper– oder Hypoventilation und sensorische Deprivation [Reizentzug]. Wenn es also ein auch nur geringfügiges Risiko für einen Krampfanfall gibt, so könnte dieses durch das Tauchen weiter ansteigen. Und schließlich belegen Statistiken, dass eine Person, auch wenn sie über Jahre hinweg oder mit einem gewissen Lebensalter keine Epilepsieanfälle mehr erlitten hat, immer noch ein höheres Risiko für einen weiteren Krampfanfall aufweist als die übrigen ’normalen‘ Taucher (man nimmt an, weniger als 1 Prozent).
Einige Ausbildungsverbände, unter anderem der British Sub-Aqua Club, akzeptieren keine medizinische Freigabe, solange die Person nicht mindestens fünf Jahre lang anfallsfrei war und keine Medikamente nehmen musste, bzw. drei Jahre, wenn der letzte Anfall beim Schlafen auftrat. Diese Position, die vom medizinischem Beirat des Verbandes verfasst wurde, beruht auf der belegten Erkenntnis, dass die Wahrscheinlichkeit, einen weiteren Anfall zu erleiden, über die Zeit exponentiell abnimmt und nach fünf Jahren auf einen normalen Wert absinkt. Es gibt allerdings keine Daten, die dieses Risiko für die spezifischen Belastungen des Tauchens einschätzen lassen. Der Taucher muss schließlich selbst entscheiden. Die meisten Ärzte sind sehr zurückhaltend darin, eine Person mit bekannten Risikofaktor darin zu bestärken, sich einem erhöhten oder nicht zu beziffernden Risiko auszusetzen, das im Unglücksfall wahrscheinlich zum Tod führen wird. Wenn wir versuchen, die aktuellen Empfehlungen bezüglich Epilepsie und Tauchen zusammenzufassen, müssen wir uns zwei Aussagen vergegenwärtigen: Erstens, die Mehrzahl der Tauchmediziner könnte es nicht vertreten, einer Person mit diagnostizierter Epilepsie gegenüber zu äußern, sie könne gefahrlos tauchen, solange deren Anfälle oder Bewusstlosigkeit nicht eine der folgenden Ursachen haben:
- Ohnmacht während der letzten Anfallsphase aufgrund der aufrechten Körperposition und der damit verbundenen
- verringerten Blutzufuhr zum Hirn;
- weitere Ursachen, die mit akut niedrigem Blutdruck, niedrigem Blutzucker, Medikamenten oder Drogen zusammenhängen; oder
- Fieber, allerdings nur bis zum Alter von einschließlich 5 Jahren.
Zweitens gibt es wissenschaftlich Belege für die Annahme, dass Personen, die keine Anfälle mehr hatten und keine Medikamente mehr nehmen mussten, nach 5 Jahren kaum noch befürchten müssen, einen weiteren Anfall zu erleiden. Diese Erkenntnis bestärkt uns darin, weitere Anstrengungen zu unternehmen, die Zusammenhänge zwischen der Epilepsie und dem Tauchen noch eingehender zu klären. Im Augenblick sieht es allerdings so aus, dass unser Tauchinteressent nicht als tauchtauglich eingestuft werden kann. Wenn er fünf Jahre ohne Medikamenteneinnahme ausgekommen ist, können wir uns erneut mit seiner Frage beschäftigen. Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie im Textkasten mit der Überschrift ‚Eine andere Sichtweise – die Empfehlung bleibt gleich‘, einem Auszug aus einem Artikel von Dr. Hogh Greer – Der Herausgeber.
Eine andere Sichtweise – die Empfehlung bleibt gleich
Epilepsie: Diese Hirnfunktionsstörung verursacht vorübergehende Bewusstseinsveränderungen, die man als epileptische Anfälle bezeichnet. Die Anfälle werden von elektrischen Entladungen im Gehirn verursacht; sie können ohne Vorwarnung auftreten und in ihrem Ausmaß variieren, vom kurzzeitigen Aufmerksamkeitsverlust bis hin zu heftigen, langandauernden Krampfanfällen. Man kann die Erkrankung überstehen; oft, aber nicht immer, kommen Medikamente zum Einsatz.
Tauchtauglichkeit: Durch Bewusstlosigkeit oder eine Einschränkung der Bewusstheit entsteht ein hohes Risiko, lebensgefährliche Verletzungen erleiden zu können. Die aktuelle Lehrmeinung unter Tauchmedizinern besagt, dass Personen mit Epilepsie nicht tauchen sollten. Wenn jemand in seiner Kindheit unter Epilepsie litt, die Krankheit überstanden hat und seit fünf Jahren keine Medikamente mehr einnehmen musste, unterliegt er immer noch einem leicht erhöhten Risiko, einen Anfall zu erleiden. Wenn diese Personen eine ab gewogene Entscheidung über das Tauchen herbeiführen wollen, sollten sie sich mit ihrem Hausarzt, ihren Familien und ihren Tauchpartnern beraten. Für die Behandlung verwendete Medikamente: Medikamente gegen Anfallsleiden wirken direkt auf das Hirn und können eine Wechselwirkung mit erhöhten Stickstoffpartialdrücken haben. Hierdurch kann es zu unerwarteten Nebenwirkungen kommen.
Anfälle in der Vorgeschichte ohne eindeutige Diagnose einer Epilepsie: Eine schwierige Fragestellung, denn viele Faktoren können zu einer vorübergehenden Bewusstseinsveränderung führen. Solche Bewusstseinsveränderungen sind z. B. Ohnmacht, die häufig bei jungen Menschen vorkommt, Herzrhythmusstörungen, die eher bei älteren Menschen auftreten, Medikamentenauswirkungen sowie psychologische Erscheinungen, z. B. Halluzinationen.
Tauchtauglichkeit: Wie bei der Epilepsie wird jeder Bewusstseinsverlust unter Wasser wahrscheinlich schwerwiegende Folgen haben. Beim Tauchen mit Nitrox oder Mischgas können die erhöhten Sauerstoffpartialdrücke die Wahrscheinlichkeit von Anfällen erhöhen. Auch erhöhte Kohlendioxidwerte können das Risiko für Anfälle erhöhen. Am besten wird sein, die Ursache für die Bewusstseinsveränderungen genauestens diagnostisch klären zu lassen; oftmals sind wirkungsvolle Behandlungsmaßnahmen dagegen verfügbar. Sie können keine vernünftige Entscheidung über die Tauchtauglichkeit treffen, solange dieser Punkt nicht geklärt ist. Dies wird unter Umständen einige Zeit in Anspruch nehmen, eventuell müssen Sie einen Neurologen oder weitere Fachärzte aufsuchen. Fragen Sie zuerst Ihren Hausarzt.
Auszug aus der Ausgabe Mai/Juni 1999 des ‚DAN America Alert Diver‘: ‚CNS Considerations in Scuba Diving: How Your Diving Fitness Can Be Affected By Your Central Nervous System Health‘ [Überlegungen zum Gerätetauchen hinsichtlich des ZNS: Wie Ihre Tauchtauglichkeit vom Gesundheitszustand Ihres Zentralen Nervensystems abhängig sein kann], von Dr. Hugh Greer, DAN Koordinator für den Südwesten der USA.