Foto: DAN Europe staff
Medizinische Beiträge

Fliegen nach dem Tauchen: Endlich Fakten (und nicht nur Theorie)

Die Aufzeichnung der in der ersten Forschungskampagne von DAN Europe erhohenen Daten wurde mit ziemlich überraschenden Ergebnissen abgeschlossen. So überraschend, dass sie  in Aviation Space und Environmental Medicine, einem hochangesehenen wissenschaftlichen Magazin, veröffentlicht werden.

Verschiedene Theorien

Wir wissen, was vorher passiert, was währenddessen vor sich geht, und jetzt… wird es ein “was folgt danach” geben. Im Bereich Fliegen nach dem Tauchen verdeutlicht das “Flying bubbles”-Projekt von DAN die Kluft zwischen Theorie und Praxis.

Vor diesem Projekt gab es unterschiedliche Empfehlungen, wie lange man nach dem Tauchen mit dem Fliegen warten sollte, um das Risiko von durch Druckabfall in der Kabine verursachten Dekompressionsproblemen zu vermeiden. Allerdings basierte vieles nur auf Theorie. DAN hat die Dauer der erforderlichen Wartezeit durch Überwachen tatsächlicher Vorfälle von Dekompressionskrankheit bestimmt. Andere Vermutungen beruhten auf der Annahme, dass es “bis jetzt nicht viele Probleme gab. Also lasst uns so weitermachen wie bisher.”

Wer noch die alten U.S. Navy-Tabellen benutzt hat erinnert sich möglicherweise noch vage daran, dass sie vor dem Fliegen als Gruppe “D” kategorisiert wurden. In bestimmten Fällen war es sogar erlaubt unmittelbar zu fliegen! Später fügte man feste Intervalle hinzu (24 oder 48 Stunden), je nachdem, ob der letzte Tauchgang ein einzelner oder ein wiederholter Tauchgang war und ob er innerhalb oder außerhalb der Grenzwerte  stattgefunden hatte. Sogar bei Berufstauchern und Militärtauchern variieren die Wartezeiten vor dem Besteigen eines Passagierflugzeuges zwischen 2 und 24 Stunden.

Im Jahr 1989 wurde der erste “Flying After Diving”-Workshop unter der Organisation der Undersea and Hyperbaric Medical Society abgehalten. Laut DAN waren die auf dem Workshop vorgestellten Leitlinien waren nicht besonders restriktiv und wurden zur Erhöhung der Tauchsicherheit eingeführt. Allerdings protestierten viele Tauchbasenbesitzer, weil sie mit der Einführung solcher Leitlinien Schaden für das Tauchbusiness auf den Inseln befürchteten.

Zwischen 1992 und 1999 führte DAN Experimente im F.G. Hall Labor des Medizinischen Zentrums der Duke University durch. In diesem Rahmen wurden über 500 Probanden in 800 Flugsimulationen untersucht. Es handelte sich um Simulationen, weil die “Flüge” in der Druckkammer stattfanden. Desweiteren untersuchte DAN im Rahmen einer Fallkontrollstudie – das ist die Auswertung vergangener Ereignisse, wo es Vorfälle oder eben keine Vorfälle gab – den Zusammenhang zwischen Dekompressionskrankheitsrisiko und Oberflächenintervall vor dem Fliegen.

In vielen Bereichen der Medizin hat sich allerdings gezeigt, dass Laboruntersuchungen von “im Feld” gewonnenen Ergebnissen abweichen können. Auch können manche Phänomene im Labor nicht repliziert werden. Über dieses Missverhältnis berichtet bereits ein im Alert Diver (Europäische Ausgabe von 3/2006) veröffentlichter Artikel von Dr. R. Vann: “Fliegen oder das Erreichen extremer Höhen nach Mehrfachtauchgängen über eine Dauer von mehreren Tagen kann nicht im Labor (Druckkammer) untersucht werden.” (Englisches Original: “Flying or reaching high altitudes after multiple dives over a span of days cannot be an object of study in a laboratory (hyperbaric chamber).”

Im Jahr 2011 hatten Dr. Danilo Cialoni und Massimo Pieri – beide Mitglieder unserer Forschungsabteilung (Diving Safety Laboratory) – auf der Rückkehr von einer Forschungsreise auf die Maldiven eine faszinierende Idee, die die Forschung von DAN Europe (insbesondere Prof. Alessandro Marroni und Prof. Costantino Balestra) betreffen würde: ein Forschungsprojekt, dass eine wahre Herausforderung darstellte… Herzultraschalluntersuchungen direkt während eines Heimfluges von einer Tauchreise.

Herzultraschalluntersuchung auf dem Flug

Sich auf dieses Unterfangen einzulassen, war schwierig, fast unmöglich, besonders aufgrund der vielen behördlichen Auflagen. Hierbei waren zwei DAN-Partner von größter Hilfe, Albatros Top Boat und Neos Air. Um die EMI-Zertifizierung zu erhalten – EMI steht für Elektromagnetische Interferenz –, die für den Einsatz des Ultraschalls während des Fluges erforderlich ist, mussten Techniker und Forscher von DAN Europe viele Stunden auf dem Flughafen Malpensa in Mailand verbringen. Letztlich war auch diese Hürde genommen und zum allerersten Mal war es uns möglich, zu sehen, was wirklich im Körper eines Tauchers während des Fluges geschieht.

Bereits in der ersten Forschungswoche auf den Malediven wurden über 4 000 Dateien erfasst, die dann in der Folge akribisch ausgewertet wurden.

Das Verfahren der Ultraschallüberwachung besteht aus vier Kontrollphasen. Die erste Phase findet auf dem Hinflug statt, wenn der Taucher für mindestens 48 Stunden nicht tauchen war. Diese ersten Tests sind notwendig die Daten zu erhalten, die unbeeinflusst von jeglicher hyperbarer Exposition sind und um das zu bestimmen, was man im Mediziner-Jargon das “Ultraschallfenster” nennt. Die Erfassung einer präzisen Messung des Kabinendrucks alle 15 Minuten wurde durch den Einsatz des Dive System “iDive Pro”-Tauchcomputers ermöglicht, einem Partner des DSL und von DAN Europe.

In einer zweiten Phase wurden über die Dauer einer Woche auf einer Tauchkreuzfahrt Ultraschalluntersuchungen und andere Tests nach jedem Tauchgang durchgeführt. Wochen präziser Forschung wurden Teil der Routine an Bord des schönen Kreuzfahrtschiffs, der “Duke of York”. Die Reise unterschied sich nicht so sehr von einer normalen Kreuzfahrt zu den Malediven, ist aber von besonderer wissenschaftlicher Bedeutung: jedes Mal, wenn ein Taucher/eine Taucherin auftauchte, muss er/sie zum Spa gehen, das für diesen Anlass in einen “Forschungsraum” und medizinisches Versorgungszentrum umfunktioniert wurde, um sich unterschiedlichsten Tests unterziehen.

Die Tauchprofile wurden mit dem Computer überprüft und für die nachfolgenden Tests heruntergeladen. Alle Tauchgänge fanden innerhalb der Sicherheitsgrenzen statt.  Auftauchen bei korrekter Geschwindigkeit mit Sicherheitsstopp von 3 Minuten bei 5 Meter Tiefe wurde immer eingehalten. Keiner der Taucher hatte eine Dekompressionserkrankung.

Die dritte Kontrollphase fand im Flughafen statt, wo Herzultraschallsignale der Taucher unmittelbar vor dem Besteigen des Flugzeuges nach einem 24-Stunden-Oberflächenintervall aufgezeichnet wurden.

In der letzten Phase, auf dem Heimflug, wurden alle Taucher nach genau 30, 60 und 90 Minuten nach Erreichen der Reiseflughöhe des Flugzeuges mit Herzultraschall und Doppler kontrolliert.

Datenauswertung

Das Forschungsprojekt wurde 2013 auf der Konferenz der EUBS (European Underwater and Baromedical Society) vorgestellt und erhielt den Zetterström-Preis für die beste wissenschaftliche Poster-Präsentation.

Einige der erhobenen Daten sind leicht nachzuvollziehen. Zum Beispiel wurden bei keinem der an der Studie teilnehmenden Taucher während der Untersuchung auf dem Hinflug Bläschen beobachtet. Obwohl man eigentlich kein anderes Ergebnis erwarten würde, musste dieser Test jedoch deshalb durchgeführt werden, um zu beweisen, wenn auf dem Rückflug in den Tauchern Bläschen gefunden werden würden, diese nicht durch den Flug selbst, sondern durch den kombinierten Effekt von Tauchen und folgendem Druckabfall während des Fluges verursacht worden wären.

Die Studie ergab auch unerwartete Daten. Zum Beispiel hatte man immer angenommen, dass auf Langstreckenflügen hinsichtlich der Dekompressionskrankheit ein größeres Risiko bestünde als auf Mittelstreckenflügen; aber genau das Gegenteil ist der Fall. Das hängt höchstwahrscheinlich damit zusammen, in welcher Kabinendruck in der Höhe erreicht wird: ungefähr 1500-1800 Metern über dem Meeresspiegel für die Reise auf die Malediven und bei 2400 Metern über dem Meeresspiegel (erlaubtes Maximum) für nähere Reiseziele.

Die Untersuchung von Tauchern im Flughafen vor Antritt des Rückfluges, bei denen keine Bläschen beobachtet wurden, hat uns die Abschätzung ermöglicht, dass ein Intervall von 24 Stunden Wartezeit auf Meeresspiegelhöhe ausreicht,damit sich keine Bläschen bilden können.

Ganz eindeutig bilden einige Taucher mehr Bläschen als andere, selbst bei sehr ähnlichen Tauchprofilen. Die Untersuchungen während der Woche auf dem Kreuzfahrtschiff erlaubten es, die Probanden in drei Kategorien einzuteilen: Taucher, die keine Bläschen bilden, Taucher, die manchmal Bläschen bilden, und Taucher, die geradezu „Bläschen-prädestiniert“ sind, also nach jedem Tauchgang Bläschen bilden” (auf Englisch “bubble-prone”). Um einen konsistenten Vergleich zu erhalten, dürfen die Tauchprofile nur einen geringen Einfluss auf die Kategorisierung haben (es ist offensichtlich, dass ein schwereres Profil mehr Bläschen erzeugen kann als ein leichtes).

Die Analyse auf dem Flug hat gezeigt, dass die meisten Taucher während des Rückfluges bei Einhaltung eines 24-Stunden-Intervalls nach dem letzten Tauchgang keine Bläschen bildeten, abgesehen von den “Bläschen-prädestinierten” Tauchern. Daher ist es ratsam, dass diejenigen, die in diese Kategorie fallen, ihre Wartezeit vor einem Flug verlängern sollten. Während der Woche erwiesen sich zwei der Probanden als “super-prädestinierte Bläschenbildner” (auf Englisch „super bubble-prone“).  Wir rieten ihnen von ihrem letzten Tauchgang ab, damit ihre Wartezeit vor dem Flug 36 Stunden betrug. Es ist von besonderer Bedeutung, dass keiner der Taucher während des Fluges Bläschen bildete. Für diejenigen, die leicht Bläschen bilden, ist eine Wartezeit von über 24 Stunden angebracht. Alternativ empfiehlt DAN Research die präventive Atmung von normobarem Sauerstoff.

Die höchsten Bläschenkonzentrationen konnten 30 Minuten nach dem Erreichen der Reiseflughöhe gemessen werden; in der folgenden 60- bis 90-Minutenphase nahmen die Bläschenkonzentrationen ab. Im Grunde ist das ähnlich wie beim Auftauchen nach einem Tauchgang. Andererseits wirkt eine Druckerniedrigung wie Auftauchen selbst und hat die gleiche Wirkung. Mit zunehmender Zeit in der Höhe entsättigt der Körper und die Bläschen nehmen ab. Es gibt eine weitere mögliche Erklärung: die kleinen Bläschen befinden sich bereits im Blut, sind jedoch so winzig, dass sie mit einem normalen Herzultraschallgerät nicht entdeckt werden können. Die Erniedrigung des Druckes könnte ihre Dimensionen vergrößern und sie dadurch besser sichtbar machen.

Was können diese Studienergebnisse zukünftig für Taucher bringen? Prof. Alessandro Marroni erklärt es: “Wir steuern geradewegs auf eine Zukunft , in der die individuelle Komponente das mathematische Modell beeinflussen kann. Damit kommt der praktischen Anwendung von Forschung in Sachen Tauchsicherheit eine größere Bedeutung zu. Bis zum heutigen Tag haben wir mathematische Modelle mit ihren gegenwärtigen Algorithmen bei der Erforschung des menschlichen Körpers angewendet, aber jetzt schlagen wir einen neuen, faszinierenden Weg ein, der uns helfen wird, einfache physiologische Parameter in mathematische Modelle zu integrieren, die diese Algorithmen besser auf unseren Organismus abstimmen werden. Die Zukunft liegt vor uns und DAN Europe hat beschlossen, das bestmöglich und mit Hilfe aller Taucher anzupacken und sie über gegenwärtige und zukünftige Fortschritte zu informieren.“


Ähnliche Artikel

Medizinische Beiträge

Immersionsinduziertes Lungenödem: ein Sicherheitsproblem beim Tauchen?

Immersionsinduzierte Lungenödeme (englisch: immersion pulmoanry edema oder IPE) sind vielleicht nicht das häufigste gesundheitliche oder sicherheitstechnische Problem beim Tauchen, aber sie gehören sicherlich zu den...

07 August 2023
Medizinische Beiträge

Herzfrequenzvariabilität und dekompressionsbedingter physiologischer Stress

Anmerkung der Redaktion: Wir präsentieren hier die Analyse eines wissenschaftlichen Contributors zu einer Studie, an der DAN-Forscher beteiligt waren und die den komplexen Zusammenhang zwischen...

06 Juni 2023
Medizinische Beiträge

Mehr Sicherheit bei der Dekompression durch optimierte Hydrierung und Temperatur?

In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben Forscher und später auch Taucher verstanden, dass angemessene Hydrierung eine wichtige Rolle bei der Reduzierung des Risikos von Dekompressionskrankheit...

29 August 2022

Tauchen Sie in die
neuesten Geschichten ein,
bevor es andere tun.

Abonnieren Sie den
Alert Diver
Newsletter.