Medizinische Beiträge
Könnte es am Stoffwechsel liegen? Ein neues Modell für Blasen-Variabilität
Das Risiko, nach einem Tauchgang an einer Dekompressionskrankheit (DCI) zu erkranken, wurde bislang dem Auftreten von Gasblasen im venösen Blut zugeschrieben, also sogenannten venösen Gasembolien (VGE). Man geht davon aus, dass sie sich aus vorbestehenden Gas-Mikrokernen entwickeln, die durch eine Gasübersättigung entstanden sind. In jüngster Zeit wurde DCI auch mit dem Auftreten von Blut-Mikropartikeln und Symptomen, die einem Entzündungsverlauf entsprechen in Zusammenhang gebracht.
VGE-Bläschen, die nach einem Tauchgang auftreten, können per Doppler- und EKG-Untersuchung nachgewiesen werden und gelten als Indikator für den Dekompressionsstress, obwohl VGE-Bläschen auch vorhanden sein können, ohne dass es unbedingt zu einer DCI kommen muss. Bei einem vorgegebenen Tauchgang zeigt die Bestimmung der VGE-Bläschengrade, dass es große individuelle Unterschiede bei den einzelnen Tauchern gibt. Daraus lässt sich folgern, dass hier eine sehr unterschiedliche Anfälligkeit ins Spiel kommt. In der Tat haben Forscher beobachtet, dass bestimmte Menschen anfällig für Bläschen und DCI sind, während andere scheinbar „immun“ sind. Umgekehrt können beim gleichen Taucher bei einem bestimmten Tauchgang verschiedene Grade von VGE auftreten. Hierfür könnte eine Konditionierung kurz vor dem Tauchgang verantwortlich sein. Keine dieser Varianzen lassen sich durch die aktuellen Dekompressionsmodelle erklären.
In einer aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichung, die sich auf bahnbrechende Forschungen aus den letzten Jahrzehnten bezieht, gehen DAN Europe Forscher nun davon aus, dass die individuellen Stoffwechselvorgänge jedes einzelnen Tauchers die Ursache für die Bläschen-Varianzen sein könnten, die zu Dekompressionserkrankungen führt. Ihr neues Modell unterstützt sowohl die individuelle Faktoren als auch die Unterschiede, die bei Konditionierungen vor dem Tauchen beobachtet wurden. Und es erklärt die Frage nach dem Ursprung der Blut-Mikropartikel. Es erklärt außerdem auch die Unterschiede, die bei AGE-Blasen aufgrund der als Risiko identifizierten Faktoren Alter, Fitness und Tauchstress auftreten.
Ich werde immer Blasen produzieren
Die Stoffwechselmodelle des Autors bauen auf der Pionierarbeit von Brian Hill zum Thema Blasenkavitation auf und seit kurzem auch auf der Arbeit des israelischen Forscher Ran Arieli, der gezeigt hat, dass sich die Dekompressionsblasen eines Tauchers nur aus bereits vorhandenen Mikrokernen entwickeln können, die auf aktiven hydrophoben Stellen an den Wänden von Blutgefäßen auftreten.
Die zweite Untermauerung des Modells ist die erstaunliche Forschung, die im letzten Jahrzehnt zur Pre-Konditionierung von Tauchern durchgeführt wurde und die bestätigt hat, dass stabile, stationäre Nanoblasen im Taucher wahrscheinlich bereits an der Wasseroberfläche vorhanden sind.
Die Hypothese der Autoren ist, dass der Stoffwechsel eines Tauchers dafür verantwortlich ist, dass sich vor dem Tauchgang eine Population aus kleinen Gastaschen, d. h. aus statischen metabolischen Blasen (SMB), an den Wänden der Blutgefäße bildet. Diese Gastaschen wiederum sind die Vorläufer der VGE-Blasen, die nach dem Tauchgang im Blut zirkulieren.
Die Autoren stellen fest, dass die Bildung der SMB ein Resultat des allseits bekannten „Sauerstofffensters“ ist, bei dem der Partialdruck des Sauerstoffs in den Lungenbläschen (der dem Umgebungsdruck entspricht) sich aufgrund des aktiven Stoffwechsels vom niedrigeren Druck in seinem Venengefäßen unterscheidet. Sie nehmen an, dass dieses Druckgefälle eine Population von SMB-Gastaschen aufrechterhält, wenn der Taucher an der Oberfläche ist – je höher das Druckgefälle, desto mehr SMB entstehen – und legen eine mathematische Gleichung vor, die deren Form, Volumen und Dynamik darstellt.
Dem Boyleschen Gesetz zufolge verringert sich das Volumen der SMB beim Abstieg. Wenn der Taucher jedoch in einen Dekompressionszustand kommt, dann werden die vorhandenen SMB vom angrenzenden Gewebe aus durch Gasaustausch per Diffusion "gefüttert". Die SMB wachsen bis sie das kritische Volumen zur Loslösung von den Gefäßwänden erreicht haben und Bläschen bilden.
Der Grad der VGE hängt daher von der Anzahl hydrophober Stellen in den Blutgefäßen ab, vom Anfangsvolumen der SMB, das vom Stoffwechsel des Tauchers abhängig ist, und von der Aufstiegsrate, die die Diffusionsgradienten erzeugt und die Rate bestimmt, mit der die SMB wachsen und VGE-Blasen erzeugen. Hinzu kommt, dass die SMB beim Ablösen von den Gefäßwänden wahrscheinlich Mikropartikel abbrechen, die dann vermutlich durch die Lunge und Herzfilter passieren und eine entzündliche Reaktion provozieren – die andere Seite der DCI.
Variabilität und Vorkonditionierung verstehen
Gemäß dem Modell entspricht die bereits vorhandene SMB-Population der individuellen Ausprägung des jeweiligen Tauchers und bestimmt den VGE-Grad nach dem Tauchgang sowie das Ausmaß entzündlicher Reaktionen. Sie könnte die Variabilität bei der Blasenentwicklung bei verschiedenen Tauchern erklären. Der Stoffwechsel wird bekanntermaßen mit zunehmendem Alter langsamer, was auch die höheren VGE-Garde bei älteren Tauchern erklären könnte.
Gleichwegs ist bekannt, dass zwischen dem Stoffwechsel und der Herzfrequenz in Ruhe ein linearer Zusammenhang besteht und dass der Logarithmus proportional zur Körpermasse ist. Das deutet darauf hin, dass sich durch Fitness das Sauerstofffenster vergrößert. Entsprechend würde dies erklären, warum die VGE-Grade fitter Taucher niedriger ausfallen. Interessanterweise haben DAN Forscher bei der Analyse der DSL-Tauchdatenbank festgestellt, dass wahrscheinlich nur zwei Faktoren, nämlich ein höheres Alter und ein höherer Body Mass Index, mit einer stärkeren Blasenbildung zusammenhängen.
Das Modell bietet außerdem auch Einblicke in die aktuelle Arbeit im Bereich der Vorkonditionierung bei Tauchen. Diese hat gezeigt, dass mechanische Schwingungen, ebenso wie das Atmen von Sauerstoff vor dem Tauchgang, das VGE-Niveau nach einer Dekompression reduzieren. Diese Maßnahmen sorgen wahrscheinlich vor dem Tauchgang dafür, dass sich die SMB lösen und sich ihr Volumen reduziert, was letztendlich dazu führt, dass weniger VGE-Blasen entstehen. Ebenso steht das Modell im Einklang mit Studien, die zeigen, dass eine längere Bettruhe (die Schwerelosigkeit bei der Raumfahrt simulieren soll) und anschließende Lufttauchgänge zur Folge haben, dass sich die Anzahl der Blasen nach einer Dekompression erheblich erhöht.
Stoffwechsel-Dekompressionsalgorithmus?
Obwohl kein direkter Zusammenhang zwischen VGE und dem DCI-Risiko besteht, gilt: je niedriger die Anzahl der Blasen, desto geringer das DCI-Risiko. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es von der Dosis der ankommenden VGE-Blasen und von der Filterleistung der Lungen abhängig ist, ob arterielle Blasen und eine DCI auftreten. Wie bereits erwähnt können bei der Loslösung venöser Blasen auch Mikropartikel entstehen, die eine Entzündung des Gewebes verursachen können, die wiederum der Entzündung, die durch Blasen verursacht wird, sehr ähnlich ist.
Nach Ansicht der Autoren müssen zur Festlegung eines akzeptablen DCI-Risikos bei zukünftigen Dekompressionsalgorithmen verschiedene Parameter geschätzt werden, die den individuellen Merkmalen eines jeden Tauchers entsprechen. Es könnte auch möglich sein, auf der Grundlage dieser Merkmale bereits bestehende Algorithmen durch M-Werte und Gradientenfaktoren zu ergänzen.
Es gilt zu beachten, dass sich Dekompressionsmodelle, die an sich bereits ein akzeptables Risikoniveau bieten, durch neue Algorithmen, die auf den Charakteristiken einzelner Taucher basieren, nicht unbedingt besonders verändern werden. Gleichwohl könnte ein neues, auf dem Stoffwechsel basierendes Modell dafür sorgen, dass der Konservatismus besser kontrolliert werden kann, und dass die Taucher die Möglichkeit haben, den Grad des Dekompressionsstress zu wählen, den sie bei einem Tauchgang zu akzeptieren bereit sind.
Über den Autor
Michael ist preisgekrönter Journalist und Technikexperte. Er schreibt schon seit Jahrzehnten über das Thema Tauchen und die Technik beim Tauchen. Er hat den Begriff “technisches Tauchen” geprägt. Seine Arbeiten sind in Veröffentlichungen wie dem Alert Diver, DIVER, Quest, Scientific American, Scuba Times, Sports Diver, Undercurrent, Undersea Journal, WIRED und X-Ray erschienen. Er ist Gründer und Chefredakteur von aquaCORPS und hat dabei geholfen, dass das technische Tauchen nun zum Mainstream des Sporttauchens zählt. Er hat außerdem die ersten Tek, EuroTek und AsiaTek Konferenzen veranstaltet.