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Medizinische Beiträge

Neues zu DCI und Tauchphysiologie (Teil II)

Nach dem ersten Artikel, den wir zu diesem Thema letzten Monat veröffentlicht haben, präsentieren wir nun die Forschungsergebnisse der "The Science of Diving", der Abschlusskonferenz des Forschungsprojektes  PHYPODE

Eine weitere Annahme bestand darin, dass das vaskuläre Endothel, d.h. die innere Schicht aller Blutgefäße, bei DCS eine zentrale Rolle spielt.  
F. Guerrero (Laboratoire Optimisation des Régulations Physiologiques – ORPhy-, Universität von Brest, Frankreich) untersuchte die Veränderungen der endothelialen Funktion nach dem Tauchen.
Generell steuert das vaskuläre Endothel die Aktivität der Blutgefäße und wirkt auf die kardiovaskuläre Gesundheit, indem es Substanzen absondert, die viele Funktionen wie z.B. den Blutfluss, Entzündungen, Thrombose, oxidativen Stress usw. regulieren. Bei einer DCS kommt es für gewöhnlich zu einer erhöhten Endotheldurchlässigkeit – mikrovaskuläre Endothelzellen verlieren den Kontakt zueinander. Ihre Fähigkeit, sich an die Basalmembran zu heften, ist geschwächt.  Über die Messwerte einer Flußvermittelten Vasodilation (FMD) wurde festgestellt, dass jeder Tauchgang die Vasodilatation (Gefäßweitstellung) aller Gefäße verringert. Betroffen sind große Gefäße ebenso wie Mikrogefäße. Das Kapillarnetz und die Grenzmembran, wo der Gasaustausch stattfindet, sind nach dem Tauchen in ihrer Funktion beeinträchtigt und weisen nach einer DCS sogar noch mehr Veränderungen auf. Die Forschung mit Apnoe-Tauchern (die keine Blasen bilden) lässt vermuten, dass es der hydrostatische Druck und Hyperoxie sind, die diese zerstörerische Wirkung auf das Endothel haben. Durch oxidativen Stress kann ein Endothelzellensterben ausgelöst werden. Weil es auch DCS-Fälle ohne Veränderungen gibt spielt wohl nicht das Endothel selbst die Hauptrolle, sondern vielmehr die daraus entstehenden im Blutkreislauf wirksamen Faktoren. Einer dieser Faktoren ist das Stickstoffmonoxid (NO), das vom Endothel produziert wird. Als bei Tierstudien das NO blockiert wurde, stießen die Forscher auf geschlechtsspezifische Unterschiede: Bei Weibchen nahm die Häufigkeit von DCS-Fällen zu, bei Männchen nicht. Hierauf wird die Forschung in Zukunft genauer schauen müssen – auf mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der DCS-Entstehung.

Sauerstoff ist beim Tauchen ein wichtiges Gas und das Atmen reinen Sauerstoffs die akzeptierte effektive Notfallbehandlungsmaßnahme bei DCS.  Sauerstoff hat aber auch negative Wirkungen. J. Kot (Nationales Zentrum für Überdruckmedizin an der Universität Danzig, Polen) führte hierzu Feldstudien durch.  Oxidativer Stress wird von der aggressiven Wirkung freier Radikale erzeugt (O2, H2O2, OH). Dazu kommt es, wenn der Sauerstoff in der Zelle nicht vollständig reduziert, man kann auch sagen, unvollständig verbrannt wird. Diese Radikale sind aggressive und kurzwirkende Moleküle, die DNA, Eiweiße und Fettmoleküle zerstören. Glücklicherweise besitzt der menschliche Körper ein antioxidatives Abwehrsystem. Es reguliert zur Schadeneindämmung das Gleichgewicht von Antioxidantien und freien Radikalen. Den höchsten Sauerstoffpartialdruck findet man in den Lungen, die als erstes Abwehrsystem fungieren. Die aggressive Wirkung kann dort zu einer Fibrose des Lungengewebes führen. Dann kann es bei Patienten selbst dann zu einer Hypoxie kommen, wenn reiner Sauerstoff geatmet wird. Die gute Nachricht ist, dass diese Art von oxidativem Stress eher bei Sauerstoffgemische verwendenden Tech-Tauchern auftritt und weniger bei der großen Mehrzahl an Sporttauchern, die z.B. mit Nitrox tauchen.

Die Forschungsergebnisse von PHYPODE weisen auf  eine offensichtlich bestehende individuelle Anfälligkeit für DCS hin. Dies zeigen Untersuchungen an Tauchern, die leicht zum Bläschenübertritt über Shunts neigen, viele Bläschen bilden, unterschiedliche  Endotheleigenschaften aufweisen, genetisch prädisponiert sind, etc. Die bereits erwähnte Präkonditionierung ist eine gute Methode zur Reduzierung des DCS-Risikos. Eine weitere Möglichkeit ist die Entwicklung neuer Technologien und die Einführung eines überarbeiteten und komplexeren Dekompressionsmodells, das individuelle medizinische Informationen sowie Echtzeit-Tauchdaten einbezieht.

Das Konzept des „Bionischen Tauchers” ist vor ein paar Jahren entstanden und basiert auf neuen Dekompressionsalgorithmen (Anpassung des Algorithmus auf Grundlage physiologischer Parameter). Dabei werden über 24-Stunden physiologische Parameter wie  Herzrate, Body Mass Index (BMI) und andere individuelle Messdaten aufgezeichnet. Ziel ist die Entwicklung eines individuell anpassbaren Tauchcomputers, der Dekompressionstabellen in Echtzeit auf die individuelle Physiologie einesTauchers abstimmt, wobei Hydrierung, Ermüdung und verschiedene andere Parameter berücksichtigt werden, die mit der Reaktion des menschlichen Körpers auf Tauchstress zusammenhängen.

MARES testet gegenwärtig einen modifizierten Icon HD Tauchcomputer mit starkem Prozessor und Farbdisplay. Er kann vor, während und nach dem Tauchen Informationen aufzeichnen, die Anzeichen einer Stickstoffnarkose erkennen, Dekompressionsberechnungen vornehmen, etc. Die aktuellen Entwicklungen wurden von G. Distefano (Product Manager bei MARES in Genua, Italien) vorgestellt.

Da die Messung menschlicher physiologischer Parameter zu einem der Hauptziele der Tauchforschung geworden ist, erklärte N. Donda die Möglichkeiten, die ein Rebreather hierbei bieten kann.
Ein Kreislauf-Atemgerät (Rebreather) bereitet ausgeatmetes Gas wieder auf und befreit es in einem aus mehreren Elementen bestehenden geschlossenen Kreislauf vom Kohlendioxid (CO2). Dann stellt es wieder die Sauerstoffmenge (O2) ein, die der Körper verstoffwechelt hat. Weil der Rebreather das ausgeatmete Gas im geschlossenen Kreislauf behält, kann es während des Tauchgangs ideal zur Gewinnung physiologischer Daten genutzt werden. dazu wurden innerhalb der verschiedenen Luftkammern des Gerätes diverse Sensoren zur Messung der Qualität und der Menge des ein- und ausgeatmeten Gases angebracht. Zu den Messparametern gehörten die Menge des ein- bzw. ausgeatmeten Sauerstoffs, die Menge des ausgeatmeten CO2, die Atemfrequenz, das Gesamtvolumen des Atemgases, die Temperatur des ein- und ausgeatmeten Gases und die Feuche des eingeatmeten Gases. Desweiteren wurden die Parameter Tiefe (Druck), Tauchzeit, Position unter Wasser, Flossenschlagfrequenz, Herzfrequenz sowie Auf- und Abstiegsgeschwindigkeit des Tauchers aufgezeichnet. Nach positiver Testung der Zuverlässigkeit der Sensoren wurden die Daten entweder elektronisch oder kabellos an eine Speichereinheit mit entsprechender Speicherkapazität weitergeleitet.

Die Weiterentwicklung der Tauchmedizin hat zu neunen Erkenntnissen bezüglich des  Dekompressionsmechanismus geführt. Weil es bislang keine entsprechende Sensortechnologie gab, wurden physiologische Daten von Tauchern nur im Labor oder vor bzw. nach dem Tauchen aufgezeichnet, nie während eines Tauchgangs. Arne Sieber (Forscher bei IMEGO AB in Göteborg, Schweden) hat neue Sensortechnologien zur Überwachung von EKG und Körpertemperatur unter Wasser entwickelt. Mit Hilfe eines geschlossenen Kreislaufgeräts, in dem Sauerstoff, CO2, Atemfrequenz, Atemzugvolumen, Atemminutenvolumen und Blutdruck gemessen werden, wurden Daten über den Stoffwechsel des Tauchers gesammelt.
Kernelement dieses bionischen bzw. digitalen Ansatzes wird ein neuer Tauchcomputer mit kabellosem Interface sein, an das verschiedene Sensoren angeschlossen werden können. Er verfügt über einen leistungsstarken Mikroprozessor zur Durchführung komplexer Dekompressionsberechnungen .Das System wird gegenwärtig noch ausschließlich zu militärischen Zwecken eingesetzt. Es wird absehbar aber auch der breiten Öffentlichkeit in vielen verschiedenen Systemen zur Verfügung stehen.

Zusammenfassend vermochte das PHYPODE Forschungsprojekt eine außerordentlich große Menge an qualitativ hochwertigen Daten zu erfassen. Dabei handelt es sich sowohl um detaillierte Erkenntnisse, aber auch um Beweise vieler Angewohnheiten, die Taucher entwickelt haben, ohne genau wissen, warum. Die Untersuchung, Testung und Aufklärung von Mechanismen und Messdaten  können jetzt zur Entwicklung eines sichereren Dekompressionsmodells führen, das in einen personalisierten Tauchcomputer integriert und verschiedene physiologische Echtzeitparameter mit anderen medizinischen Informationen verbindet. Nach vier Jahren intensiver Forschung und harter Arbeit tragen die Ergebnisse des Projekts mit Sicherheit zur Weiterentwicklung der Tauchtechnologie bei. Die Verbesserung der Tauchsicherheit hat einen großen Schritt nach vorn gemacht. Der Weg für zukünftige Forschungsvorhaben wurde geebnet, indem zwar viele Fragen beantwortet, dafür aber auch neue aufgeworfen wurden.

Bei der Konferenz nutzten die Projektleiter die Gelegenheit, das Buch „The Science of Diving, Things your instructor never told you” vorzustellen. Es ist eine umfassende Sammlung aktueller Konzepte und stellt die Ergebnisse ihrer Spitzenforschung vor. Mit seinen 273 Seiten und 11 Kapiteln ist das Buch ein hervorragender Leitfaden für alle, die mit dem Tauchen zu tun haben oder daran interessiert sind, d.h. also Tauchermediziner, Druckkammerpersonal, Wissenschaftler, Berufstaucher, Tauchunternehmer und Tauchschüler. Das Buch vermeidet wissenschaftliche Fachsprache. Es verwendet stattdessen eine anschauliche Sprache, durch die selbst die anspruchsvollsten wissenschaftlichen Bereiche einfach zu verstehen sind.

Herausgeber des Buches sind Professor Balestra und Dr. Germonpré, Mitherausgeber M. Rozloznik, P. Buzzacott und D. Madden von der European Underwater and Baromedical Society (EUBS). Geschrieben wurde das Buch von allen 14 PHYPODE-Forschern.


Vorgestellte Publikation 


“The Science of Diving, Things your instructor never told you”

Veröffentlicht wurde dieses Buch von Lambert Academic Publishing. Käuflich zu erwerben ist es online hier oder kann in jedem Buchladen über seine ISBN-Nummer 978-3-659-66233-1 bestellt werden. Das Buch kostet 49.90 €. Alle Autorenhonorare aus dem Verkauf dieses Buches fließen zur weiteren Förderung der Tauchmedizinforschung als Spende an die EUBS.

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