Psychiatrische Tauchtauglichkeit

Die Aufgabe, die psychiatrische Tauchtauglichkeit eines Tauchers beurteilen zu müssen, beschwört die Angst einer Tiefseeforscherin herauf, die auf dem Deck ihres Bootes sitzt, eifrig dabei ist Dreck, Müll und Rost wegzuwischen und kurz davor steht eine Kiste mit unbekanntem Inhalt zu öffnen. Was wird sie wohl finden? Die Kiste der Pandora oder Blackbeards Schatz?

Viele Jahre lang wurde potenziellen zukünftigen Tauchern mit verschiedenen Krankheiten automatisch und oft willkürlich die Erlaubnis verweigert Tauchen als Freizeitsport zu betreiben.  Glücklicherweise können nun viele Taucher mit Diabetes, Asthma, remittiertem Krebs und anderen schwerwiegenden medizinischen Erkrankungen auch durch Besuche am Wunder der Unterwasserwelt teilhaben.  Psychiatrische Krankheiten verwirren leider oft die Gutachter, die einen einfachen, klaren Algorithmus suchen, um die Tauchtauglichkeit eines Kandidaten zu beurteilen.

Wie bei vielen medizinischen Erkrankungen, gibt es auch bei der psychiatrischen Tauchtauglichkeit keine einfachen Antworten.  Aber wir können den Tauchern und Gutachtern dabei helfen zu lernen, welche Fragen sie stellen müssen.  Eine ausgiebige Diskussion des Themas wäre im Rahmen eines einzigen Artikels gar nicht zu schaffen und auch etwas viel verlangt. Daher wollen wir hier nur psychiatrische Krankheiten besprechen, ihre Behandlung und die Bedenken bezüglich der Sicherheit von Tauchern, bei denen eine entsprechende Diagnose gestellt wurde oder die behandelt werden.  Die vorliegenden Informationen werfen zumindest den Schimmer einer Erleuchtung auf einen Bereich, in dem sonst stygische Finsternis herrscht.

Eine einfache Tatsache

Zunächst einmal sind größere depressive Störungen (für gewöhnlich auch "Depression" genannt), bipolare Störungen (früher: "manische Depression"), allgemeine Angststörungen, Panikstörungen, phobische Störungen, posttraumatische Belastungsstörungen und Schizophrenie nur einige der Erkrankungen, die nun zunehmend als medizinische Krankheiten verstanden werden. Mit anderen Worten: es handelt sich um biologische Störungen.  Es gibt zahlreiche statistische Analysen von u.a. genetischen, demografischen, epidemologischen, biochemischen, neuroanatomischen, neurophysiologischen und Neuroimaging-Daten, die ein hohes Maß an Wechselbeziehungen zwischen den Episoden der Krankheiten und den biologischen Untersuchungsergebnissen darlegen – Wechselbeziehungen, die bei Gruppen von Einzelpersonen, die nicht an den Krankheiten leiden anders sind.

Während bei der Behandlung bestimmter Erkrankungen die Psychotherapie eine entscheidende und wichtige Rolle spielt, sind psychiatrische Krankheiten dennoch nicht anders als jede andere medizinische Krankheit.  In manchen Krankheitsstadien, wie z.B. bei einer gewöhnlichen Erkältung, ist kein pharmakologisches Eingreifen notwendig.  Bei anderen ist das Ausbleiben einer pharmakologischen Behandlung extrem wichtig und kann der Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung vorbeugen. Ein Beispiel hierfür ist eine Person mit Bluthochdruck, die erfolgreich mit einem Abnahmeprogramm behandelt wurde, das aus richtiger Ernährung, Sport und vielleicht Meditation bestanden hat.

Genauso kann es bei manchen psychiatrischen Krankheiten angebracht sein, ausschließlich durch eine Psychotherapie zu behandeln.  Jedoch sprechen viele psychiatrische Krankheiten nicht vollständig oder ausreichend auf nicht-pharmakologische Behandlungen an und die Gabe psychiatrischer Medikamente ist nicht nur notwendig, sie ist auch entscheidend um ein Abklingen der Symptome zu erreichen.

Prinzipien für eine klare Beurteilung

Da psychiatrische Krankheiten im allgemeinen biologischer Natur sind, sind Willenskraft, Selbstmedikation und Verleugnung für gewöhnlich jämmerlich erfolglos bei der Behandlung der Probleme.  Arbeitslosigkeit, Substanzmissbrauch, Schulversagen und Schwierigkeiten im sozialen Umfeld sind oft Begleiterscheinungen dieser Störungen.   Wir wissen, dass im Falle von Depressionen Patienten, die sich zu 50 bis 99 Prozent von einer Episode einer größeren depressiven Störung erholt haben, statistisch gesehen mit ca. 75-prozentiger Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres einen ausgewachsenen Rückfall erleiden.   Dieselben Daten belegen, dass diejenigen, die zu 100 Prozent geheilt sind, nur noch mit 25-prozentiger Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres einen ausgewachsenen Rückfall haben.  Es ist deutlich, dass psychiatrische Krankheiten den Erkrankten eine Qual katastrophalen Ausmaßes, eingeschränkte Funktionsfähigkeit und das medizinische Risiko von Begleiterkrankungen aufbürdet, wenn sie nicht nachlassen und nicht behandelt werden.

Ein medizinischer Gutachter hat dementsprechend zwei Anliegen.  Erstens: Stellt die Krankheit selbst eine aktuelle und dauerhafte Bedrohung der Sicherheit des Tauchers oder seiner Begleitung dar? Zweitens: Welches Risiko besteht durch Medikamente? Der psychologische Umgang mit Angst und Phobien bei Tauchern ist eine größere Diskussion, die nicht im Rahmen dieses Artikels stattfinden kann.  Dennoch sind die Prinzipien der klaren Beurteilung eines potenziellen neuen Tauchers mit einer psychiatrischen Vorgeschichte unkompliziert.

Zunächst einmal ist die erste Bedingung, dass sich der Taucher in der Remission der Krankheit befindet.  "In der Remission" bedeutet, der Taucher sollte keinerlei Symptome der Krankheit mehr haben.  Hat der Gutachter Zweifel, sollte der für die Behandlung der psychiatrischen Erkrankung des Tauchers zuständige Gesundheitsdienstleister befragt werden und zu hundert Prozent bestätigen, dass der Patient keinerlei Symptome hat und in der Lage ist ohne Einschränkungen zu "funktionieren".  Hier ist es hilfreich zu verstehen, dass psychiatrische Krankheiten jeder anderen bedeutsamen und potenziell wiederkehrenden medizinischen Erkrankung ähnlich sind.  Sollte ein Patient mit Asthma, Diabetes, Krebs oder einer ansteckenden Krankheit tauchen wollen, so ist die Remission eine notwendige Bedingung.  Genauso ist es bei psychiatrischen Erkrankungen.

Was die Tauchtauglichkeit betrifft, so sind psychiatrische Krankheiten in keiner Hinsicht einzigartig verglichen mit anderen medizinischen Erkrankungen.  Hier das Grundprinzip der Beurteilung: Der Taucher darf keine Symptome haben.  Er muss in der Lage sein ohne Einschränkung Aufgaben auszuführen, bei denen individuelle oder gemeinschaftliche Urteilsfähigkeit notwendig ist.  Er muss geistig unversehrt sein.  Er muss seit einem längeren Zeitraum in Remission sein.  Der "längere Zeitraum" kann von Taucher zu Taucher unterschiedlich sein und ist abhängig von der individuellen Diagnose bzw. von den Umständen des Patienten.  Aus diesem Grund kann eine Beratung mit dem behandelnden Gesundheitsdienstleister angebracht sein.  Kennt sich der Gutachter mit der Diagnose und der Behandlung solcher Erkrankungen aus (z.B. wenn der Gutachter Psychiater ist), dann kann eine solche Beratung auch unnötig sein.   

Psychiatrische Krankheiten in Remission sind keine Kontraindikationen für das Tauchen.  Die Sorge des Gutachters liegt vielmehr bei den Risiken, die mangelnde Urteilsfähigkeit und unangebrachte Handlungen mit sich bringen.  Daher ist es besonders wichtig die protrahierte Remission der Krankheit zu verstehen, d.h. ob der Taucher einen Zustand ohne Symptome aufrecht erhalten hat und Auto gefahren ist, gearbeitet und an verschiedenen Freizeitaktivitäten teilgenommen hat, die geistige Fähigkeiten, Kooperation und Urteilsfähigkeit voraussetzen.  Das bedeutet es gibt einen Klinikarzt, der an der Beurteilung und an der Behandlung des zukünftigen Tauchers beteiligt war und der befragt werden kann. 

Als zweites müssen die Medikamente beurteilt werden, die für die psychiatrische Krankheit verschrieben wurden.  Es gibt nur wenige Medikamente, die für Taucher, die mit Luft auf Standardtiefen für Sporttaucher gehen, problematisch sind. Es gibt wenig handfeste Daten zur Wirkung psychiatrischer Medikamente in der Tiefe und überhaupt keine, die die Gefahr selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Serotonin und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer belegen. Auch gibt es keine Daten zu den Gefahren der Wirkstoffe, die allgemein als atypische Antipsychotika bezeichnet werden und oft zur Augmentation von Antidepressiva, bei bipolaren Störungen und Schizophrenie verschrieben werden. Stimulierende Medikamente, die zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) eingesetzt werden zeigen kein deutliches Risiko. Das größere Risiko besteht darin, die positive Wirkung der Medikamente zu verlieren, wenn diese nicht rechtzeitig genommen werden.  Medikamente gegen Krampfanfälle müssen für jeden Fall einzeln beurteilt werden.  Die Einnahme von Lithiumcarbonat ist beim Tauchen relativ kontraindiziert, da erhebliche Risiken in Zusammenhang mit einer möglichen Lithiumtoxizität bestehen, sollte der Taucher einen Natriummangel erleiden oder dehydriert sein.  Benzodiazepine und Benzodiazepin-ähnliche Komponenten sind aufgrund ihrer sedierenden und den Geist und die Urteilsfähigkeit beeinflussenden Eigenschaften Kontraindikationen zum Tauchen.

Es gibt keinen Beweis, der belegen würde, dass das Gerätetauchen für psychiatrische Patienten in Remission, die angemessene Medikamente ohne Nebenwirkungen einnehmen, ein besonderes Risiko darstellen würde.  Potenzielle zukünftige Taucher, die sich in Remission befinden, entsprechend behandelt werden und ohne Einschränkung "funktionieren", sind annehmbare Kandidaten für das Tauchen.  Die Verwendung von Nitrox oder anderen exotischen Gasgemischen, das Tauchen unterhalb der maximalen Standardtiefe für Sporttaucher, Dekompressionstauchgänge oder andere spezielle Umstände erfordern alle eine individuelle Beurteilung.

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