Psychologisches Trauma und dessen Behandlung

Im Bereich des Sporttauchens und des technischen Tauchens kann es zu traumatischen Situationen kommen, zu einer Stickstoffnarkose oder einer Dekompressionskrankheit, u. a. auch während einer Hilfeleistung für Mitmenschen, die beim Tauchen plötzlich unter Orientierungsverlust oder einem Erstickungsgefühl leiden, weil sie sich unter Wasser jenseits ihrer selbst wahrgenommenen persönlichen Grenzen begeben haben. Wenn Menschen solches widerfährt, kehren sie in Gedanken immer wieder zu diesem Erlebnis zurück: Sie holen sich Rat von Verwandten und Freunden, lesen Artikel oder gar Bücher zu diesem Thema. All das hilft ihnen bei der Verarbeitung der Situation und bei der Stabilisierung ihrer Gefühle, nachdem sie sich davon erholt haben. Aber auch dann fühlt man sich weiterhin isoliert und schleppt die Emotionen mit sich, die einen immer wieder zu den Geschehnissen der Vergangenheit zurückführen, selbst wenn man mittlerweile eine rationale Sicht des erlebten Traumas entwickelt haben sollte.
 

Aber wann können wir über ein Trauma reden? Zuerst einmal müssen wir unterscheiden, welches Ausmaß ein Trauma wirklich hat. Je größer die Emotionen angesichts der einer extremen Gefahr ausgesetzten eigenen Verwundbarkeit ausfallen, desto größer werden die traumatischen Auswirkungen des Ereignisses sein. Bei der Definition einer Posttraumatischen Belastungsstörung spricht das ‚DSM IV TR‘ (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – Diagnostisches und statisches Handbuch für mentale Störungen) von traumatischen Ereignissen, wenn es in Situationen zum Tod von Menschen, einer Todesgefahr oder einer schweren Verletzung kommt, oder wenn eine Bedrohung für die eigene persönliche Unversehrtheit oder die von anderen Menschen vorliegt. Angesichts einer solchen Situation reagiert ein Mensch mit großer Angst, einem Gefühl der Hilflosigkeit oder blankem Entsetzen. Psychologisch gesehen herrscht nach dem Passieren der Grenze zum Trauma ein Gefühlszustand, der nicht selbst verändert werden kann, ein Gefühl von verzweifelter Hilflosigkeit.

Der Mensch neigt dazu, das traumatische Ereignis erneut zu erleben, es kommt zu unangenehmen Erinnerungen, aufdringlichen Déja-Vus und Albträumen. Und wenn der Traumatisierte in Situationen gerät, die ihn an das eigentliche Trauma erinnern, wird er beunruhigt sein und von einer übersteigerten physiologischen Reaktion erfasst. Nach einer solchen Situation wird die traumatisierte Person versuchen, sich gegen alles zu schützen, das Erinnerungen an die Geschehnisse wecken könnte. Bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung dauern diese Art von Reaktionsmustern über mehr als einen Monat an und beeinträchtigen die Teilnahme am sozialen und beruflichen Leben. Wenn der Mensch mit problematischen Situationen konfrontiert wird, beginnt er strategisch zu handeln: Planung, Entwicklung und Ausführung einer geeigneten Lösung für das Problem. Resilienz (die Fähigkeit, sich psychophysisch zu erholen) kann man als geeignete Mischung aus psychologischen, physischen und umweltbedingten Faktoren definieren, die es Menschen ermöglichen, Phasen voller Chaos und starkem Stress zu überstehen, ohne ihnen zu erliegen, und sich trotz allem weiterzuentwickeln. Der Mensch verfügt also über eigene Hilfsmittel, um ein Trauma zu überwinden. In einigen Fällen kann dieses System aber nicht ausreichen.
 

Francine Shapiro, eine psychologische Wissenschaftlerin und Mitglied des ‚Mental Research Institute‘ in Palo Alto, Kalifornien, entdeckte eine Methode, die geeignet ist, in stressbeladenen Situationen diese Selbstheilungskräfte zu reaktivieren. Die Geschichte, wie sie diese Methode entdeckte, ist recht bekannt. Während eines Spaziergangs in einem Park quälten Mrs. Shapiro einige Gedanken, und sie bemerkte, dass deren belastender Inhalt nach einigen Momenten verschwand. Als sie versuchte, die störenden Gedanken erneut ins Bewusstsein zu holen, bemerkte sie, dass deren emotionale Bedeutung nicht mehr so groß war wie zuvor. Mrs. Shapiro begann darauf zu achten, welche Veränderungen mit der Bewusstmachung der störenden Gedanken und deren anschließendem Bedeutungsverlust zusammenfielen. Sie beobachtete, dass ihre Augen beim Abrufen des Gedankeninhalts begannen, sich rhythmisch und schnell in einer diagonalen Achse zu bewegen. Sie verstand, dass es einen Zusammenhang zwischen den Augenbewegungen und dem Bedeutungsverlust des Inhalts der störenden Gedanken geben könnte. In den folgenden Wochen testete sie das System mit Freunden und Bekannten. Dies waren die Anfänge von EMDR.

EMDR ist die Abkürzung für ‚Eye Movement Desensitization and Reprocessing‘ [Desensibilisierung und Wiederherstellung durch Augenbewegungen] und ist eine Behandlungsmethode für Erkrankungen durch Stress. Bei der klinischen Anwendung kann neben den Augenbewegungen auch das Einspielen von Tonquellen genutzt werden (mittels Kopfhörer, abwechselnd in das rechte und linke Ohr des Gesprächspartners), oder auch Berührungsreize auf der Haut durch sanftes Klopfen. Die EMDR-Methode kann nur von einem darin ausgebildeten Psychotherapeuten im therapeutischen Kontext angewendet werden. Nach der EMDR zugrunde liegenden Theorie bleiben die das Trauma betreffenden Informationen in ihrer ursprünglichen Form im Nervensystem eingebrannt, sie werden kaum verarbeitet. Die Bilder, Gedanken, Geräusche, Gerüche, physischen Empfindungen und die daraus abgeleiteten Überzeugungen sind in einem Netzwerk von Neuronen gespeichert, die ein unabhängiges Dasein fristen.

Dieses Netzwerk ist verankert im emotionalen Bereich des Hirns und hat keine Verbindung zum rationalen Bewusstsein. Es bildet ein Paket unverarbeiteter Informationen, das sich selbst aktiviert, sobald auch nur die leiseste Erinnerung an das durchlebte Trauma auftaucht. Das Gehirn arbeitet mit Assoziationen, und das hat bedeutungsvolle Konsequenzen für emotionale Erinnerungen: Jede Sinneswahrnehmung, die denen des traumatischen Geschehens ähnelt, ruft unvermittelt die Erinnerung dieses Moments hervor. Sogar der Körper verfügt über ein Gedächtnis! Bei der Anwendung der EMDR werden zuerst alle mit dem traumatischen Erlebnis zusammenhängenden Körperempfindungen und Emotionen hervorgerufen. Dann wird mithilfe der Augenbewegungen, Geräusche oder Hautstimulationen (sanftes Klopfen) versucht, die Verbindung zwischen diesen negativ besetzten Empfindungen und dem Ereignis aufzubrechen: Während der Augenbewegungen bilden sich im Gehirn spontane Assoziationen,die Verknüpfungen zwischen den Erinnerungen – miteinander verbunden über die Emotionen – aktivieren und transformieren.
 

Man glaubt, dass die Augenbewegungen vergleichbar mit denen sind, die unwillkürlich während der REM-Schlafphase bei uns auftreten, und dass sie auf natürliche Weise die Abnahme der Leistungsfähigkeit unseres Gehirns aufhalten können, indem sie das vervollständigen, was wir selbst nicht mehr zusammen bekommen. Es gibt eine weitere Wirkung der Augenbewegungen, jedenfalls deren erster Sequenz, eine ‚Reaktion der Entspannung‘, die sich in einer unmittelbaren Absenkung der Herzfrequenz und einem Anstieg der Körpertemperatur zeigt. Die Patienten registrieren nach der Behandlung mit EMDR generell, dass sich ihr Erinnerungsvermögen an das traumatische Ereignis nicht verändert hat. Verändert hat sich hingegen die emotionale Bedeutung, die dem Ereignis zugemessen wird. Die Patienten äußern praktisch, dass sie sich zwar an die Geschehnisse erinnern, aber das diese nicht mehr als isoliertes Etwas existieren, wie es sonst typischerweise als emotionale Reaktion auf traumatische Ereignisse geschieht. Patienten, die mit EMDR behandelt wurden, beschreiben ihre Erfahrung oftmals so, als ob sie in einem Zug sitzen würden, das traumatische Ereignis sich vor ihnen auftun würde und sie es nun mit einem Gefühl der Distanz beobachteten. Diese Behandlung hilft den Patienten, das traumatische Geschehen sowohl emotional als auch psychologisch zu verarbeiten.
 

EMDR wurde erfolgreich bei Notfällen eingesetzt, bei großen Katastrophen, die die Welt erschütterten, u. a. dem Tsunami des Jahres 2004, der viele Taucher in große Schwierigkeiten brachte; durch EMDR konnten sie das Tauchen wieder aufnehmen. Ein gutes Beispiel ist, was einem Tauchausbilder in dieser Situation widerfuhr. Eines Morgens fuhr der Instructor zusammen mit einigen Tauchern auf seinem Boot hinaus zur täglichen Tauchausfahrt. Draußen auf See erfuhr die Gruppe über das Funkgerät, dass ein Tsunami ihr Dorf heimgesucht hatte. Die Taucher selbst erlebten keinerlei Gefahrensituation. Bei ihrer Rückkehr wurde die Gruppe mit einem Bild der Zerstörung konfrontiert. Als der Instructor zwei Monate nach dem Vorfall psychologische Hilfe anforderte, erzählte er, wie sich sein Leben seit jenem Tag verändert hatte. Er fühlte sich seit jenem Zeitpunkt nicht mehr als der Mensch, der er war, und er war nicht mehr in der Lage, als Tauchausbilder zu arbeiten, da er sofort wieder an all das Leid denken musste, wenn er nur ans Tauchen dachte,insbesondere das Tauchen mit einer Gruppe. Dieser Sachverhalt machte ihm große Angst, und er glaubte, niemals wieder in diesem Bereich arbeiten zu können; er befürchtete, in eine ganz andere Branche wechseln zu müssen, die vielleicht nicht so reizvoll wäre.
 

Der Taucher erwähnte noch, dass all die Dinge, die ihn bis dahin glücklich machten, ihm nun nichts mehr bedeuteten. Zu seinen Symptomen gehörten Schlafstörungen (Schlafunterbrechungen), Albträume und immer wiederkehrende Erinnerungen an die Geschehnisse, darunter auch Bilder von einigen Toten. Der Instructor war reizbar geworden. Er gab an, dass sich seine allgemeine Sicht der Dinge verändert hatte; er machte keine Pläne für die Zukunft mehr und hatte eine pessimistische Lebensanschauung entwickelt. Außerdem machte sich in ihm ein Gefühl der Hilflosigkeit breit, und es mangelte ihm allgemein an Motivation. Plötzlich hatten die Natur, die Menschen, seine Arbeit und sein Pläne, all das, was seinem Leben einen Sinn gegeben hatte, keine Bedeutung mehr für ihn. Er mied Gespräche über die Geschehnisse und wollte auch nicht mehr fernsehen. Wäre seinen Freunden oder seiner Tauchergruppe irgendetwas passiert, wäre sein Schuldgefühl unerträglich geworden.
 

Nach der ersten Behandlungssitzung mit EMDR konnte der Instructor bereits wieder durchschlafen. Nach drei Sitzungen konnte er seine Arbeit überall auf der Welt wieder aufnehmen und weiterhin Taucher ins Wasser begleiten (dieser Fall wurde von Dr. Isabel Fernandez betreut). In einem weiteren, in der Literatur belegten Fall wird berichtet, dass ein Instructor an Posttraumatischer Belastungsstörung litt, nachdem einer seiner Tauchschüler während eines Ausbildungstauchgangs gestorben war. Nach vier Behandlungssitzungen konnte eine Besserung festgestellt werden, die sich in den nachfolgenden Sitzungen weiter verstärkte (Ladd G. ‚Treatment of psychological injury after a scuba-diving fatality‘, Diving and Hyperbaric Medicine, 2007, 37, Seite 36-39).
Und es wurde auch von einem Fall berichtet, in dem jemand Angst hatte, in tiefem Wasser zu schwimmen. Auch in diesem Fall hatte die EMDR-Methode großen Erfolg (John Campbell-Beattie, Mai 2002).

Der Autor
Federica Alfieri , Psychologin und Psychotherapeutin, ausgebildet in der Anwendung von EMDR [email protected].

Hinweis
EMDR Europe Association. Sie können mit der Koordinatorin, Dafna, per Email Kontakt aufnehmen unter [email protected] oder die Website www.emdr-europe.org besuchen, auf der Sie je nach Land und Stadt nach Therapeu- ten suchen können, für den Fall, dass ein Taucher eine EMDR-Therapie benötigt.

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