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Stille im Turm zu Babel: eine kurze Geschichte zu Handzeichen

Wenn Landratten Taucher nach den Gründen fragen, warum sie sich von einer derart menschenfeinlichen Umgebung angezogen fühlen, lautet die Antwort häufig, dass Jacques Cousteaus Welt der Stille ihnen ein beruhigendes Gefühl von Zen und innerer Ruhe spendet… bis der Lärm einer Rassel oder das aufgeregte Wedeln der Hände eines Tauchpartners sie in die Realität zurückholen. Kommunikation ist notwendig.

Kommunikation unter Wasser hat zwei hauptsächliche Zwecke: Sicherheit und das Treffen von Entscheidungen im Team. Zur Kommunikation im Bereich der Sicherheit  gehören beispielsweise das Abfragen des Zustands eines Tauchers, das Kontrollieren des Manometers (SPG), die Verständigung über Tauchtiefen, Richtungen, und Dekompressionspflichten oder Sicherheitsstopps. Das Treffen von Entscheidungen kommt unter anderem dann ins Spiel, wenn unerwartete Ereignisse oder Notfälle eintreten.

Wer nicht gerade mit einem Rebreather oder einer Vollgesichtsmaske mit Funksprechfunktion unterwegs ist, ist dabei auf nonverbale Kommunikation beschränkt. Das Schreiben von Nachrichten ist effektiv und genau, kostet aber viel Zeit. Lichtsignale sind in ihrem Vokabular sehr beschränkt und funktionieren nur in ausreichend dunklen Umgebungen. Kommunikation über Berührung ist noch eingeschränkter. Und die besagte Vollgesichtsmaske ist zwar im Handel erhältlich, aber außerhalb des Berufs- und Forschungstauchens nicht sonderlich beliebt – vielleicht ja deshalb, weil wir lieber mit den Händen sprechen und die Stille unter Wasser genießen möchten.

Wir sind also im Wesentlichen auf zwei Hände und zehn Finger beschränkt. Tech-Taucher mögen sogar argumentieren, dass eine Hand und fünf Finger ausreichen müssen, da die andere Hand mit einer Lampe, einer Spule, oder sonstigem Werkzeug belegt ist. Auch alltägliche Gesten finden Verwendung, zum Beispiel das Kopfnicken für “Ja”. In bestimmten Tachrevieren haben sich lokale Handzeichen etabliert, für dort spezifische Situationen, Meereslebewesen, Anweisungen und andere Arten von Informationen, sowie zur Anzeige eines Zustands oder einer Notlage.

Es wäre schön, wenn wir alle eine gemeinsame Sprache sprächen, auf Grundlage von an Land üblichen Handzeichen. Das würde den Lernaufwand reduzieren und Missverständnisse verhindern. Die Realität sieht jedoch anders aus. Trotz aller Anstrengungen des Weltverbands für Sporttauchen RSTC (Recreational Scuba Diving Council) haben die verschiedenen Tauchergemeinden in aller Welt abgesehen von einigen wenigen universell gültigen Handzeichen ein Wirrwarr unterschiedlicher Dialekte entwickelt, zwischen denen es durchaus zu Übersetzungsschwierigkeiten kommen kann. “Flasche halb leer” beispielsweise wird mancherorts durch zwei Fünfen angezeigt, anderswo durch das Bilden des Buchstabens “T” mit beiden Händen.

Eine solche Vielfalt kann die Kommunikation zwischen Tauchern gelegentlich erschweren oder gar verunmöglichen. Die Ursache der Vielfalt ist hierbei nicht die Teilung einer ursprünglich gemeinsamen Sprache wie in der Geschichte vom Turm zu Babel, sondern parallele Entwicklungen in voneinander isolierten Gemeinschaften. Man könnte sagen, dass in der Welt des Sporttauchens zwar die Risiken begrenzt sind, die Möglichkeit von Fehlkommunikation jedoch die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer Notlage erhöht.

Unter Tech-Tauchern ist die Lage besser: Trotz der Vielfalt an Ausbildungsverbänden kann die Tech-Gemeinde stolz von sich behaupten, eine gemeinsame Sprache zu sprechen – was wegen der erheblichen Risiken auch dringend notwendig ist. Techies verwenden nur eine Hand zur Kommunikation (mit speziellen Anpassungen für das Tragen von Fäustlingen oder dreifingrigen Handschuhen für das Tauchen im Kaltwasser). Informationen werden häufig in zwei Schritten gegeben: Im ersten wird das Thema angegeben (z. B. Druck, Tiefe Zeit), im zweiten folgt eine Zahl. Zahlen werden als Ziffernfolge angezeigt. Die Ziffern von 1 bis 5 werden mit den Fingern nach oben und der Handfläche zum Tauchpartner angezeigt, die Ziffern von 6 bis 9 mit den Fingern zur Seite und dem Handrücken zum Tauchpartner. Als zweistellige Zahl besteht die Zehn aus einer Eins gefolgt von einer Null (ähnlich einem OK-Zeichen, wobei der Kreis jedoch von allen Fingern gebildet wird, nicht nur dem Zeigefinger und Daumen). allgemein werden Zeichen mit dem Daumen vermieden, um Verwechslungen mit dem “Daumen hoch” für “Tauchgang beenden” zu vermeiden.

Technisches Tauchen beinhaltet häufig Pflicht-Dekostopps und/oder das Tauchen in geschlossenen Räumen. Hierfür wurden spezifische einhändige Zeichen entwickelt, die allen Techies bekannt sind, ganz gleich wo sie ausgebildet wurden. Alle Zeichen einzeln durchzugehen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Bei Interesse sind diese Zeichen jedoch im Internet einfach zu finden.

Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen Sport- und Tech-Tauchen ist das Vermeiden von Alltagsgesten. Techies mögen keine Uneindeutigkeiten oder Interpretationsspielräume. Zur Kontrolle des Verständnisses muss sogar jedes Handzeichen wiederholt werden. Diese Bestätigung sorgt dafür, dass keine Informationen verloren gehen. Die Sicherheit aller Teammitglieder hängt davon ab.

Vielleicht verbreitet sich ja in einer idealen, zukünftigen Welt der Stille die Kommunikationspraxis aus dem Tech-Tauchen auch im Sporttauchen. Dies würde die Verwirrung und die Notwendigkeit des Lernens neuer “Vokabeln” bei einem Ortswechsel erheblich reduzieren… im Dienste der Sicherheit. Pssst…


Video-Tutorials

Are you Ok? 

I have a problem/Something’s not right

Ascend

Descend

Out of Gas

I’m calling the dive

How much gas do you have?

Shoot a Surface marker Buoy

Ascend to safety stop for 5 min

Numbers: 0-100 (abbreviated version)


Der Übersetzer

Tim Blömeke unterrichtet Tech- und Sporttauchen in Taiwan und auf den Philippinen. Er ist Autor und freier Übersetzer, sowie Mitglied des Redaktionsteams von Alert Diver. Im Netz erreicht man ihn über seinen Blog und auf Instagram.

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