Foto: Marcello Di Francesco
Erkenntnisse aus Unfällen

Tagebuch über ein Innenohrbarotrauma

31. August 

Endlich geht es los! Zwei Tage Tauchen erwarten mich bei Kroatien. Unsere Gruppe besteht aus drei Open Water Tauchern (einer von ihnen hat über 200 Tauchgänge hinter sich) und drei Advanced Open Water Tauchern (ich selbst, mein Mann und ein Tauchexperte). Die Tauchgänge, die wir mit dem Tauchcenter geplant haben sind einfach und immer innerhalb der Sicherheitskurve (mit einer maximalen Tiefe von 30 Metern für uns Advanced Open Water Taucher).

Um in Bumbište zu tauchen, fahren wir gemeinsam mit anderen Tauchern und Guides mit dem Boot hinaus.

Es ist ein sonniger Tag und die milden Temperaturen lassen auf einen schönen Tauchgang hoffen.  Beim verabredeten Zeichen tauche ich gemeinsam mit den anderen Tauchern ins Wasser ein. Die Kopfhaube meines Nassanzugs ist eng und stört mich ein bisschen. Also versuche ich sie zu dehnen und lasse etwas Wasser hinein. Ich weiß wie es mir geht. Ich habe über sechzig Tauchgänge hinter mir. Ich weiß, dass ich sofort und innerhalb der ersten paar Meter mit dem Druckausgleich beginnen muss, weil mein rechtes Ohr "schwierig" ist. Die anderen Taucher tauchen ohne Probleme ab, aber ich beeile mich nicht. Ich mache das alles lieber langsam. Ich gleiche kontinuierlich meinen Druck aus, aber ich muss langsam abtauchen. Mein Mann taucht auch langsamer ab und wartet auf mein OK. Ich habe weiter Probleme beim Druckausgleich, bis ich nach einer Weile das Gefühl habe, dass ich es richtig gemacht habe. Ich fühle keinen besonderen Schmerz und bin ruhig… mir wurde immer gesagt, dass bei einem ernsthaften Problem auch die Schmerzen stark sind.  In diesem Moment fühle ich aber nichts, außer einem leichten Unwohlsein.

Ich tauche auf und mein rechtes Ohr ist voller Wasser. Alles klingt gedämpft und weit weg.  Ich habe Nasenbluten, das aber nur so lange andauert bis ich wieder auf dem Boot bin. "Das ist alles bis heute Nachmittag wieder weg," sage ich mir, „oder innerhalb der nächsten paar Tage." An Bord ist mir ein bisschen schwindelig, das ist aber schnell vorüber.

Nachmittags, nachdem wir genug Zeit an Land verbracht haben, gehen wir nach Jarbol und machen dort einen weiteren großartigen Tauchgang. Leider habe ich während und nach dem Tauchgang wieder dieselben Symptome wie am Morgen. Dabei ist mir ist sehr schwindelig und ich habe starkes Nasenbluten.

Das Gefühl, dass mein rechtes Ohr voll Wasser ist, ist so stark, dass ich jetzt überhaupt nicht mehr damit hören kann. Andererseits bin ich immer noch davon überzeugt, dass es ja nichts Ernstes sein kann. Denn dann würde es ja weh tun… oder etwa nicht?

1. September 

Das ist der Tag mit dem Tauchgang, auf den ich mich am meisten gefreut habe: der zu den Höhlen vor dem Tauchcenter. Mein Hörvermögen scheint nicht wieder normal zu werden und als ich eintauche stelle ich fest, dass ich nun den Druck sehr viel besser und schneller ausgleichen kann als am Vortag. Oder jedenfalls scheint es so. Erst als ich in der Höhle bin, habe ich das Gefühl einen Druckausgleich machen zu müssen und ich fühle mich unwohl. Beim Auftauchen wird es aber besser. Ich steige ohne Probleme aus dem Wasser und denke nicht einmal im Entferntesten daran, dass ich mich irgendwie verletzt haben könnte.

2. September 

Es ist Montag und wir sind von unserem Wochenendtrip zurück, aber mein Hörverlust zeigt keine Anzeichen der Besserung. Zu diesem Zeitpunkt meint mein Mann, es sei das Beste DAN anzurufen und um Rat zu fragen, nur so als Vorsichtsmaßnahme. Höflich und professionell, wie sie sind, verbinden mich die Mitarbeiter am Telefon mit der medizinischen Abteilung von DAN. Dort empfiehlt man mir so schnell wie möglich eine HNO-Spezialisten aufzusuchen.

4. September 

Wie von DAN vorgeschlagen, gehe ich ins Praxiszentrum in Triest. Nach mehreren Tests, u.a. Audiometrie- und Tympanometrieuntersuchungen, wird festgestellt, dass ich aufgrund des Tauchgangs im rechten Ohr einen extremen Hörverlust habe. Ich mache mir nicht nur wegen der Testergebnisse Sorgen, auch weil keiner versucht vorher zu sagen, wann mein Hörvermögen zurückkommt. Die Ärzte beraten sich und am Ende bittet man mich am nächsten Tag für eine offizielle Diagnose des Problems zurück zu kommen. Sie empfehlen, dass ich so viel wie möglich auf einer Seite liege, damit ich eine Verletzung der Bestandteile meines Innenohres, also z.B. des ovalen Fensters und der Hörschnecke, so gut es geht vermeide.

5. September 

Noch mehr Audiometrie- und Tympanometrieuntersuchungen, noch eine ärztliche Beratung und dann, endlich, das Urteil: das Barotrauma des Tauchgangs hat mein Innenohr verletzt und der Hörverlust ist schwerwiegend. Die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Wiederherstellung: unbekannt. Offensichtlich kann ich nichts mehr hören, noch nicht einmal mehr die Anruftöne eines Telefons, dass direkt an meinem Ohr ist. Mir wird Cortison verschrieben und ich werde zu einem Zentrum für Tauch- und Überdruckmedizin geschickt.

Ich bin verwirrt, fühle mich verloren und fassungslos, aber als ich das tauchmedizinische Zentrum betrete, fühle ich mich fast wie zu hause. Fotos von Fischen hängen an den Wänden, ich sehe Dankbriefe von Tauchclubs, Tauchkarten und Wappen verschiedener Organisationen und Tauchclubs. Dr. Rinaldi, der Tauchmediziner, ist genauso fantastisch wie das gesamte andere Personal… und da ist sogar ein Aufkleber von DAN! Ich fühle mich gleich wie zu hause. Mit neuer Hoffnung beginne ich die Überdruckbehandlung.

Ich schicke alle medizinischen Unterlagen an die Mitarbeiter von DAN, die mir fast postwendend die Wertigkeit des medizinischen Protokolls von Triest bestätigen. Zu diesem Zeitpunkt sind alle Antworten so wichtig und die Experten von DAN lassen mich nicht alleine.

Von da an nimmt alles einen hoffnungsvollen Lauf, glücklicherweise mit aufregenden Fortschritten. Nach drei Tagen Überdruck- und medizinischer Behandlung, beginnt das Geräusch des Telefons sich aus der Ferne und durch die absolute Stille um mich herum, seinen Weg zu meinem verletzten Ohr zu bahnen. Ein Geräusch, das nach einem Überdruckbehandlungszyklus (8 Einheiten) sehr laut und sehr klar klingt… Ich kann sogar ein paar Worte am Telefon hören! Ein Glücksgefühl flackert auf, eine Freude, die mich schwindelig werden lässt… ich spreche gut auf die Behandlung an und vielleicht werde ich doch nicht vollständig hörgeschädigt bleiben. Noch nie habe ich mich so sehr gewünscht das Brummen eines Wähltons zu hören.

Mit weit mehr als nur ein bisschen Angst mache ich den nächsten audiometrischen Test – 335 der verlorenen 460 Dezibel sind seit der letzten audiometrischen Untersuchung wiederhergestellt. Wenn die Ergebnisse gut sind, dann ist alles einfacher und der Körper reagiert darauf wahrscheinlich auch positiv. Voll großer Hoffnung durchlaufe ich einen zweiten Zyklus mit Überdruckbehandlungen… voller Hoffnung, die Geräusche der Welt wieder genauso wie vor dem Unfall hören zu können.

Je mehr Zeit vergeht, desto stärker ist meine Erleichterung, dass ich mich erhole. Das führt dazu, dass die Wirkung des Tinnitus nachlässt und die Geräusche deutlicher, schärfer und ausgeprägter werden.

4. Oktober 

Ein Monat ist seit meinem ersten Besuch, bei dem eine schwere Hörbehinderung diagnostiziert wurde, vergangen. Nach sechzehn Überdruckbehandlungen ist der audiometrische Test befreiend: 435 der 460 verlorenen Dezibel sind wieder da. Ich bin eine Taucherin, oder vielmehr eine Ex-Taucherin, die sehr sehr viel Glück hatte. Ich habe immer noch einen leichten Tinnitus, aber ich bin mir sicher, dass der eines schönen Tages auch völlig verschwinden wird.

Und doch ist es nicht einfach nur Glück. Glück ist einfach nur hilfreich. Seit dem ersten Tauchgang hatte ich meine Tauchversicherung bei DAN und war überzeugt davon, dass selbst wenn man jeden Tauchgang noch so detailliert plant, doch immer ein kleines Risiko bleibt. Und das dieses Risiko es notwendig macht rechtzeitig kompetente Unterstützung und medizinische Hilfe von DAN erhalten. Die meisten Taucher werden die wahrscheinlich nie nötig haben, aber für die, die einmal in eine Notsituation geraten, ist es umso wichtiger sich auf eine Institution mit Experten und Fachleuten verlassen zu können. In meinem Fall hat DAN dafür gesorgt, dass ich sofort zu einem HNO-Arzt ging und bestätigt, dass die Behandlung den aktuellsten Richtlinien entsprach.

Aus diesem Grund wollte ich unbedingt die Geschichte meines Unfalls weitererzählen: um alle meine Tauchfreunde vor den Problemen zu warnen, die ich hatte. Barotraumata im Ohr, vor allem im Innenohr, sind ein Risiko, das kaum Beachtung findet. Weder von Tauchlehrern noch von Tauchern im allgemeinen, ganz egal bei welcher Ausbildungsorganisation sie sind.   Während all unserer Kurse wurden wir auf Dekompressionskrankheiten aufmerksam gemacht, auf Stickstoffnarkosen, das Reißen des Trommelfells aufgrund eines falschen Druckausgleichs, auf latente Mikrobläschen und sogar auf Sauerstofftoxizität in großer Tiefe. Aber nie auf die Möglichkeit, dass es unabhängig von einer Dekompressionskrankheit zu einem Barotrauma kommen kann, das durch einen normalen (oder erzwungenen) Druckausgleich ausgelöst wird oder vielleicht das Ergebnis einer zu engen Kopfhaube ist. Ich hoffe, dass meine Erfahrung dazu beitragen kann diese stillen und doch gefährlichen Verletzungen zu vermeiden.

Kommentar des Experten

Das ist ein ganz klarer Fall eines Innenohrbarotraumas, wahrscheinlich verursacht durch eine Verletzung des Innenohrs und vermutlich mit Auswirkungen auf das ovale Fenster oder direkt auf die Hörschnecke. Hervorzuheben sind hierbei die bekannten und häufigen Probleme beim Druckausgleich, die Frau Bolzan beschreibt und die Tatsache, dass sie fälschlicherweise glaubt, dass solche Probleme immer mit Schmerzen einhergehen. „Wenn es nicht weh tut, ist es kein ernstes Problem." Das ist nicht der Fall. Alleine die Schwierigkeiten beim Druckausgleich selbst können ein Druckungleichgewicht zwischen dem Mittelohr und dem Innenohr erzeugen und das kann, auch ohne erkennbare Schmerzen, Schaden anrichten. Umso mehr muss man darauf bestehen, dass Schwierigkeiten beim Druckausgleich als Alarmsignal verstanden werden und dass das Erzwingen eines Druckausgleichs nicht sicher ist.

Was Frau Bolzans Aussage angeht, dass sie sich nun für eine „Ex-Taucherin" hält, so denke ich, sie sollte nicht so pessimistisch sein: Tatsache ist, dass die Behandlung ein Erfolg war und dass sie zu einer völligen Erholung mit nur minimalen Residualwirkungen geführt hat.  Ich würde vorschlagen, dass sie versucht die Probleme, die die eigentliche Ursache für ihre Druckausgleichsschwierigkeiten sind.

Die Lektion: es ist keine gute Idee beim ersten Tauchgang den Druckausgleich zu erzwingen und dann trotz klarer Symptome wie Ohrenschmerzen und Hörverlust einen weiteren Tauchgang zu machen.

Nachdem sie ihre Lektion nun gelernt hat, sehe ich keinen Grund, warum sie nicht mehr tauchen sollte.

 

Dr. Alessandro Marroni
Präsident und Chief Medical Officer von DAN Europe


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