Tauchen jenseits der Grenzen des Sporttauchens

“Technische” Taucher dringen unaufhörlich in Tiefen jenseits des eigentlichen Sporttauchens vor und erreichen tiefere und unerbittlichere Welten.

Einst ausschließlich militärischer Nutzung vorbehalten sind Rebreather mittlerweile überall weit verbreitet. Helium- und EANx-Gemische bekommt man so gut wie überall, ebenso wie das entsprechende Training dafür. Unter Einsatz von Scootern mit großer Reichweite dringen technische Taucher immer weiter in Höhlen vor, oftmals mit Dekompressionsberechnungen, die rein experimenteller Natur sind. Wir werden die Folgen dieser Entwicklungen im Folgeenden näher beleuchten.

De klinische Manifestationen von DCS nach dem Atmen multipler Gasgemische beim Auftrauchen aus einer Tiefe von 100m ist häufig sehr unterschiedlich. Fälle von Innenohr-DCS haben in den letzten 25 Jahren stark zugenommen. Wie die Forschung zeigt sind diese häufig mit “dem Loch im Herzen”, dem Offenen Foramen Ovale (PFO bzw. Patent Foramen Ovale) verbunden.

Die Mediziner sind sich einig, dass ein DCS-Risiko bei Sporttauchern mit einem PFO 2,5- bis 6,5-mal höher ist als bei Tauchern ohne PFO. Aber das Risiko immer noch so gering, dass es kein routinemäßiges Screening auf PFO rechtfertigt. Beim technischen Tauchen erreichen die Taucher jedoch Tiefen jenseits der Grenzen des normalen Sporttauchens, was das Einhalten von teils erheblichen Dekompressionsstopps vor dem Auftauchen erforderlich macht. Mindestens ein Ausbildungsverband für technisches Tauchen empfiehlt das Screening auf PFO, bevor man mit Dekompressionstauchgängen beginnt.

Rebreather verzeihen häufig keine Fehler des Tauchers. Diese Hightech-Geräte setzen detailliertere und anspruchsvollere Ausbildung, eine sachgemäße Wartung und viel aufwändigere Checks vor Tauchgängen voraus. Wenn zum Beispiel ein Sporttaucher vergisst, das Ventil an seiner Gasflasche zu öffnen, wird er diesen Fehler spätestens dann bemerken, wenn er versucht zu atmen und keine Luft bekommt. Er wird dann üblicherweise sofort wieder auftauchen können und jemand wird das Ventil dann aufdrehen: ein Vorfall, aber kein Unfall. Bei vielen Rebreathern hat es im Gegensatz keine unmittelbaren Konsequenzen, wenn ein Taucher vergisst, die das Ventil der Sauerstoffflasche zu öffnen. Der sich bereits im Atemkreislauf befindliche Sauerstoff wird dann allerdings langsam und unmerklich aufgebraucht, bis der Taucher plötzlich – mit dem Mundstück im Mund – einen in die Bewusstlosigkeit führenden Blackout erfährt und dabei leicht in Lebensgefahr gerät. Solche Fälle sind sogar schon in sehr flachem Wasser vorgekommen.

Es existieren zwar keine belastbaren Daten, wie stark das Risiko gegenüber normalem Gerätetauchen erhöht ist, man ist aber einhelliger Meinung darüber, dass das Todesfallrisiko bei Rebreathertauchern sehr viel größer ist. Eine kürlich durchgeführte Analyse kommt auf einen Schätzwert von 4- bis 10-fach erhöhtem Todesfallrisiko. Angesichts des geschätzten Todesfallrisikos beim Tauchen mit Sporttauchen offenen Systemen auf 0,6 bis 2,1 pro 100 000 Tauchgänge, mag das absolute Todesfallrisikos beim Tauchen mit einem Rebreather vielleicht niedriger sein als manche erwarten würden. Bis vor kurzem noch war sogar speziell das Tauchen mit Rebreathern bei einigen Tauchversicherern im Freizeittauchbereich nicht versicherbar. Jetzt, nachdem sich die Lage klärt, können Rebreather-Taucher Versicherungen abschließen, die denen bisheriger Sporttaucher gleichwertig sind.

Eine andere relativ kürzlich entstandene Entwicklung im Freizeittauchbereich ist das Tauchen von Kindern und Jugendlichen. Tauchausbildung  für Kinder ab 10 Jahren sind nicht mehr die Ausnahme, wenn auch mit Tiefenbeschränkungen und besonderen Regeln zu Aufsichtspflichten. Parallel ist auch die Erforschung des Tauchens auf die Gesundheit von Kindern angelaufen. Zwar am anderen Ende der Skala, aber dennoch vergleichbar, fangen wir gerade erst an, über die Langzeiteffekte des Tauchens nachzudenken, obwohl das Gerätetauchen schon seit 40 Jahren weit verbreitet ist. Wir wissen, dass sich Bläschen häufig in unserem Körper bilden, sogar nach Tauchgängen, die als “sicher” gelten, und dass diese Dekompressionsbläschen eine messbare Wirkung auf die Zellen und die Funktion des Endotheliums, also der inneren Wand unserer Blutgefäße, ausüben. Wird ein Leben mit tiefen Dekompressionstauchgängen später zu Gedächtnisschwäche oder andere unerwünschte Spätfolgen verursachen? In einem unlängst erschienen Artikel heißt es, dass es vielleicht sehr kleine Änderungen in den kognitiven Funktionen von Freizeittauchern geben wird, dies jedoch keinen negativen Effekt auf die “Lebensqualität” haben wird. Bei Berufstauchern gibt bereits es Hinweise darauf, wenn auch nur in begrenztem Umfang.

Tauchen wird man immer und inzwischen ist es leichter denn je, es zu erlernen und danach rasch in immer größere Tiefen vorzudringen. Tauchausrüstungen waren noch nie so erschwinglich und bedienerfreundlich. Tatsächlich zeigen die meisten modernen Tauchcomputer Dekompressionszeiten oder zumindest Zeiten für die Notdekompression an, und zwar für Wiederholungstauchgänge weit über die Grenzen des bisherigen Freizeittauchens hinaus. Bevor es Tauchcomputer gab, wussten ältere Taucher und Ärzte zum Beispiel, dass jeder, der einen 50m tiefen Tauchgang gemacht hat, diesen Tauchgang besser nicht noch einmal am Nachmittag wiederholen sollte und dass es sicherer sei, dem Körper mindestens einen ganzen Tag lang Zeit für die Stickstoffentsättigung zu geben. Mittlerweile ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass Taucher mit einer DCS nach genau solchen “unsicheren” tiefen Wiederholungstauchgängen in der Druckkammer landen.

Während die Technik sich weiter entwickelt hat, besteht berechtigt wachsende Besorgnis, dass das Grundwissen in Sachen Tauchen immer weiter abnimmt. In vielen Fällen lernen die Tauchschüler in heutigen Tauchkursen nicht einmal mehr etwas über die Tauchtabellen. Es entgeht ihnen somit das Wissen um den Zusammenhang zwischen Tiefe und Nullzeiten oder die Regeln für den Ausnahmefall bei einer ungeplant zu langen Exposition. Es ist daher nicht verwunderlich, dass einige Taucher zum ersten Mal in der Druckkammer mit diesen Regeln Bekanntschaft machen. Selbst in Kursen für technisches Tauchen lernt man kaum noch das Planen von Tauchgängen mit Tabellen. Daher wird der frischgebackene technische Taucher eines Tages vielleicht nicht mehr sicher wissen, was er zu tun hat, wenn seine aufladbaren Tauchcomputer während eines langen Tauchgangs ausfallen.

Was kommt als nächstes? – Die Zukunft

Wir prognostizieren, dass die persönlichen Kontakte während der Tauchausbildung immer weiter abnehmen werden. Die Entwicklung und der Einzug des Internets in unsere Lebensbereiche haben dazu geführt, dass Tauchkursschüler jetzt imme häufiger den theoretischen Teil des Kurses online absolvieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis komplette Tauchkurse online verfügbar sein werden.

Ein Rebreather-Hersteller  bietet bereits eine Online-Zertifizierung ohne persönliche Ausbildungsanteile für ein bestimmtes Rebreather-Modell an.

Es ist nachvollziehbar, dass der Einsatz redundanter Spezialtauchausrüstung mehr und mehr in Betracht gezogen und so zur Entwicklung von  modularem und redundantem Tauchequipment führen wird. Solche neuen Konzepte werden wahrscheinlich die Rekonfiguration der Ausrüstung unter Wasser im Falle von Ausnahmefällen und / oder Notfallsituationen erleichtern und technischen Tauchern damit noch mehr als jetzt die Möglichkeit geben, sich auf ihr eigenes Equipment zu verlassen.

Besondere Sorge bereitet technischen Tauchern "der alten Schule", dass der Einsatz von Tauchcomputern für die Dekompressionsplanung als ausreichend zuverlässig angesehen wird. Die Kombination von PC-basierter Dekompressionsplanungs-Software mit dem vom Taucher am Handgelenk getragenen Armbandcomputer wird von Sporttauchern und technischen Tauchern gleichermaßen begrüßt, aber dies sollte nicht dazu führen, dass man die Grundprinzipien der Tauchplanung allein einem Computer überlassen sollte. Ein solides theoretisches Fundament, das den Zusammenhang zwischen Tauchphysiologie, körperlicher Fitness, Tiefe, Zeit, Dekompressionspflicht und Gasverbrauch lehrt, gibt einem technischen Taucher die Möglichkeit, Schwachstellen und Fehler der computerbasierten Modellberechnungen zu beurteilen. Während Tauchcomputer immer zuverlässiger und die Toleranzschätzungen für Dekompressionsstress immer besser werden, sollte die tabellenbasierte Tauchplanung jedoch weiterhin integraler Bestandteil der Ausbildung für technisches Tauchen bleiben. Vergleichbar wie das Erlernen des “Rechenschiebers” während des frühen Aufkommens erster elektronischer Taschenrechner, als kluges Backup, bis die Rechnerkapazitäten den Anforderungen der Wissenschaftler, Ingenieure, usw. voll entsprachen. Wir befinden uns gerade in einer entwicklungsmäßigen Übergangsphase und sind noch nicht soweit, ausschließlich auf Tauchcomputer zu vertrauen. Manche erfahrene Tauchausbilder sind sogar die Ansicht, dass keine Tauchcomputer verwendet werden sollten, weil ihre Validität bezüglich sicherer Dekompressionszeitenberechnungen wissenschaftlich noch nicht ausreichend bewiesen ist.

Einhergehend mit dieser Entwicklung ist die Sorge darüber, dass technische Taucher auf Tauchcomputer und automatisierte Gasverbrauchsberechnungen umsteigen, ohne dabei das entsprechende Training erhalten zu haben, im Notfall reagieren zu können, wenn die Automatik ausfallen sollte. Das kommt regelmäßig vor, zum Beispiel, wenn Taucher Wiederholungstauchgänge in größere Tiefen machen, weil “der Computer keine Warnung angezeigt hat”, oder wenn ihnen das Gas für die Dekompressionsphase fehlt und sie daher früher als geplant auftauchen müssen, weil “der Computer gesagt hat, ich hätte genug Gas”. Wenn wir uns schon zunehmend abhängiger von Technik machen, sollten wir die Fähigkeiten nicht aus den Augen verleiren, die uns bis dahin gebracht haben.

Nicht wenige Taucher haben schon einaml einen totalen Computerausfall während der Dekompressionsphase erlebt und mussten auf ihre zuverlässigen Notizenauf der Nasstafel als Notfallplan zurückgreifen.

Das Mitführen von mehr als einem Computer beim technischen Tauchen erübrigt nicht die Planung von „Out-of-Gas“-Szenarien und Notfalltiefenplänen. Die Dekompression nach nicht standardisieten Tauchgängen(z.B. reverse Tauchprofile, Yo-Yo- oder Wiederholungstauchgänge), wie man sie häufig beim Höhlentauchen und auch gelegentlich beim Tieftauchen sieht, ist noch nicht vollständig nachvollzogenund erfordert zum endgültigen Verständnis Überprüfung im Rahmen weiteerer Forschung in diesem Bereich.

Abschließend bitten wir alle technischen Tauchtrainer dringend darum, sich über die aktuelleste Forschung und die neuesten technischen Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten, weil sich Training und Verfahren ständig weiterentwickeln. Dies über Teilnahme an Tagungen und Konferenzen wie zum Beispiel EuroTek, Techmeeting und/oder OZTeK, Magazine über technisches Tauchen und an Foren im Bereich technisches Tauchen.

Wir fassen zusammen das Wichtigste zusammen: Zieh' dir gern möglichst viel Wissen über technisches Tauchen 'rein, aber sei dir bewusst, dass möhglicherwiese nicht alles davon abgesichert ist. Die Hälfte von dem, was man dir beigebracht hat, stimmt vermutlich nicht – nur leider weiß man noch nicht, welche Hälfte das ist.

Deswegen bleiben Umsicht und konservatives Tauchen die einzig vernünftige Option. Es ist wirklich tragisch, einen Taucher mit Dekompressionssymptomen in der Druckkiammer behandeln zu müssen, dem sein Risiko, auf das er sich bei diesem Tauchgang eingelassen hat, nicht bewusst gewesen ist!


Der Artikel ist ein Auszug aus dem Buch “The Science of Diving, Things your instructor never told you”.

Veröffentlicht wurde dieses Buch von Lambert Academic Publishing. Käuflich zu erwerben ist es online hier oder kann in jedem Buchladen über seine ISBN-Nummer 978-3-659-66233-1 bestellt werden. Das Buch kostet 49,90 €. Alle Autorenhonorare aus dem Verkauf dieses Buches fließen zur weiteren Förderung der Tauchmedizinforschung als Spende an die EUBS.

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