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Bereiter Taucher

Teambewusstsein und Positionierung

Ein Team ist eine Gruppe Menschen mit einem gemeinsamen Ziel. Nicht jede Gruppe ist ein Team. Teams haben Mitglieder mit Fertigkeiten, die einander ergänzen. Durch koordinierte Anstrengungen entstehen Synergien, so dass die Stärken jedes einzelnen Teammitglieds optimal zum Tragen kommen, während die Schwächen minimiert werden.

Naresh Jain schrieb 2009: ‘Teammitglieder müssen lernen, sich gegenseitig zu unterstützen, einander zu helfen, das volle Potential jeder einzelnen Person zu realisieren, und eine Umgebung schaffen, in der Menschen über sich hinaus wachsen können.’

Mitglieder eines Tauchteams sollten hinsichtlich Fähigkeiten und Werten Übereinstimmungen haben, um Redundanzen zu schaffen. Identische Verfahren und Abläufe, Fertigkeiten, Erfahrungen, zielführende Kenntnisse und eine zumindest ähnliche Gerätekonfiguration tragen zum Funktionieren eines Teams bei. Ein sehr wichtiger Aspekt des Tauchens im Team ist das Bewusstsein für die Fähigkeiten des Teams, den körperlichen und geistigen Zustand seiner Mitglieder, und die Bereitschaft, andere Teammitglieder zu unterstützen. Es ist gängige Praxis, innerhalb des Teams Aufgaben zu verteilen – z. B. Navigation, Leinen legen, Boje setzen, Bedienung der Kamera, Management der Deko-Strategie. Jedes Mitglied des Teams sollte jedoch in der Lage sein, bei Bedarf jede dieser Aufgaben zu übernehmen.

Für mich ist ein gut funktionierendes Tauchteam wie ein kollektives Bewusstsein, in dem alle Elemente perfekt aufeinander abgestimmt sind und die Leistungsfähigkeit jedes Tauchers sich mit der Anzahl der Teammitglieder multipliziert. Das kollektive Bewusstsein kann Aufgaben erfüllen und ein Maß an Sicherheit und Komfort gewährleisten, das für einen einzelnen Taucher nicht erreichbar ist. Ein Team ist das perfekte Werkzeug für projektorientiertes Tauchen.

Tauchen kann – und sollte – eine Teamaktivität sein. Für mich ist der Teamfokus von grundlegender Bedeutung für Sicherheit, Komfort und Erfolg bei zielorientierten Tauchgängen.

JP Bresser, GUE Tauchlehrer

Haben Sie schon einmal einen Schwarm Stare im Flug beobachtet? Hunderte oder sogar Tausende Vögel fliegen zusammen in einem wirbelnden, ständig veränderlichen Muster, mit abrupten Drehungen und Richtungswechseln. Wie schaffen Vögel es, den Flug im Schwarm mit solcher Perfektion zu choreografieren und zu koordinieren? Jeder Vogel weiß, wann sein Nachbar die Richtung wechselt, aber wie gelingt es Hunderten oder Tausenden von Vögeln, gleichzeitig die Richtung zu wechseln, obwohl sich zwischen entgegengesetzten Enden des Schwarms ein großer räumlicher Abstand und unzählige Tiere befinden? Es bleibt vorerst ein Rätsel.

Wir Taucher sind keine Stare, und unsere ‘Schwärme‘ begrenzen sich auf eine Handvoll Individuen. Doch wie wäre es, wenn (ganz abgesehen von der Schönheit der Choreografie) wir als Einheit tauchten, einander spiegelten und perfekt positioniert sich ergänzende Aufgaben ausführten? Wäre es nicht angenehmer und sicherer, sich als Team in einer Weise zu positionieren und miteinander zu kommunizieren würden, die die Umsetzung des Plan und das Reagieren auf unvorhergesehene Ereignisse vereinfacht?

Im Zuge unserer Tauchausbildung durchläuft das Management unseres anfangs noch wackligen ‘Kartenhauses’ verschiedene Phasen: Atmung und Tarierung, Wasserlage und Schwimmtechnik… nach und nach lernen wir zu fliegen. Durch stetige Übung werden wir sicherer und beginnen, unsere Aufmerksamkeit nach außen zu richten, genießen unsere Umgebung und die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, die ein paar Meter entfernt mit uns durch die dreidimensionale Unterwasserwelt fliegen. Team und Bewusstsein sind Begriffe, die uns noch nicht in den Sinn kommen. 

Wir sind einfach nur eine Gruppe Individuen, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort tauchen. Wir wissen nicht viel über die Ausrüstung, Kompetenz, oder die Notfallverfahren unseres ‘Buddys’, der möglicherweise einen anderen Ausbildungshintergrund hat. Unsere Kommunikation ist reaktiv statt vorausschauend, begrenzt auf “OK”, “schau mal hier” und ähnliche Handzeichen in unregelmäßigen Abständen, bis jemand die 50-bar-Marke erreicht und es zeit wird, an die Oberfläche zurückzukehren. Sollte jemand unterwegs verloren gehen, haben wir gelernt, eine Minute lang zu suchen und dann den Tauchgang zu beenden. Das Gesamtbild ist ein schlecht geplanter Tauchgang einer desorganisierten Ansammlung unsicherer Taucher. Es ist nur zu hoffen, dass niemand beim Versuch, seinen Buddy zu finden, dem Nachbarn die Maske aus dem Gesicht tritt.

Das Tauchen im Team hat zweierlei Zweck: Sicherheit und Arbeitsteilung. Sicherheit ist gewährleistet, wenn eine geeignete Anzahl Taucher (zwei bis drei; vier Taucher bilden zwei Zweierteams) entstehende Probleme wie Ausrüstungsversagen und Herausforderungen wie komplexe Navigation oder schwierige Tauchumgebungen gemeinsam angehen. Das Prinzip der Redundanz gilt nicht nur die Ausrüstung, sondern auch für die Anzahl Hirne und Augenpaare, die sich mit einer Situation befassen. Bei bestimmten Tauchgängen, z. B. Deko-Tauchgängen, führen die Teammitglieder bestimmte Handlungen synchron aus, wie sie es in der Ausbildung gelernt haben.

Arbeitsteilung kommt ins Spiel, wenn Taucher einander ergänzen und im Zuge einer Mission unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Wrack- und Höhlentauchgänge sind ein gutes Beispiel – ein Teammitglied ist für das Legen der Leine zuständig und richtet die Aufmerksamkeit nach vorn, während ein anderes Mitglied nach hinten sichert und mit der Lampe zusätzliches Licht liefert.

 

“Das Prinzip der Redundanz gilt nicht nur die Ausrüstung, sondern auch für die Anzahl Hirne und Augenpaare, die sich mit einer Situation befassen.”

 

Ganz gleich um welche Art Tauchgang es sich handelt: Das Team plant den Tauchgang, visualisiert den Plan, führt den Plan aus, und respektiert, dass jedes Teammitglied jederzeit den Tauchgang abbrechen kann, ganz gleich aus welchem Grund. Dies ist mehr als eine goldene Regel, es ist eine Sicherheitsmaßnahme.

Teambewusstsein und Positionierung sind wesentliche Faktoren für die Sicherheit aller Taucher und ihre Fähigkeit zu kommunizieren. Dieses Bewusstsein beruht auf der kombinierten kognitiven Leistungsfähigkeit aller Teammitglieder, ihrer Wahrnehmung, ihrem Wissen, und ihrer Fähigkeit eine Situation auf Grundlage früherer Erfahrungen zu Ende zu denken, sowohl als Individuum als auch in der Gruppe. Dabei ist zu beachten, dass Taucher, die durch Schwierigkeiten mit Tarierung, Wasserlage, oder der Fähigkeit, eine stabile Position einzunehmen und sich anderen Teammitgliedern zuzuwenden und zu kommunizieren abgelenkt sind, ihre Rolle im Team nur eingeschränkt wahrnehmen können.

Für eine gute Positionierung im Team braucht man die ‘Trumpfkarten’ – Atmung und Tarierung, Wasserlage und Schwimmtechnik – die wir in früheren Teilen unserer Serie bereits in den Blick genommen haben. Die Fähigkeit, konsistent eine Armlänge entfernt nebeneinander oder eine halbe Körperlänge entfernt hintereinander zu schwimmen, vereinfacht die Kommunikation ungemein und beschleunigt dadurch die Reaktion auf mögliche Probleme. Gute Positionierung ermöglicht es, ohne langes Suchen jederzeit zu wissen, wo sich die anderen Teammitglieder befinden – es genügt eine Kopfdrehung nach links oder rechts, oder der Blick auf den Lichtkegel des nachfolgenden Teammitglieds. Die Fähigkeit, synchron auf gleicher Tiefe auf- und abzusteigen und dabei einander zugewandt zu bleiben verbessert die Kommunikation, vermeidet Orientierungsverlust, und verbessert die Sicherheit bei einem eventuellen Ausrüstungsproblem. Das Ausnutzen der Umgebung gehört ebenfalls zum Teambewusstsein – der Aufstieg entlang der Ankerleine statt Treiben im Blauen, das Richten des Blicks auf die Wand statt von ihr weg, das Setzen einer Boje als Unterstützung zu Beginn des Aufstiegs und zur Benachrichtigung der Bootscrew.

Die Kommunikation im Team beruht auf einer gemeinsamen Sprache, die erlernt, eingeübt und vor dem Tauchgang validiert werden muss. Nach ein paar Tauchgängen sprechen alle Mitglieder die gleiche Sprache. Bei einem Wechsel der Teammitglieder sollte die Sprache die gleiche bleiben. Hier liegt einer der großen Unterschiede zwischen der Welt des Sport- und der des Tech-Tauchens: Während im Sporttauchen eine Übersicht über die Handzeichen Teil des Briefings ist und die Handzeichen je nach Ort deutlich variieren können, haben sich Tech-Taucher auf eine Art Weltsprache aus Handzeichen, Schrift, Lichtsignalen und Kommunikation durch Kontakt geeinigt, die keiner weiteren Diskussion mehr bedarf. Der Großteil der wirklichen Kommunikation ist jedoch implizit, was uns wieder zum Thema Bewusstsein zurückbringt. Die meisten von uns haben einen speziellen Buddy – unseren Lieblingstauchpartner oder -partnerin, bei dem oder der wir auch ohne Handzeichen immer sofort wissen, was los ist. Diese Fähigkeit, hinter die Maske zu sehen, andere Teammitglieder zu “lesen” und im Kontext der Umgebung die Situation zu interpretieren ist kein Wunderwerk. Sie zu entwickeln benötigt Zeit, Übung und Bescheidenheit. Einige der Drills während der Ausbildung stellen die Fähigkeit des Teams zum Umgang mit Herausforderungen auf die Probe.

Die meisten Ausbildungsverbände bieten eine Form der Solo-Tauchausbildung an, in der der Umgang mit redundanter Ausrüstung und andere Sicherheitstechniken vermittelt werden. Manche Taucher werden argumentieren, dass es sicherer ist alleine zu tauchen als in schlechter Gesellschaft. Dies mag manchmal zutreffen, geht aber am Kern des Problems vorbei. Die Unterschiede zwischen den Tauchern sollten vor dem Tauchgang geklärt werden, um zu verstehen, was die Gesellschaft auf den ersten Blick schlecht erscheinen lässt. In den meisten Fällen liegt die Ursache bei Defiziten in der Ausbildung oder in Kommunikation und Planung vor dem Tauchgang.

 

“Taucher haben sich auf eine Art Weltsprache aus Handzeichen, Schrift, Lichtsignalen und Kommunikation durch Kontakt geeinigt, die keiner weiteren Diskussion mehr bedarf. Der Großteil der wirklichen Kommunikation ist jedoch implizit.”

 

Beim Tauchen geht es um das Verfolgen gemeinsamer Ziele, nicht um individuellen Ruhm. Zusammenkommen ist der Anfang, zusammenbleiben ist Fortschritt, und das Tauchen als Einheit ist ein Erfolg. Ornithologen bewundern den Gruppenzusammenhalt von Staren in einer unsicheren Umgebung und bei begrenzter, unpräziser Kommunikation. Wenn Unsicherheiten vorliegen, optimiert die Interaktion mit einer begrenzten Anzahl Partner die Balance zwischen Gruppenzusammenhalt und individueller Anstrengung.


Die Autorin

Audrey ist Höhlenforscherin und unterrichtet Tech-Tauchen mit Schwerpunkt auf Sidemount und Höhlentauchen in Europa und Mexiko.

In der Tauchwelt ist sie für ihre Unterwasserfotografie bekannt, in der sie Tech- und Höhlentaucher in Szene setzt. Ihre Werke wurde in zahlreichen Magazinen veröffentlicht, z. B. Wetnotes, Octopus, Plongeur International, Perfect Diver, Times of Malta, sowie in den Publikationen von SDI/TDI und DAN (Divers Alert Network).


Der Übersetzer

Tim Blömeke ist freier Übersetzer für Wissenschaft, Technik und Recht, sowie passionierter Wrack- und Höhlentaucher. Er unterrichtet Tauchen (Sport und Tec) in Taiwan und auf den Philippinen.

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