Von der Theorie zur Praxis – Notaufstiege: Das Risiko im Griff
Ein Notaufstieg ist bei einem unerwünschten Zwischenfall oder bei einer vermeintlichen Bedrohung der letzte Ausweg. Taucher sind in Standardnotaufstiegsverfahren ausgebildet, so dass sie, wenn sie sie denn richtig durchführen, Gefahrensituationen entschärfen können. Nur wenige üben jedoch diese Fertigkeit und wenn sie in einer kritischen Lage angewendet werden soll, dann besteht das Risiko, dass der Taucher sich ernsthaft verletzt oder sogar umkommt.
Die Statistiken
Bei einer kürzlich durchgeführten Analyse von 964 Todesfällen beim Tauchen, haben wir festgestellt, dass in 30 Prozent der Fällen Notaufstiege eine Rolle gespielt haben — bei 288 Fällen um genau zu sein. Bei 189 dieser Notaufstiege wurde ein schneller Aufstieg (schneller als 60 fpm, d.h. 30 cm pro Sekunde) bezeugt oder aufgezeichnet. Bei 10 Prozent der Notaufstiege versuchten die Taucher frei aufzutauchen, also ohne Atemgas zu atmen. Bei 8 Prozent der tödlichen Notaufstiege spielte Wechselatmung eine Rolle. In den übrigen Fällen wurde nicht näher auf die Art des Notaufstiegs eingegangen.
Der häufigste Auslöser eines Notaufstiegs ist Atemgasnot während des Tauchgangs – eine Ursache, die man komplett vermeiden kann. Mehr zu diesem Thema in Tauchsicherheit: kein Zufall (AlertDiver.eu, 2013; 52)
Die häufigste Todesursache bei Notaufstiegen sind arterielle Gasembolien (AGE). Sie sind für 54 Prozent der Todesfälle verantwortlich, gefolgt von Ertrinken mit 18 Prozent, akuten Herzleiden mit 7 Prozent und Dekompressionskrankheiten mit 5 Prozent. AGEs ähneln Schlaganfällen. Es kommt ganz plötzlich zu Schwäche und nur Minuten nach dem Auftauchen normalerweise zur Bewusstlosigkeit. Oft wird ein Taucher vor oder direkt nach dem Ausstieg aus dem Wasser bewusstlos.
Das Risiko in den Griff kriegen
Als Taucher lernen wir alle, dass wir unter Wasser die Luft nicht anhalten sollen. In einer Notsituation vergessen Taucher das leider jedoch sehr oft und auch die Gründe dafür. Wenn ein Taucher aufsteigt und der Umgebungsdruck nachlässt, dehnt sich die Luft in den Lungen aus. Wenn der Taucher normal atmet ist das kein Problem, denn das sich ausdehnende Gas entweicht durch jedes Mal, das ausgeatmet wird. Gefährlich wird es, wenn der Aufstieg zu schnell ist und das sich ausdehnende Gas nicht entweichen oder wenn der Taucher beim Aufstieg die Luft anhält. Das sich ausdehnende Gas muss irgendwohin entweichen. Es kann buchstäblich ein Loch in die Lunge des Tauchers reißen und so in den Körper gelangen. Bei Verletzungen durch Lungenüberdehnung handelt es sich z.B. um Mediastinalemphyseme (Luft zwischen den Lungen), subkutane Emphyseme (Luft unter der Haut) und Pneumothorax (Lungenkollaps). Aber das größte Problem entsteht, wenn entweichendes Gas in den arteriellen Blutkreislauf eintritt. Dann kann man es nicht daran hindern direkt ins Gehirn zu wandern, dort einen Embolus zu bilden und den Blutfluss zu blockieren.
In der kritischen Situation eines Notaufstiegs kann es sein, dass Taucher ihre Ausbildung vergessen oder nicht ausatmen, weil sie Angst haben vor dem Erreichen der Oberfläche keine Luft mehr zu haben. Beim Aufstieg aus Sporttauchtiefen, ist die sich ausdehnende Luft in den Lungen des Tauchers normalerweise mehr als ausreichend zum Überleben. Es kommt äußerst selten vor, dass ein Taucher ertrinkt bevor er die Oberfläche erreichen kann.
Erinnere Dich an Deine Ausbildung
Wie solltest Du also mit Notaufstiegen und den Verletzungsrisiken umgehen? Wie bei jedem Tauchnotfall, ist die beste Lösung erstmal sie von vorne herein zu vermeiden. Deine Ausbildung sollte auf dem neusten Stand sein und Du solltest üben. Plane jeden Tauchgang sorgfältig und tauche mit einer Atemgasreserve auf. Folge Deinem Plan. Und natürlich solltest Du Deinen Luftvorrat regelmäßig kontrollieren.
Nehmen wir einmal an, dass Du alles richtig machst und dann trotzdem in eine Situation gerätst bei der Du einen Notaufstieg machen musst. Wie gehst Du also am besten vor?
Zunächst einmal: keine Panik. In Deinem ersten Ausbildungskurs hast Du gelernt wie man Notaufstiege macht. Erinnere Dich an die beste Reihenfolge Deiner Optionen:
- Mache einen kontrollierten Aufstieg und behalte dabei Deinen Atemregler im Mund.
- Finde Deinen Buddy und nimm seinen zweiten Atemregler (oder seinen ersten, falls er den zweiten nimmt, je nachdem wie seine Ausrüstung ausgelegt ist). Ziel dieser Option ist es, dass beide Taucher kontinuierlich Luft haben, so dass beide langsam und kontrolliert an die Oberfläche aufsteigen können.
- Wenn Du Deinen Buddy und auch keinen anderen Taucher erreichen kannst oder wenn Dein Buddy auch keine Luft mehr hat, dann führe alleine einen kontrollierten Aufstieg durch. Und nochmal: keine Panik. Vergiss nicht, dass Du vermutlich genug Luft in den Lungen hast um bis zur Oberfläche durchzuhalten. Führe die einzelnen Schritte durch, die Du während Deiner Ausbildung gelernt hast. Behalte Deinen Atemregler die ganze Zeit über in Deinem Mund. Manchmal entweicht Luft und so bekommst Du nochmal einen zusätzlichen schnellen Atemzug. Atme den ganzen Weg zur Oberfläche entlang langsam und kontinuierlich aus und steige langsam auf.
Wie alle Tauchfertigkeiten, so sollten auch Notaufstiege regelmäßig geübt werden. Mach Dich mit Deinem Buddy auf den Weg zum nächsten Schwimmbad, frische Deine Fähigkeit auf mit Notautomat zu atmen und übe beim horizontalen Schwimmen den Notaufstieg.
Notaufstiege sind eine Reaktion auf lebensbedrohliche Situationen unter Wasser. Auch wenn die Umstände Dich in der Situation zur Eile zwingen, mit der richtigen Ausbildung und mit Übung und Vorbereitung können und sollten Notaufstiege genau die sichere Lösung sein, die für solche Fälle vorgesehen ist.