Aktuelles zum Erste-Hilfe-Sauerstoff

Die Grundlagen der Tauchgasphysik

In einem früheren Artikel haben wir uns mit der grundlegenden Tauchgasphysik beschäftigt. Zusammenfassend kamen wir zu folgendem Ergebnis: Je mehr Sauerstoff man einatmet, desto mehr Stickstoff (spielt vermutlich eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Dekompressionskrankheit oder DCS) wird aus dem Gewebe freigesetzt.

Es sei daran erinnert, dass die Lunge in erster Linie eine große Fläche ist: Würde man sie ausbreiten, entspricht sie ungefähr der Größe eines Tennisplatzes. Nur eine einzige dünne Zellschicht trennt das Blut von der Atemluft und ermöglicht den so wichtigen Gasaustausch.

Wenn man auf sichere Weise dekomprimiert, wird Stickstoff aus dem Körpergewebe über den Blutstrom zum Herzen und in die Lungen transportiert. Er diffundiert durch die dünnen Lungenzellen in die Lungenbläschen und wird unbemerkt ausgeatmet. Einige Stickstoffmoleküle vereinigen sich und werden zu Bläschen im Körper, sofern genügend Moleküle vorhanden sind. Diese Bläschen sind häufig in der Blutbahn festzustellen (mit Ultraschall-Technologie). Wir sehen bei Forschungsstudien an der Duke University regelmäßig Blasen. Sie sind sogar nach ziemlich flachen Tauchgängen vorhanden.

Dr. R.D. Eckenhoff und seine Kollegen an der University of Pennsylvania berichteten im Jahr 1990, dass venöse Blasen bei 56 Prozent der Taucher, die 48 Stunden in der seichten Tiefe von 16 fsw (5 msw) (1) verbrachten, zu erkennen waren. Allerdings ist dieses Sättigungsprofil (48 Stunden bei 5 Meter) weit länger als das, was der durchschnittliche Sporttaucher erfahren würde. Darüber hinaus würden kurze, flache Tauchgänge weit weniger wahrscheinlich zu messbaren Bläschen als eine Exposition von 48 Stunden führen.

Dies war in der Tat eine bedeutende Entdeckung, denn zuvor glaubten nur wenige Spezialisten für Tauchmedizin, dass Bläschen in solcher Häufigkeit auftraten. Mit wenigen Ausnahmen werden alle diese Bläschen einfach durch die Lungen gefiltert, bevor sie in den arteriellen Blutkreislauf gelangen können, wo sie Schäden durch eine Beeinträchtigung der Durchblutung anrichten könnten.

Stickstoffbläschen können durch Dekompression mit 100 Prozent Sauerstoff auf ein Minimum gesenkt werden. Dies macht die Bildung von verdächtigen Stickstoffbläschen in nennenswerter Stückzahl weniger wahrscheinlich. Gelangen reine Sauerstoffbläschen in den arteriellen Kreislauf, werden diese als weniger problematisch als Stickstoffbläschen angesehen. Der Grund dafür ist, dass Sauerstoff ein metabolisches Gas, also ein Brennstoff, ist und im Gegensatz zu den inerten Stickstoffbläschen verbraucht wird. Jedes einigermaßen kleine Sauerstoffbläschen, auch diejenigen, die zum Gehirn gehen, wird letztendlich verbraucht.

Dies ist eines der wenigen Male, wo wir dem unersättlichen Appetit des Gehirns auf Sauerstoff Beifall zollen können. (Es verbraucht mehr Sauerstoff pro Gewichtseinheit als jedes andere Organ, die Lunge verbraucht sehr wenig). Ein Sicherheitshinweis: Um das Risiko einer Sauerstofftoxikose des zentralen Nervensystems (zeigt sich in der Regel als Apoplexie) während des Aufenthalts unter Wasser zu minimieren, sollte man 100 Prozent Sauerstoff nie tiefer als etwa 20 fsw (6 msw) einatmen. Da das Risiko der Sauerstofftoxikose kleiner ist, wenn der Taucher in einer Trockenkammer ruht, wird 100 Prozent Sauerstoff in Tiefen von 60 fsw (18 msw) eingesetzt.

Ergebnis

Abgesehen davon würde ich gerne unsere anfänglichen Ergebnisse zusammenfassen und möchte ein paar Kommentare und Erläuterungen einflechten.

Wir haben uns 2.231 Fälle von DCS in der DAN-Datenbank der Tauchverletzungen (von 1998-2003) angesehen und festgestellt, dass die mediane Zeit vom Auftauchen bis zum Einsetzen der DCS-Symptome 2,2 Stunden für alle DCS-Typen zusammen betrug. „Median“ bezieht sich auf die mittlere Zahl zwischen der höchsten und niedrigsten Zahl. Es wird allgemein angenommen, dass nahezu alle (95 Prozent) der DCS-Symptome innerhalb der ersten sechs Stunden nach dem Auftauchen auftreten, so dass ein Wert von 2,2 Stunden ist nicht unangemessen erscheint.

Wenn DCS-Symptome für möglich gehalten wurden, hatten 47 Prozent der verletzten Taucher Erste- Hilfe-Sauerstoff verwendet. Ich denke, dass die Tauchgemeinschaft hier noch eine Menge Raum für Verbesserungen hat, und ich vermute, dass die Zahl mit besserer Taucherausbildung jetzt höher ist.

Der Typ DCS, der mit Erste-Hilfe-Sauerstoff behandelt wurde, war ebenfalls interessant. Die Taucher mit ziemlich dramatischen Symptomen, wie Herz-Lungen-Beschwerden (d. h. Ersticken) oder schweren neurologischen Beschwerden (z. B. Lähmungen) hatten am ehesten Erste-Hilfe- Sauerstoff erhalten.

Ein interessantes Ergebnis wiesen die Taucher auf, bei denen sogenannte Taucherflöhe (Dekompressionserkrankung der Haut) auftraten, was an und für sich keine lebensbedrohliche Form von DCS ist: Diesen Tauchern war Erste-Hilfe-Sauerstoff schneller als allen anderen Typen verabreicht worden. Ihre mediane Zeit bis zur Gabe von Erste-Hilfe Sauerstoff betrug 18 Minuten. Diese rasche Verabreichung von Erste-Hilfe-Sauerstoff kann entstehen, weil Taucherflöhe leicht bei allen Beteiligten ausgemacht werden können und oft dramatisch erscheinende Hautausschläge sind. Wir waren überrascht, dass die mediane Wartezeit für Taucher mit schweren neurologischen Symptomen wie Schwäche in den Beinen, Lähmungen oder eingeschränktem Bewusstsein 54 Minuten vom Einsetzen der Symptome bis zur Gabe von Erste-Hilfe-Sauerstoff betrug.

Diesen Punkt sollte man betonen: verletzte Taucher mit schweren neurologischen Symptomen warteten 54 Minuten auf Erste-Hilfe-Sauerstoff. Die meisten Spezialisten für Tauchmedizin wären sich einig, dass ein gelähmter Taucher viel früher als 54 Minuten nach dem Einsetzen der Symptome Sauerstoff erhalten sollte. Bei einfachen Schmerzen in einem Gelenk betrug die Wartezeit etwas mehr als drei Stunden nach dem Einsetzen der Symptome. Taubheit und Kribbeln? Nahezu sechs Stunden. Wenn Du Schmerzen hast, hoffen wir, dass Du schneller mit 100 Prozent Sauerstoff beatmet wirst.

Von den 2.231 Fällen erhielten wir nur sehr wenige Informationen über die Ergebnisse bei denjenigen, die Erste-Hilfe-Sauerstoff erhielten, bevor sie in eine Druckkammer gebracht wurden. In der Tat hatten wir nur 330 Fälle, bei denen wir wussten, wie sich der Taucher nach der Gabe von Erste-Hilfe-Sauerstoff, aber vor der Druckkammerbehandlung fühlte. Von den 330 Tauchern berichteten 65 Prozent (205 Taucher) entweder komplette Symptomfreiheit oder eine Besserung nur mit Erste-Hilfe-Sauerstoff.

Dieser Befund stimmt positiv, ist aber nicht aussagekräftig genug, um die Notwendigkeit einer weiteren Druckkammerbehandlung als immer noch endgültige Therapie auszuschließen. Führt man nach der Verabreichung von Erste-Hilfe-Sauerstoff eine Druckkammerbehandlung durch, steigt die Gruppe mit vollständiger Linderung auf 67 Prozent im Vergleich zu den Tauchern, die keinen Erste-Hilfe-Sauerstoff bekommen hatten (58 Prozent mit vollständiger Linderung).

Mit anderen Worten: Erhält man Erste-Hilfe-Sauerstoff vor der Druckkammerbehandlung, ist die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Linderung nach der ersten Druckkammerbehandlung größer. Dieses Ergebnis war statistisch signifikant.

Und wie sieht es mit der Wahrscheinlichkeit aus, dass Erste-Hilfe-Sauerstoff die Gesamtzahl der zur vollständigen Behandlung eines verletzten Tauchers erforderlichen Druckkammereinheiten verringert? Wir fanden, dass die Taucher, die weniger als vier Stunden seit Einsetzen der DCS-Symptome Erste-Hilfe-Sauerstoff bekamen, nicht mehr als eine Druckkammerbehandlung benötigten.

Mit anderen Worten: Wenn man schnell Erste-Hilfe-Sauerstoff erhält, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass man nur eine einzige Druckkammerbehandlung benötigt. Zumindest sollte Sauerstoff auf allen Tauchschiffen zur Verfügung stehen. Es sollte genügend Sauerstoff an Bord vorhanden sein, um ein oder zwei Taucher für die gesamte Zeit bis zur Einlieferung in ein Krankenhaus zu behandeln.

Hol das meiste aus deinem Sauerstoff heraus

Ein hocheffizienter Low Flow-Rebreather wie die Remote Emergency Medical Oxygen-Einheit (REMO₂™) – (siehe Abbildung 1) oder ähnliche Geräte sind eine Überlegung wert, besonders wenn du an entlegeneren Orten, also fernab von medizinischen Einrichtungen tauchst. Die REMO₂™ kann überaus effizient mehr als 90-prozentigen eingeatmeten Sauerstoff mit einer äußerst geringen durchschnittlichen Sauerstoffflussrate von 1 l/min liefern.

Das Gerät kann dies durch die Rückführung des nicht verwendeten Sauerstoffs in deiner Atemluft bewerkstelligen. Die REMO₂-Einheit verwendet eine Mund-Nasen-Beatmungsmaske, die eine wirksame Abdichtung auf dem Gesicht bewirkt. Nur wenige Geräte sind so effizient. Bei einem stabilen verletzten Taucher, der keinen Hubschraubertransport benötigt, gibt dies einem Boot viel mehr Zeit, an Land zu fahren, bevor die Sauerstoffversorgung erschöpft ist.

Im Vergleich dazu erfordern die Kunststoffsauerstoffmasken (ohne Beatmungsbeutel), die es in Krankenhäusern gibt, 13-15 Liter pro Minute (l/min), um 50 Prozent eingeatmeten Sauerstoff zu erreichen. Nasenbrillen sind viel weniger wirksam, denn sie erhöhen den eingeatmeten Sauerstoff lediglich um ein paar Prozent mehr als Luft. Wir fanden, dass alarmierende sieben Prozent der verletzten Taucher, die Erste-Hilfe-Sauerstoff erhielten, immer noch Nasenbrillen verwendeten. Die meisten Versorger benutzten die allgemein verfügbare und einigermaßen effiziente Non-Rebreather-Maske (37 Prozent). Dies sind die recht effizienten, flexiblen Kunststoffmasken mit dem darunter befestigten Beatmungsbeutel aus Kunststoff, die man in der Notaufnahme findet.

Wie viel Sauerstoff solltest du also auf deinem Tauchausflug mitnehmen? Hier ist eine kleine Tabelle (Tabelle 1), in der ineffiziente Formen der Abgabe von Erste-Hilfe-Sauerstoff (15 l/min) mit der effizienten REMO₂-Einheit (1,3 l/min Durchschnitt)* verglichen werden. Der Unterschied ist bemerkenswert. Ich habe mittels einfacher Mathematik eine Erläuterung beigefügt, die du entsprechend anpassen kannst, wenn du Flaschen unterschiedlicher Größe verwendest. Kalkuliere stets Verzögerungen ein und nimm ein wenig mehr mit als du deiner Ansicht nach für die Rückfahrt per Schiff brauchst.

Schlussfolgerung

Wir müssen noch mehr über jene Taucher erfahren, die Erste-Hilfe-Sauerstoff allein und ohne Druckkammerbehandlung benutzen, sowie diejenigen, die ausschließlich Erste-Hilfe-Sauerstoff ohne formale ärztliche Versorgung verwenden.

Tabelle 1: Verschiedene Methoden der Sauerstoffverabreichung

Gewünschte O₂-Dauer (Stunden) High Flow-Sauerstoff (15l/ min), d. h. ineffiziente O₂-Verwendung. Liter von verwendetem O₂ insgesamt Anzahl der benötigten Jumbo D-Zylinder Low Flow (1,3 l/min), d. h. effiziente O₂- Verwendung. Liter von verwendetem O₂ insgesamt* Anzahl der benötigten Jumbo D-Zylinder
 1  0,9  1 ½  78  < ¼
 2  1,8  2 ¾  156  ¼
 3  2,7  4 ¼  234  < ½
 4  3,6  5 ¾  312  ½
 5  4,5  7  390  < ¾
 6  5,4  8 ½  468  ¾
 7  6,3  9 ¾  546  < 1
 8  7,2  11 ¼  624  1
 9  8,1  12 ¾  702  < 1 ¼
 10  9,0  14  780  1 ¼

 

Diese Informationen beziehen sich auf das REMO₂ System, dieses ist jedoch nicht mehr in Gebrauch. Gegenwärtig werden in Europa medizinische Sauerstoff-Rebreather ähnlich des veralteten REMO₂, wie zum Beispiel das Wenoll System, verwendet, mit vergleichbaren Ergebnissen.

Über den Autor

Dr. med. John Paul Longphre ist ehemaliger klinischer und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center für Hyperbare Medizin- und Umweltphysiologie der Duke University. Er ist derzeit in der Abteilung für Arbeits- und Umweltmedizin am Duke University Medical Center, Durham, NC, tätig.

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