Stoppen Oder Nicht Stoppen …? Und Warum

Dies ist, wenn es passiert. Du kommst hoch von einem großartigen Tauchgang, näherst dich der Tiefe des Sicherheitsstopps, wenn der interne Konflikt beginnt. Was Du wirklich willst, ist so schnell wie möglich wieder zurück auf dem Boot zu sein (am besten in diesem Moment, wenn nicht sogar schon früher).
Vielleicht ist es das kalte Wasser, zu viel Kaffee vor dem Tauchgang, oder vielleicht die gebackenen Bohnen zum Frühstück. Der Bootsbug, wie er auch sein mag, sieht zunehmend attraktiver aus. Ein verlängerter Sicherheitsstopp würde wahrscheinlich zu einer extremeren Reinigung des Neoprenanzug führen. Die einfachste Sache für Dich ist es, den Stopp nicht zu machen, nur dieses eine Mal. Aber es gibt einen Grund für Sicherheitsstopps – nicht wahr? Solltest Du ein Risiko eingehen und den Stopp sein lassen? Wie glücklich fühlst du dich? Wie viel Glück brauchst du, um ihn ohne Probleme sein zu lassen? (Dies erinnert an eine ikonenhafte Filmszene, in der Harry Callahan mit einer Waffe zielt, die geladen oder auch nicht geladen sein könnte, und sagt "Du musst dich selbst fragen: Fühle ich mich glücklich? Nun, bist du es, Punk?" In der Filmszene hat der "Punk" genügend Informationen, um seine Chancen zu prüfen und eine Entscheidung zu treffen.)
 

Zurück zum wirklichen Leben. Hast Du genügend Informationen, um eine fundierte Entscheidung über den Sicherheitsstopp zu treffen? Was müsstest du wissen? Zumindestens würdest du eine ungefähre Einschätzung des Risikos der Dekompressionskrankheit wissen wollen (DCS, oder "The Bends"), wenn du deinen Sicherheitsstopp beendet hast, sowie eine ungefähre Einschätzung des Risikos, wenn du hingegen geradewegs nach oben aufsteigen würdest. Erst dann könntest du die Risiken vergleichen und eine sinnvolle Auswahl treffen. Auf der Stelle stoßen wir auf Probleme. Die heutzutage im Einsatz befindlichen Tauchcomputer arbeiten nicht nach den Prinzipien begründeter Entscheidungen oder mit Ebenen des akzeptablen Risikos. Sie arbeiten auf der konventionellen "Ja / Nein"-Basis. (Bei einem "Ja“ kannst du diesen Tauchgang in der gegenwärtigen Tiefe fortführen, „Nein“ heißt, du kannst diesen Tauchgang in der gegenwärtigen Tiefe nicht fortführen.)
 

Es ist wahr, dass viele aktuelle Tauchcomputer dir erlauben, anfangs die bevorzugte Höhe des Risikos auszuwählen, aber was du wählst ist, eine relatives Ausmaß des Risikos (d.h. mehr oder weniger riskant). Nirgendwo ist festgelegt, welches Niveau das tatsächliche Risiko für jede dieser unterschiedlichen Einstellungen bedeutet. Persönlich gesehen finde ich allgemeine Kategorien nicht hilfreich. Verglichen mit anderen Personen weiß ich, dass ich sehr risikofreudig bin; im Vergleich mit wiederum anderen, bin ich nicht nur ein Langweiler, ich bin ein Fels in der Brandung. Bereits in den achtziger Jahren wurde ein ernsthafter Versuch von Dr. Paul Weathersby, einem U.S. Navy Wissenschaftler, unternommen, ein wahrscheinlichkeitstheoretisches Modell zur Vorhersage der Wahrscheinlichkeit der Dekompressionskrankheit (DCS) zu entwickeln. Es erkannte die offensichtliche Tatsache, dass sich, wie in den meisten natürlichen Prozessen, Dekompressionsstress stufenweise erhöht, so dass kein einzelner Punkt darunter existiert, der 100% sicher ist, während über ihm jeder die DCS bekommt.
 

In 1993 hat die U.S. Navy Mitglieder der DEMA (The Dive Equipment Manufacturers Association) inständig um ein kooperatives Programm gebeten, das diesen wahrscheinlichkeitstheoretischen Algorithmus in einen etablierten Tauchcomputer einbaut. Ein gewisses Interesse wurde anscheinend bekundet, es gab eine Menge von Einwänden, und am Ende war kein Gerätehersteller bereit, das Programm zu beginnen. Einige der Einwände hatten mit den derzeit aktuellen Mikroprozessoren zu tun, die nicht in der Lage waren, die erforderlichen Berechnungen zu handhaben. (Ein weiterer, interessanter Einwand wird weiter unten behandelt werden.) Jetzt, fast 20 Jahre und mehrere Generationen von Mikroprozessoren später, gibt es noch immer keine wahrscheinlichkeitstheoretischen Modelle in aktuellen Tauchcomputern.

So sind wir in eine kleine Straßensperre in unserem Entscheidungsprozess gelaufen. Vielleicht hilft es, wenn wir einen neuen Anlauf zum Thema Sicherheitsstopp an sich machen. Welche Auswirkung haben Sicherheitsstopps auf die Sicherheit beim Tauchen? Zuerst ein wenig Hintergrundwissen. Im Gegensatz zu Tauchtabellen oder Algorithmen, die den Tauchcomputern zu Grunde liegen, ist der Sicherheitsstopp im Grunde ein "add-on". Wenn Tauchgänge ein wenig nah an die Grenzen ohne Dekompressionstauchen gelangt waren, machte es intuitiv Sinn, etwas zu tun, das einem Dekompressionsstopp glich, nur als Vorsichtsmaßnahme. Es entwickelte sich ein Gefühl, dass dies wahrscheinlich hilfreich war, obwohl es zunächst keine wissenschaftlichen Beweise und keine wirkliche Theorie gab, die dies unterstützte. 

Das früheste Anzeichen der Unterstützung wurde von einer kleinen, Doppler-überwachten Studie von Dr. Andrew Pilmanis geliefert. Diese zeigte eine signifikante Abnahme in nachweisbaren, venösen Blasen bei Sicherheitsstopps, was ein Anzeichen wäre, dass solche Stopps nützlich sein könnten. Leider, solange Blasen, die durch Doppler-Überwachung erkannt werden, eine gewisse Korrelation mit der Dekompressionskrankheit zu haben scheinen, ist es doch keine sehr starke Beziehung. So haben wir immer noch mit dem gesunden Menschenverstand Ideen bzgl. Sicherheitsstopps übrig, anekdotische Evidenz (Beobachtungen der Tauchgemeinschaft, das Stopps hilfreich sind) und eine begrenzte Anzahl wissenschaftlicher Unterstützung.
Wo passen Sicherheitsstopps in die Theorie? Oder praktischer, in die Theorie und Algorithmen, die aktuellen Tauchcomputern zugrunde liegen? Alle Tauchcomputer, die heutzutage im Einsatz sind, obwohl sie sich voneinander auf verschiedene Weise unterscheiden, basieren strukturell auf dem Haldane-Modell der Dekompression. Das Haldane-Modell sagt nur einen geringen Nutzen für die Sicherheitsstopps vorher. Also, was ist hier los? Sind Sicherheitsstopps nur eine Art uninformierten Aberglaubens, wie das Klopfen auf Holz, oder eine schwarze Katze nicht den Weg kreuzen zu lassen? Oder müssen wir für Antworten weiter in die Tiefe schauen?

Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, das Treffen zwischen der U.S. Navy und der DEMA zu überarbeiten, sowie für einen sehr interessanten Einwand der Gerätehersteller zum vorgeschlagenen wahrscheinlichkeitstheoretischen Algorithmus für Tauchcomputer. Die Hersteller waren nicht bereit, einen Tauchcomputer zu produzieren und zu verkaufen, der den Tauchern ihr Risiko der DSC nahe des etwas beunruhigenden Wertes von 2,5% anzeigt. Und wer kann sie dafür tadeln? Zum einen könnte es potentiellen Taucher abschrecken, und zum anderen scheint es nicht dem zu entsprechen, was Taucher tatsächlich erleben. Mit einem DCS Risiko von 2,5% würde ein Taucher mit zum Beispiel sogar 200 Tauchgängen wahrscheinlich sogar fünffach DCS haben. Auch Tauchguides mit tausenden von Tauchgängen wären fast so vertraut mit dem Inneren einer Druckkammer wie mit ihrer Stammkneipe.

Das Verweigern des Algorithmus der Navy schien fast wie ein Klacks für die Hersteller zu sein. Ausgenommen ein paar unbequemer Details. Eines ist, dass die Navy Zahlen auf soliden experimentellen Beweisen beruhten. Das andere ist, dass die Hersteller in der Tat die gleichen Navy-Tauchtabellen (oder ähnliche PADI Tabellen) bei der Kalibrierung des Haldane-Modelles, dem seine eigenen Algorithmen zugrunde liegen, verwenden. Sollten die Gerätehersteller ihre eigenen Algorithmen in wahrscheinlichkeitstheoretische verwandeln, würden ihre Einschätzungen des DCS-Risikos in etwa dem vorgeschlagenen Algorithmus der US Navy gleichen. Es ist nicht so, dass sie dem geschätzten Risiko widersprachen, sie wollten es einfach nicht deklarieren.
Aber wir haben immer noch zwei sehr unterschiedlichen Risikoeinschätzungen übrig. Auf der einen Seite gibt es den experimentellen Nachweis eines 2,5% DCS Risikos. Auf der anderen Seite steht die echte Lebenserfahrung der Tauchgemeinschaft, wobei sich die Wahrscheinlichkeit der DSC zu einem sehr kleinen Teil des experimentellen DCS-Risikos verhält. Natürlich können sie nicht beide richtig sein. Oder doch?

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen den Studien von der U.S. Navy und dem, was täglich in der Tauchwelt passiert. In der Studie wurden Taucher an die Oberfläche ohne Sicherheitsstopps gebracht. Unter normalen Tauch-Umständen werden Sicherheitsstopps immer empfohlen, es wird sogar darauf bestanden. Natürlich kann dies nur auf eine Differenz hinauslaufen, wenn Sicherheitsstopps tatsächlich gemacht werden. Jüngste Daten, zur Verfügung gestellt von Project Dive Exploration (PDE), unterstützen unsere allgemeine Beobachtung, dass die überwiegende Mehrheit der Sporttaucher wirklich einige Varianten eines Sicherheitsstopps durchführt. Bei 102.642 Tauchgängen mit Luft fanden wir speziell heraus, dass 95,7% der Aufstiege von 20 FSW einen Sicherheitsstopp beinhalteten – was ziemlich gut ist. Aber wenn wir unsere Suche ein wenig erweiterten, indem wir alle Anstiege von 30 FSW betrachten, stellten wir fest, dass bei vollen 99,3% der Aufstiege in irgendeiner Form Sicherheitsstopps beteiligt waren. In der Tat, was wir fanden war, dass, während beachtliche Freiheit bei empfohlenen Parametern für einen Sicherheitsstopp genutzt werden kann, die überwältigende Mehrheit der Sporttaucher irgendeine Art von Sicherheitsstopp ausführen. So haben wir einen tatsächlichen Unterschied zwischen den U.S. Navy Studien und der alltäglichen Tauchwelt: direkter Aufstieg contra Sicherheitsstopp.

Können Sicherheitsstopps die offensichtliche Diskrepanz zwischen den U.S.-Navy Ergebnissen und der Erfahrung der Taucher erklären?
Nicht gemäß den Dekompressionsmodellen, basierend auf der Haldane-Struktur – das heißt, nicht gemäß des Algorithmus deines aktuellen Tauchcomputers. (Wenn es für dich notwendig ist, einen Sicherheitsstopp zu machen, wie die meisten es derzeit tun, ist es, weil die Erfahrung seine Wirksamkeit gezeigt hat, nicht wegen irgendetwas, was das Modell vorhersagen würde.) Zum ersten Mal gibt es ein neues, patentiertes Modell der Dekompression, das nicht auf der Haldane-Struktur basiert und die Gefahr der DCS in einer genaueren Weise vorhersagt. Dieses Modell trägt den Namen SAUL – Safe Advanced Underwater aLgorithmus. (Okay, die Abkürzung ist nicht perfekt.)
Das Diagramm unten zeigt, wie jeder der drei verschiedenen Algorithmen das Risiko von DCS für einen typischen Sporttauchgang ohne Sicherheitsstopp und für den gleichen Tauchgang mit einem Sicherheitsstopp vorhersagt. Die verwendeten Algorithmen sind ein typisches Haldane-Modell ("Haldane"), eine blasenbasiertes Modell ("Bubble"), derzeit von der U.S. Navy genutzt und das Modell des Autors ("Saul").

Inwieweit können wir nun unsere ursprüngliche Frage beantworten? Wie glücklich musst du sein, um deinen Sicherheitsstopp überspringen zu können? Es hängt von den Besonderheiten des Tauchgangs und von dem Modell ab, an das du glaubst. Lass uns annehmen, dein Tauchgang war der im Diagramm – 60 Fuß für 40 Minuten.
Laut "Haldane" brauchst du nicht besonders viel Glück beim Überspringen deines Stopps. (Obwohl du möglicherweise Glück brauchst, deinen Tauchgang auf einer regelmäßigen Basis fortzuführen.) Dein DCS-Risiko würde 2,3% mit und 2,5% ohne einen Stopp bedeuten – kein riesiger Unterschied.
Laut "Bubble" würde das Risiko von DCS 0,7% mit einem und 0,9% ohne einen Stopp sein. Wiederrum keine große Differenz. Mit "Saul" würde das Überspringen deines Stopps dein Risiko von etwa 0,1% auf 2,5% erhöhen. Oder, um es anders auszudrücken, dein Tauchgang ohne Stopp ist 25 mal so riskant wie derselbe Tauchgang mit dem Halt.

Also, was solltest du tun? Wenn du das Haldane- oder das Bubble-Modell für richtig hieltest, würde es keinen großen Unterschied ausmachen, ob du den Sicherheitsstopp für dieses eine Mal überspringst – oder, in der Tat, jedes Mal, wenn du dich von ihm belästigt fühlst. Aber, wenn diese Idee dazu führt, dass du dich unbehaglich fühlst, wie es bei mir der Fall ist, würdest du vielleicht akzeptieren, dass SAUL die richtige Idee hat. Du würdest das Risiko enorm ansteigen lassen. Du könntest noch einmal mit dem Auslassen des Sicherheitsstopps davon kommen. Auf der anderen Seite bist du bereits in ähnlichen Situationen gewesen, und wirst es wahrscheinlich wieder sein werden. Wenn du deinen Sicherheitsstopp jedes mal überspringst, geh davon aus, dass du DCS bekommst. Wenn du nicht vorhast, jedes mal deinen Stopp aus zu lassen, warum lässt du ihn dann auch nur einmal aus? Was solltest du anderes tun? Wenn du SAUL als exakter in puncto Sicherheitsstopps akzeptierst, möchtest du vielleicht einen genaueren Blick auf das Modell werfen und mehr über es durch das Lesen einiger Artikel unten oder durch den Besuch auf einer der Webseiten des Autors erfahren. Solange es noch keine auf SAUL basierten Tauchcomputer auf dem Markt gibt, arbeiten wir mit Liquivision zusammen, um SAUL in einen Tauchcomputer integriert zu bekommen. Ein Release- Datum steht jedoch derzeit noch nicht fest.

Web Links
www.chemistry.uoguelph.ca/goldman
moderndecompression.com

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