Präkonditionierung und DCI
Nach allgemeiner Auffassung sind Tauchzeit und Tiefe die wichtigsten Risikofaktoren für Dekompressionskrankheiten (DCI). Taucher interessieren sich auch sehr dafür wie andere Faktoren, wie z.B. Sport und Dehydrierung das DCI-Risiko beeinflussen. Unter Präkonditionierung versteht man die Verwendung physiologischer oder pharmakologischer Reize zur Erhöhung der Resistenz gegenüber bestimmten Verletzungen oder Erkrankungen. In diesem Artikel versuchen wir zu verstehen, ob es bestimmte Maßnahmen zur Präkonditionierung gibt, mit deren Hilfe Taucher ihr DCI-Risiko senken können. Wir befragen einige Experten.
Die gängige Empfehlung hinsichtlich sportlicher Betätigung und Tauchen lautet, dass Taucher anstrengende körperliche Aktivitäten vor und nach dem Tauchen vermeiden sollten. Es wird jedoch vermutet, dass eine bestimmte Art der sportlichen Betätigungen das DCI-Risiko senken könnte. Wie könnte Sport das DCI-Risiko reduzieren oder erhöhen, und welchen Rat würden Sie Tauchern geben, wenn es um Sport und Tauchen geht?
Constantino Balestra: Immer mehr Forscher weisen Vorteile nach, die eine sportliche Betätigung vor dem Tauchen haben kann. Die Mechanismen wurden noch nicht vollständig durchschaut, aber "Bewegung" scheint eine Rolle zu spielen. Günstig scheinen sich die mit Sport einhergehenden Bewegungen von Herz, Gefäß- und Lymphsystem auszuwirken.
Michael Bennett: Die Beziehung zwischen Sport und Tauchen hat in den letzten paar Jahren breites Interesse geweckt. Der traditionellen Ansicht nach ist Sport vor dem Tauchen ein Risikofaktor für eine DCI, da die Möglichkeit besteht, dass es bei einem hyperdynamischem Kreislauf zu einer erhöhten Stickstoffaufnahme im Gewebe kommt. Neueste Erkenntnisse weisen jedoch darauf hin, dass diese Auffassung möglicherweise allzu simpel ist. Sowohl Studien an Tieren als auch an Menschen deuten darauf hin, dass eine einzelne "Runde" moderater oder anstrengender körperlicher Betätigung zwei bis 24 Stunden vor einem simulierten Tauchgang, die Bläschenbildung reduzieren kann (und damit, so vermutet man, auch das DCI-Risiko). Es ist unklar, wieso dies so sein sollte, aber es scheint, dass die Bildung von Stickstoffmonoxid (NO) während des Sports entweder die Abspaltung der Kerne dort fördert, wo sich Bläschen bilden oder die Zellen an den Wänden der Blutgefäße (das Endothel) verändert. Es gibt jedoch mehrere alternative Hypothesen und es handelt sich hier um ein sehr aktives Forschungsgebiet. Jean-Eric Blatteau und seine Kollegen postulieren beispielsweise, dass die Schutzwirkung auf eine moderate Hypovolämie zurückzuführen ist. Im Moment sage ich Tauchern, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass Sport bis zu zwei Stunden vor dem Abtauchen gefährlich ist. Ich rate Tauchern aber auch nicht explizit zum Sport.
Weniger Diskussion gibt es, wenn es um die Auswirkungen von Sport während und nach dem Tauchen auf das DCI-Risiko geht. Die körperliche Betätigung während des Tauchens erhöht die Aufnahme und Verteilung von Stickstoff im Gewebe und man geht davon aus, dass so das Risiko erhöht wird. Leichte Bewegung während der Dekompression dagegen wird zum Ausscheiden der Gase befürwortet und soll das Risiko reduzieren. Von starker körperlicher Betätigung nach einem Tauchgang wird abgeraten, da dies durch die mechanische Stimulierung die Bläschenbildung fördern kann.
Alf Brubakk: Tauchern wird empfohlen regelmäßig Sport zu treiben. Aerober Sport vor dem Tauchen führt zu reduzierter Bläschenbildung in den Gefäßen. Sport nach dem Tauchen kann die Bläschenbildung reduzieren oder verstärken. Die Wirkung ist möglicherweise abhängig von der generellen Fitness des Tauchers. Das ist ein Gebiet, bei dem es an Informationen als Basis für handfeste Empfehlungen noch fehlt.
Die meisten Fachleute sind sich einig, dass starke Dehydrierung das DCI-Risiko erhöhen kann, es wurde jedoch auch schon behauptet, dass eine geringe bis moderate Dehydrierung das Risiko reduzieren könnte. Wie denken Sie darüber und was empfehlen Sie Tauchern?
Balestra: Manche vertreten die Auffassung, dass ein "normales" Blutplasmavolumen oder sogar ein leicht reduziertes Blutplasmavolumen möglicherweise die Stickstoffsättigung des Gewebes während eine Tauchgangs reduzieren könnte. Die Information, die man sich hier herausziehen kann ist, dass man das Plasmavolumen nicht zu schnell und nicht zu sehr erhöhen sollte, da so mehr Urin produziert wird und das Gewebe nicht wirklich hydriert wird. Mein Rat lautet – trinke alle 15 bis 20 Minuten ein Glas Wasser damit das Gewebe hydriert wird ohne dass das Plasmavolumen zunimmt.
Bennett: Einige der Forschungsarbeiten zum Einfluss von Sport und Wärme auf das Risiko einer nachfolgenden DCI lassen sich so interpretieren, dass sie paradoxerweiser eine leichte Dehydrierung als Schutzmaßnahme vorschlagen. Dieser Vorschlag beruht auf einem möglichen Mechanismus, der Schutz vor der Bläschenbildung bieten soll. Blatteau und seine Kollegen sind der Auffassung, dass eine moderate Dehydrierung und eine reduziertes Blutvolumen (Hypovolämie) durch Sport oder Saunawärme vor einem Tauchgang, die Leistung des Herzens verringern und damit die Weiterleitung von Stickstoff ans Gewebe reduzieren könnten. Es gibt jedoch einige konkurrierende Theorien und mir sind keine Daten bekannt, die diese spezielle Behauptung unterstützen.
Dieser Vorschlag löst tatsächlich eher Erstaunen aus. Obwohl die Risiken im Zusammenhang mit Dehydrierung noch klar definiert werden müssen, weist doch alles was wir wissen darauf hin, dass die Flüssigkeiten, die vor einem Tauchgang vorhanden sind, positiv zu bewerten und nicht gefährlich sind. Im Jahr 2008 veröffentlichten Gempp und Kollegen beispielsweise eine Überkreuzstudie, die zu folgendem Schluss kam: "Orale Hydrierung vor einem Tauchgang reduziert die zirkulierenden Bläschen, und bietet sich daher als eine relativ einfache Methode zur Reduzierung des Risikos von Dekompressionskrankheiten an." In dieser Studie schwächte die Prähydrierung mit 1,3 Litern einer Saline/Glucosemischung die Dehydrierung ab und verhinderte die durch das Tauchen hervorgerufene Hypovolämie. Sie hatte jedoch keinen Einfluss auf die Plasmaoberflächenspannung. Meine Empfehlung an Taucher lautet, dass sie versuchen sollten auf eine angemessene Hydrierung vor dem Tauchen zu achten und das Tauchen bewusst vermeiden sollten, wenn sie dehydriert sind.
Brubakk: Ich kenne keine Daten, die diese Hypothese unterstützen und ich denke nicht, dass es eine Theorie gibt, die auf so etwas hindeuten würde. Ich empfehle, dass Taucher gut hydriert sein sollten.
Einige Forscher haben vorgeschlagen, dass vor dem Tauchen Antioxidantien wie Vitamin C, andere Nährstoffe oder Medikamente wie Nitroglyzerin genommen werden sollten um das DCI-Risiko zu reduzieren. Wie könnten solche Wirkstoffe das Risiko verringern?
Balestra: Die Erfahrung zeigt, dass dieser Ansatz nicht die Bläschenbildung beeinträchtigt, sondern die Endothelfunktion. Nach einem Tauchgang, wenn die Endothelfunktion behindert ist, können Antioxidantien solch eine Behinderung verhindern. Es gibt jedoch keinen eindeutigen Beweis, dass die Bläschenbildung mit solchen Wirkstoffen reduziert werden kann. Die Forschung auf diesem Gebiet geht weiter.
Bennett: Seit Kurzem gibt es ein steigendes Interesse daran, die Endothelfunktion auf pharmakologische Weise zu verändern. Generell liegt das meiste Interesse bei Wirkstoffen, die die NO-Verfügbarkeit und die anschließende Wirkung auf Stellen, an denen sich Gasbläschen formen (man nimmt an auf dem Endothel) erhöhen. Solch eine Bläschenbildung kann leicht zu Endothelverletzungen führen und sowohl mikrovaskuläre Obstruktion als auch die Aktivierung von Gerinnungskaskaden fördern – alles Veränderungen, die direkt für das klinische Bild einer DCI verantwortlich sein könnten. Es ist noch früh, jedoch wurde tatsächlich durch einige Experimente sowohl an Tieren als auch an Menschen nachgewiesen, dass die Gabe von solchen oben genannten Komponenten das DCI-Risiko erheblich reduzieren könnte. Im Wesentlichen wirken sowohl die NO-Spender (wie Nitroglyzerin) und Antioxidantien (wie Vitamin C) dem oxidativen Stress entgegen, der die Ursache für den Endothelschaden ist, der wiederum dafür verantwortlich ist, dass Verletzungen durch Bläschen solch breitgefächerte Auswirkungen auf Taucher haben.
Es handelt sich hier um ein faszinierendes Forschungsgebiet, das bald einige definitive Empfehlungen für Taucher wird aussprechen können. Im Moment jedoch sollten wir Vorsicht walten lassen. Viele dieser Wirkstoffe haben weitreichende Wirkungen — einige von ihnen könnten erheblich mehr Schaden anrichten als Gutes tun — und bisher liegen uns keine Beweise aus der Praxis vor, dass klinische DCI durch diese Wirkstoffe verhindert werden können.
Brubakk: Antioxidantien scheinen die Bläschenbildung zu reduzieren. Ebenso ist möglich, dass Antioxidantien die Entzündungsreaktionen reduzieren, die bei Dekompressionskrankheiten eine Rolle spielen. Das ist ein Bereich, in dem noch weiter geforscht werden muss, aber es handelt sich schon um einen vielversprechenden Ansatz. Im Moment wissen wir zu wenig über die Wirkung von Antioxidantien auf gesunde Menschen.
Rune Djurhuus: NO ist ein kleines Signalmolekül, dass zur Entspannung und Erweiterung der Blutgefäße führt. In Tierversuchen wurde festgestellt, dass die Gabe eines pharmakologischen Wirkstoffes (z.B. Nitroglyzerin), der NO in den Blutkreislauf entlässt, zur Reduzierung der Bläschenbildung führen und die Überlebensrate nach einer Dekompression steigern kann. Umgekehrt verschlimmerte die Hemmung des Enzyms Stickstoffmonoxid-Synthase (NOS), das in der Endothelschicht auf der Innenseite der Blutgefäße NO produziert, die Symptome der DCI erheblich. Außerdem regt körperliche Betätigung bekanntermaßen die Bildung von NO im Endothel an. Eine weit verbreitete Hypothese geht daher davon aus, dass die Bildung von NO eine Rolle beim Schutz des Gefäßsystems spielt und der schädlichen Wirkung von Gasbläschen während der Dekompression entgegenwirkt.
Beim Tauchen kommt es normalerweise zu erhöhten Sauerstoffpartialdrücken. Wir haben kürzlich gezeigt, dass solche hyperoxide Bedingungen keine Wirkung auf die Fähigkeit der NOS haben, NO in isolierten menschlichen Endothelzellen zu produzieren. Um normal zu funktionieren ist das Enzym jedoch abhängig von mehreren Cofaktoren, insbesondere von Tetrahydrobiopterin (BH4). Diese Komponente oxidiert schnell wobei die oxidierte Form die NO-Synthese nicht unterstützt. Als menschliche Endothelzellen hyperoxiden Bedingungen ausgesetzt wurden (ungefähr dem dreifachen Partialdruck von Sauerstoff an der Meeresoberfläche) sank die BH4-Konzentration um ca. 50 Prozent. In Folge der Einwirkung hyperoxider Bedingungen während des Tauchens kann es daher zu einem reduzierten BH4-Niveau kommen, was wiederum die NO-Produktion von NOS einschränkt und möglicherweise das DCI-Risiko erhöht. Es muss betont werden, dass diese Ergebnisse in einem Versuchsmodell entstanden sind, dass es aber, wenn der exakte Mechanismus bei Tieren (vorzugsweise bei Menschen) erklärt und verifiziert werden kann, möglich sein könnte Abhilfe zu schaffen. Hierzu könnten Gegenmaßnahmen zu den hyperoxiden Wirkungen durch zusätzliches BH4 oder durch die Gabe von Antioxidantien gehören, die den Cofaktor in reduzierter, aktiver Form stabilisieren. In Versuchsmodellen hat sich gezeigt, dass ein einfacher Antioxidant wie Vitamin C dabei hilft, das BH4-Niveau aufrecht zu erhalten. Weitere Studien könnten ergeben, dass andere Faktoren entscheidender sind.
Mehrere andere Faktoren wie z.B. Ganzkörper-Vibration vor dem Tauchen, das Vorab-Atmen von Sauerstoff, Vorbereitungstauchgänge ("Work-up"-Tauchgänge) und Saunagänge vor dem Tauchen wurden bislang zur Präkonditionierung gegen Dekompressionskrankheiten vorgeschlagen. Haben diese Vorschläge zur Anwendbarkeit in der Praxis geführt?
Balestra: Diese Präkonditionierungstechniken stehen in direkter Beziehung zu moderater Herztätigkeit (Sauna) oder zu erhöhter lymphatischer Aktivität (Ganzkörper-Vibration, Vorab-Atmen von Sauerstoff). In manchen Fällen wurde zu lange vor dem Tauchgang Sauerstoff geatmet, so dass die Stickstoffeliminierende Wirkung nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Man geht davon aus, dass alle aufgezählten Techniken eher Einfluss auf die moderate Eliminierung von Mikrokernen als auf die Eliminierung von Stickstoff haben.
Bennett: Alle diese vorgeschlagenen Maßnahmen sind Versuche, die Wahrscheinlichkeit einer DCI durch Präkonditionierung gegen Bläschenbildung zu reduzieren. Die einzige, die Taucher im Allgemeinen davon anwenden sind die Work-up-Tauchgänge, bei denen sie sich einen schwierigen Tauchgang zum Ziel nehmen (normalerweise einen besonders tiefen) und dann eine ganze Serie von Tauchgängen zu immer größeren Tiefen bis zu dem Tag hin durchführen, für den sie den tiefsten Tauchgang geplant haben. Während es kaum Beweise dafür gibt, dass dieser Ansatz tatsächlich zu einer Präkonditionierung führt, so gibt es doch einige gute Gründe, warum Work-up-Tauchgänge nützlich sein könnten. Unter anderem macht der Taucher sich so mit der Ausrüstung und den Bedingungen im Meer vertraut, kontrolliert seine Ausrüstung in einer weniger schwierigen Umgebung und macht sich von Neuem vertraut mit allem, was zu guten Tauchgewohnheiten gehört.
Vor allem in Europa gibt es Bemühungen die Rolle verschiedener u.a. der oben genannten, Präkonditionierungsstrategien zu untersuchen. Blatteau und seine Kollegen beispielsweise haben über einen Saunagang vor dem Tauchen berichtet, der nach simulierten Tauchgängen stattfand und der zur Reduzierung der Anzahl von Bläschen bei menschlichen Freiwilligen führen sollte. Im Moment ist all das noch pure Theorie und mir sind keine Anwendungen aus der Praxis bekannt, die das Ergebnis dieser Arbeit wären.
Brubakk: Die Anwendbarkeit in der Praxis fehlt noch, aber die Daten deuten darauf hin, dass die Techniken zur Reduzierung der Bläschenbildung führen könnte.
Lerne die Experten kennen
Dr. Costantino Balestra, Ph.D., ist Vize-Präsident für Forschung und Bildung bei DAN Europe, DAN Europes Regionalleiter für die Benelux-Länder und Frankreich sowie Vize-Präsident der European Underwater and Baromedical Society (EUBS). Außerdem leitet er das Labor zur Erforschung von Umwelt-, Alters- und Verhaltensphysiologie an der Haute Ecole Paul-Henri Spaak in Brüssel, Belgien. Die primären Interessenschwerpunkte seiner Forschung sind die Physiologie in extremen Umgebungen und die Sportwissenschaft.
Dr. Michael Bennett, M.D., FANZCA, ANZCA Cert DHM, ist Senior-Experte im Prince of Wales Krankenhaus und außerordentlicher Professor für Überdruckmedizin an der University of New South Wales in Sydney, Australien. Er verfügt über 17 Jahr Erfahrung in der Fernbehandlung von Tauchverletzungen im Südpazifik und erhielt die Doktorwürde für seine Arbeit über die Nachweisgrundlagen für Tauch- und Überdruckmedizin.
Dr. Alf O. Brubakk, M.D., ist Professor für Umweltphysiologie an der norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie in Trondheim. Sein beruflicher Hintergrund liegt in der Kardiologie und Anästhesiologie und seit über 20 Jahren erforscht er Dekompressionskrankheiten. Außerdem forscht er in anderen Gebieten der Umweltphysiologie, u.a. zur Wirkung von Kälte und zum Weltall.
Dr. Rune Djurhuus, Ph.D., ist Chef-Wissenschaftler für Biochemie und Toxikologie bei Norwegian Underwater Intervention in Bergen, Norwegen. Seine Forschung konzentriert sich auf die chemische Kontaminierung des Atemgases von Tauchern (Überdrucktoxikologie) und die Abwehrmechanismen der Zellen bei Endothelschäden durch Dekompressionsstress.