DAN Forschung
Mein Tag als freiwilliger DAN-Forschungstaucher
Wie ich zum tauchenden Versuchskaninchen wurde: gelebte Bürgerwissenschaft für die Forschung
Heute ist ein besonderer Tag, auf den ich mich schon seit Wochen freue. Ich werde als freiwilliger Forschungstaucher einen Tag lang für DAN Europe an einem zukunftsweisenden, von der EU finanzierten Tauchforschungsprojekt teilnehmen und damit meinen ganz eigenen Beitrag leisten zu: CADDY – dem Kognitiven Autonomen Tauchpartner (engl. Cognitive Autonomous Diving Buddy)!
Die freiwillige Teilnahme an Forschungsprojekten nennt man Citizen Science ("Bürgerwissenschaft"), was mittlerweile ziemlich populär und in den letzten Jahren wesentlicher Bestandteil vieler Forschungsprojekte geworden ist. Es kann recht bedeutungsvolle Arbeiten umfassen, die Dein Leben irgendwie spannender machen. Mir gefällt das. Ohne freiwillige Helfer könnten Forscher manchmal ihre Studien gar nicht durchführen. Sie benötigen entweder unsere Daten oder unsere Hilfe.
Also habe ich mir einen Tag freigenommen und fahre zum Y-40, dem tiefsten Pool der Welt in der Nähe von Padua, Italien, der erst vor einem Jahr eröffnet wurde. Dort treffe ich auf Andere, die sich auf dieselbe Sache eingelassen haben. Wir sind alle sehr gespannt. Im nächsten Augenblick hängen wir bereits vor den großen Fenstern in der Eingangshalle, die uns einen großartigen Blick in den blauen Pool erlauben. Während wir da so stehen und warten, können wir uns kaum zügeln: wir wollen einfach nur tauchen.
Nach dem Briefing über die Aufgaben, die wir unter Wasser ausführen sollen, habe ich zugegebenermaßen gemischte Gefühle. Aber trotzdem – und natürlich – unterschreibe ich die Einwilligungserklärung.
Bis ich fertig bin, dauert es eine ganze Weile. Drei Leute arbeiten an mir. Ich muss die ganze Zeit stehen und habe dabei den schweren Tank auf meinem Rücken. Katharina Oremus (Kati) und Dom Reichl von der Arbeitsgruppe für Verhalten der anthropologischen Abteilung der Universität Wien in Österreich (Human Behavior Group of the Department of Anthropology from the University of Vienna in Austria) benötigen ziemlich lange, bis sie mich mit allen Sensoren voll verkabelt haben. Sie haben mir außerdem einen Metallkasten auf den Tank geschnallt. Aus dem Kasten kommen die vielen Kabel, die zu meinen Beinen, Armen, Brustkorb und Kopf führen. Sämzliche Kabel vereinigen sich zu einem einzigen dickeren Kabel, das zu Doms Laptop führt. Auf seinem Laptop-Monitor kann er so die Bewegungen eines Tauchers unter Wasser verfolgen. Jetzt ist es so weit: ich fühle mich wirklich wie ein Versuchskaninchen.
Aber dieses Gefühl ist genau in dem Moment verschwunden, in dem ich endlich im Wasser bin und mich wieder wie ein richtiger – und wichtiger – Taucher fühle.
Während Kati und Dom damit beschäftigt sind, die Sensoren an Kopf, Armen und Beinen zu befestigen, um die Bewegungen unter Wasser messen zu können sowie am Oberbauch, um die Atemfrequenz messen zu können, erinnert mich das ein bisschen daran, wie Hollywood im Herr der Ringe den Gollum gemacht hat. Aber Hollywoods Ergebnis sah dann wie Gollum aus, während meins auf dem Monitor eher einem unbeholfenen, plumpen, wenn auch buntem, digitalem Männchen gleicht.
Neben den auf dem Körper befestigten Inertialsensoren (Trägheitssensoren) „dekorieren“ sie das Maskenband mit einer Art Unterwasser-Kopfhörer – und ich finde mich selbst nicht in einer geräuschlosen tiefblauen Unterwasserwelt wieder, sondern umgeben von einer Art Radiogeräusch, während ich die Aufgaben wie Atemregler raus und wieder rein, Maske abnehmen und ausblasen bewerkstellige und darüber hinaus eine gefühlte Million Fragen zu meinem momentanen Gemütszustand beantworte, und das alles auf diesem wasserdichten Tablet! (das ich am liebsten nachher mitnehmen würde für meinen nächsten Deko-Stop!)
Ich habe den Eindruck als spiele ich in einem Science Fiction mit. Wenn man genauer drüber nachdenkt, kommt es dem sogar ziemlich nahe. Irgendeines schönen Tages wird der Roboter CADDY ein nützliches Gerät für Unterwasser-Archäologen oder andere Forschungs- und Berufstaucher und letztlich vielleicht sogar den Durchschnittsfreizeittaucher darstellen.
Und – was sollte ich für sie machen?
Als wäre nicht bereits genug Technik um mich herum, stellen sie mir noch einen Standby-Taucher an die Seite. Er trägt eine Vollgesichtsmaske (ein integriertes Tauchmaskensystem von Ocean Reef) und beobachtet mich. Im Falle eines Notfalls (Ich hoffe sehr, es gibt keinen!) ist er da und wird mir helfen. Oder er wird meinen Druckmesser vor und nach jeder Testaufgabe ablesen (zum Glück misst er nicht auch noch meinen Blutdruck). Wenn die Vollgesichtsmaske komplett Schwarz wäre, würde auch das mich an Hollywood erinnern – obwohl viele Jahrzehnte her: Darth Vader! Umso verblüffender – ich kann Darth Vader hören, wie er zu mir spricht – unter Wasser! Umso beunruhigender – Darth Vader spricht auch noch mit jemand anderem außerhalb des Pools – besonders immer dann, wenn er meinen Druckmesser abgelesen hat. Bevor und nachdem ich anstrengende Aufgaben wie 15 Meter Flossenschwimmen möglichst schnell erledigt habe oder ein Gewicht über eine Strecke von 6 Metern transportiert habe oder an einem Seil rauf und runter getaucht bin, schleicht er sich an mich heran, um einen Blick auf meine Messgeräte zu erhaschen.
Tatsächlich meldet Darth Vader, alias der Standby-Taucher oder im echten Leben Forschungstaucher von DAN (Divers Alert Network), dem Team am Boden oder präziser an der Oberfläche, wie viel Luft ich während der anstrengenden Übungen verbraucht habe, indem er meinen Druckmesser abliest und die Daten durchgibt.
Manchmal spricht jemand anderes mit mir über den Kopfhörer: es ist Guy der Typ vom Bodenteam, der auch das Briefing am Beckenrand gemacht hat. Guy ist auch von DAN. Von oben korrigiert er meine Position auf der Plattform, weil sie mich natürlich filmen, während ich meinen großen Auftritt wie ein Hamster in einem Laufrad habe. Ich hatte es bereits erwähnt: es ist fast wie in Hollywood!
Da ist also eine Kamera hinter dem Fenster vor mir. Ich kann sie nicht sehen, aber ich weiß, dass Anna Schaman von der Universität Wien (University of Vienna) dort hinter ihrem Laptop sitzt und kontrolliert, dass mit den Aufnahmen alles in Ordnung geht, damit für die Auswertung valide (gültige) Bewegungsdaten produziert werden. Die Bewegungen werden später mit den Stimmungen und Gefühlen des Tauchers (Befindlichkeitsdaten) korreliert. Dann werden sie CADDY gefüttert, damit CADDY lernen kann, das Verhalten eines Tauchers zu deuten.
Wozu soll das Ganze dienen?
Die Idee ist, dass CADDY ein kleiner Roboter sein wird, der um einen Taucher herumschwimmt und sozusagen dessen Gesichtsausdruck, Gesten, Körpersprache und Bewegungen liest. Die Erwartung ist, dass der Roboter schließlich in der Lage sein wird, zu erkennen, wenn sich ein Taucher in Gefahr befindet. Das Ziel ist, dass CADDY sofort helfen oder Informationen an die Oberfläche senden kann, so dass dem Taucher in Not sofort Hilfe von oben geschickt werden kann. Hilfe kann viele Gesichter haben: ein Tank mit Sauerstoff, weitere Ausrüstung, ein Rettungstaucher. Es hängt von der Situation oder vom Problem ab. Die Vorstellung ist, dass der Roboter für Forschungstaucher wie Unterwasser-Archäologen von Nutzen sein wird, aber natürlichauch für andere . Der Taucher könnte in Gefahr sein, sich in etwas verfangen haben oder einfach nur ein Werkzeug benötigen. Es gibt ein weites Feld an Einsatzmöglichkeiten für diesen Unterwasser-Roboter, wenn er erst einmal entwickelt und auf dem Markt erhältlich ist. Es wird sogar so weit gehen, dass CADDY mehrere Aufgaben selbst übernehmen oder als Guide eingesetzt werden kann.
Irgendwie bin ich dann auch froh, als es schließlich vorbei ist. Das Problem sind nicht die Aufgaben, die wir machen sollten, die für einen durchschnittlich erfahrenen Taucher recht leicht sind. Es ist eher die Zeit, die man braucht, um dann alle Fragen auf dem Tablet unter Wasser zu beantworten. Es kommt mir vor, als müsste ich nach jeder ausgeführten Übung eine Million Fragen zu meiner Stimmung, meinen Gefühlen und Empfindungen beantworten. In manchen Momenten wäre ich lieber von der Plattform in die Tiefe gesprungen und durch den Pool, sein Höhlensystem oder hinunter bis auf den Grund in 40 Meter Tiefe getaucht statt noch eine weitere dieser Fragen beantworten zu müssen… Schließlich und endlich aber nach 25 Minuten bin ich fertig und Guy der Typ von oben, der das Briefing gemacht hat, spielt mir doch tatsächlich einen Song in den Kopfhörer. Als ich es höre, muss ich mich fast totlachen und meine Maske läuft mit Wasser voll… Er sagt, “Gut gemacht! Du kannst jetzt hochkommen!”
Aus dem Pool zu klettern ist genauso schwierig wie das Reinklettern war mit dieser schweren Ausrüstung. Aber es warten schon drei Leute an der Oberfläche auf mich, um mich schnell zu befreien.
Ich kann nicht anders als fröhlich lächeln, als ich allen “OK” signalisiere. Schließlich habe ich einen Beitrag in einem wirklich interessanten Forschungsprojekt geleistet. Ich bin froh, dass ich diese Möglichkeit hatte. Insgesamt hat es wirklich viel Spaß gemacht, und es war total interessant, die Arbeit der Forscher mit modernster Technik zu sehen und nah mit ihnen zusammenarbeiten zu dürfen.
Ich weiß, dass mein Beitrag ein wertvoller Teil unter vielen ist. Nur wir alle zusammen können etwas bewirken und Forschung, Innovation und Entwicklung voranbringen.
Wie habe ich davon erfahren?
Ich tauche und bin daher Mitglied bei DAN Europe, warum ich auch den DAN-Newsletter sowie andere E-Mails erhalte. DAN hatte Einladungen per Email an seine Mitglieder versandt, die in der Nähe von Padua leben. So habe ich davon gehört. Ich bin froh, dass ich an diesem Tag meine Emails gelesen habe.
Voraussetzung dafür, freiwilliger Forschungstaucher sein zu können, ist natürlich, dass man zertifizierter Taucher ist und eine gültige Tauchtauglichkeitsbescheinigung vorweisen kann.
Als Dankeschön für meinen freiwilligen Einsatz erhalte ich nicht nur eine Tasche mit nützlichen Tauchutensilien, die ich ansonsten im DAN-Shop hätte kaufen müssen, sondern bekomme die Möglichkeit, im Anschluss einen richtigen Tauchgang bis zu 40 Meter Tiefe (oder auch weniger) machen zu können. Tatsächlich verbringe ich am Ende meinen ganzen Tag im Y-40. Es hat mir wirklich viel Spaß gemacht und ich freue mich schon auf das nächste Citizen-Science-Projekt von DAN.
Ich bin stolz, im Rahmen der Bürgerwissenschaft freiwilliger Forschungstaucher zu sein und wünsche CADDY nur das Beste und viel Glück!