DIE SUCHE NACH DER KRANKHEITSURSACHE

Beim Diagnostizieren einer Dekompressionserkrankung (DCI) verlassen wir uns im Wesentlichen auf einige Faktoren in der Vorgeschichte des Tauchers und auf die klinische Untersuchung. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen die verletzte Person nur schwach ausgeprägte und uneindeutige Symptome aufweist. Leider gibt es für die DCI keine konventionellen Diagnosemethoden. Mit anderen Worten, es gibt also keinen Bluttest, mit dem definitiv nachgewiesen werden kann, dass man eine DCS erlitten hat. Und, obwohl die Vorgehensweisen in der Tauchmedizin vielfach klar definiert sind, ist dennoch ein ausgebuffter klinischer Praktiker nötig, um die aussagekräftigen Details herauszufinden und zur Diagnose einer DCI zu gelangen, denn dies ist eine Wissenschaft für sich. Herauszufinden, dass bestimmte Symptome nach dem Tauchen nichts mit einer DCI zu tun haben, erfordert ähnlich gute Fähigkeiten. Der folgende, recht ernste Fall zeigt einige der Herausforderungen auf, mit der sich die moderne Medizin befassen muss. Er zeigt zugleich, mit welchen Schwierigkeiten sich Taucher und deren Tauchärzte auseinandersetzen müssen.

DER TAUCHER
Der Taucher ist 20 Jahre alt und reiste mit seiner Familie zu einem bekannten Tauchrevier im südlichen Pazifik. Alle Familienmitglieder wollten dort ihr Brevet zum Open Water Diver abschließen. Der Taucher und seine Familie hatten vor der Reise mehrere Stunden Unterricht hinter sich gebracht und in den ersten sechs Wochen des Sommers ihre praktischen Fähigkeiten im begrenzten Freiwasser optimiert.

DIE TAUCHGÄNGE
Am ersten Tag wurden die üblichen FreiwasserÜbungstauchgänge durchgeführt (auf 12,5 Meter Tiefe), bei denen die Familienmitglieder Übungen wie Tarierungskontrolle, Maske ausblasen und die Verwendung alternativer Luftversorgungen ausführen mussten. Sie übten dabei u. a. auch den kontrolliert schwimmenden Notaufstieg. Es gab während der Tauchgänge keine Probleme, denn die Teilnehmer waren ja gut vorbereitet.

DIE KOMPLIKATIONEN
Als der junge Mann nach dem zweiten Tauchgang zum Boot zurückkehrte, klagte er über plötzliche Kopfschmerzen, Erschöpfung und Unwohlsein. Zusätzlich zu diesen Symptomen litt er in seinen ganzen Armen unter anhaltenden Muskelkrämpfen. Die Krämpfe nahmen langsam ab, und es kam schließlich noch zu vier bis fünf Krampfattacken täglich; aber sie hielten die gesamte Reise über an. Trotz seiner Symptome überredeten ihn seine Familienmitglieder, zwei weitere Tage tauchen zu gehen, um seine Zertifizierung abzuschließen. Der Taucher erhielt sein Open Water Brevet und reiste anschließend auf der Insel herum. Er litt weiterhin an Muskelkrämpfen, aber er bezeichnete sie als erträglich. Sein Rückflug nach Hause verlief ruhig.

Zuhause angekommen, und dann weitere Probleme Eine Woche nach dem ersten Auftreten der Symptome erlitt er ohne Vorwarnung einen großen Epilepsieanfall, während er mit einem Fahrzeug auf einer städtischen Schnellstraße unterwegs war. Ein Mitfahrer konnte das Fahrzeug unter Kontrolle bringen und brachte den Taucher in eine nahe gelegene Notaufnahme. Er wurde zur Untersuchung und Beobachtung stationär aufgenommen. Eine Woche später und damit zwei Wochen nach seinem letzten Tauchgang erlitt der junge Mann einen weiteren Krampfanfall. Ein MRT des Hirns blieb ohne Befund. Sein Neurologe verschrieb Depakote ®, ein krampfhemmendes Medikament.

Da es keine weiteren schlüssigen Informationen über eine mögliche Ursache der Symptome gab, stellten die Ärzte nun Fragen über seine taucherische Vorgeschichte und seine Aktivitäten. Um alle möglichen Zusammenhänge mit dem Tauchen auszuloten, zog der diensthabende Neurologe den örtlichen Druckkammerarzt zu Rate. Da er sich selbst nicht sicher war, rief der Druckkammerarzt DAN an, um die Sinnhaftigkeit einer hyperbaren Sauerstofftherapie abzuklären. Der Arzt von DAN hielt es allerdings nicht für wahrscheinlich, dass hier eine DCI vorlag. Es wäre theoretisch schon möglich, dass während des zweiten Tauchgangs ein kleiner Gasembolus (Luftbläschen) in Erscheinung getreten sein könnte, dennoch hingen die Krampfanfälle wahrscheinlich nicht damit zusammen, da sie erst mehrere Tage später auftraten. DAN fügte außerdem an, dass – für den Fall, dass die Krampfanfälle mit den Tauchgängen zusammenhingen – eine hyperbare Sauerstoffbehandlung 14 Tage danach sehr wahrscheinlich nicht mehr viel bewirken würde.

ZURÜCK IN DER HOCHSCHULE
Als er am nächsten Tag entlassen wurde, kehrte der junge Mann zu seinem College zurück. Sein Zustand verschlechterte sich, denn er bekam nun häufig schwere, migräneartige Kopfschmerzattacken, verbunden mit Sehstörungen und Magen-Darm-Problemen. Außerdem hatte er Schwierigkeiten mit seinem Kurzzeitgedächtnis, die dazu führten, dass er die Anweisungen für die Einnahme von Medikamenten nicht mehr richtig befolgen konnte. Als es sich weiter verschlimmerte, konnte er dem Unterricht schließlich nicht mehr folgen, und seine Leistungen im College ließen immer weiter nach. Um ihn zuhause versorgen zu können, entschied seine Familie, ihn von der Hochschule zu nehmen – ganze vier Wochen, nachdem er dort angefangen hatte. Er wurde erneut in die Klinik eingewiesen.

DER ZUSTAND VERSCHLECHTERT SICH
Weitere medizinische Tests, darunter eine Voruntersuchung auf Meningoenzephalitis (Entzündung von Hirn/Hirnhaut) mittels Lumbalpunktion, blieben ohne Befund. Nachdem EEGs, Computertomografien, Magnetresonanztomografien und Lumbalpunktionen normal ausfielen, waren die Ärzte zuerst ratlos: Sie hatten einen gesunden, zwanzig Jahre alten Studenten mit Auszeichnung vor sich, der innerhalb von vier Wochen gezwungen war, sich vom College zurückzuziehen, bettlägerig wurde und rund um die Uhr versorgt werden musste. Zu diesem Zeitpunkt war der junge Mann fortwährend reizbar und litt unter immer wieder aufflammenden, migräneartigen Kopfschmerzen, Muskelzuckungen, Erbrechen, Sabbern, Schwierigkeiten beim Gehen und einem zunehmend schlechteren Kurzzeitgedächtnis.

Angesichts der Verunsicherung der lokalen Ärzte richtete die Familie eine erneute, davon unabhängige Bitte an DAN, nochmals die Wahrscheinlichkeit einer DCI bzw. verunreinigter Atemluft zu prüfen. Die Möglichkeit kontaminierter Atemluft erschien unwahrscheinlich und wurde sofort verworfen. Vor dem Hintergrund eines späteren Auftretens zusätzlicher Symptome, z. B. der Veränderung des Geisteszustands, der asymmetrischen Schwäche und Probleme beim Gehen, erschien es eher unwahrscheinlich, dass dies das Krankheitsbild einer möglichen DCI war (die Krampfanfälle, Kopfschmerzen und Schwierigkeiten beim Gehen nach sich ziehen kann). Insgesamt gesehen blieb das Krankheitsbild, zumindest im Zusammenhang mit dem Tauchen, verwirrend.

Die Diagnose: West-Nil-Virus Vier Wochen nach Krankheitsbeginn gab es einen Durchbruch. Nach mehreren erfolglosen Heilungsversuchen mit antibiotischen und antiviralen Medikamenten verabreichten die Ärzte dem Patienten intravenös Steroide, und das zeigte richtig Wirkung: Die Symptome ließen praktisch über Nacht nach. Die gründliche Auswertung der Laborergebnisse brachte zudem einen erhöhten Wert bei den Antikörpern (IgM – Gamma-M-Immunglobuline) gegen den West-Nil-Virus in der Hirn–/Rückenmarksflüssigkeit [Liquor] zutage, also in der Flüssigkeit, die Hirn und Rückenmark der infizierten Person umgibt. Aus den vorliegenden Symptomen und den Behandlungsergebnissen schlossen die Ärzte, dass sich der Taucher eine Woche vor seinen Freiwassertauchgängen zum Bestehen des Open Water Divers mit dem West-Nil-Virus infiziert hatte. Ob das Tauchen nun zum Fortschreiten der Krankheit oder ihrer Symptome beigetragen hat, bleibt unklar. Auf jeden Fall erforderte das Zusammentreffen der Faktoren das Urteilsvermögen einiger der scharfsinnigsten Diagnostiker in mehreren Kliniken.
 

Der West-Nil-Virus, ein von Stechmücken übertragener Erreger, tauchte 1937 zuerst im West-Nil-Delta in Uganda auf; in den USA wurde es erstmals 1999 in New York City dokumentiert. Die rasche Ausbreitung des Virus zog schnell die Aufmerksamkeit der ‚Centers for Disease Control and Prevention‘ [dem Gesundheitsministerium der USA unterstellte Behörden, zuständig für Infektionskrankheiten] auf sich, dessen epidemiologische Studien für das Jahr 2003 in den USA 9.862 Betroffene verzeichnen, was gegenüber 2002 (4,156 Fälle) eine Zunahme um 137 Prozent bedeutet. Die Familienmitglieder berichteten DAN von der letzten Nachuntersuchung, dass man innerhalb der nächsten zwei Monaten mit der vollständigen Genesung des jungen Mannes rechnet: Er fühle sich immer noch schwach und arbeite daran, die 9 kg Körpergewicht wiederzuerlangen, die er bis zum Abklingen der Symptome verloren hat. Sie berichteten weiter, dass er zum Beginn des nächsten Semesters wieder die Hochschule besuchen werde.

BESPRECHUNG
Wenn nach einem Tauchgang eine akutes Krankheitsbild auftritt, insbesondere eines mit neurologischen Anzeichen und Symptomen, ist es sehr wahrscheinlich zurückzuführen auf eine DCI. In unserem Fall war das Auftreten der Symptome zu diesem Zeitpunkt purer Zufall. Viele Krankheitsbilder haben Ähnlichkeiten mit denen der DCI – zum Beispiel Fischvergiftung durch Ciguatera, Erkrankungen oder Quetschungen des Rückenmarks, Migräneattacken und gelegentlich gar akute Herzinfarkte. In diesem Fall entdeckten die Tauchmediziner, dass die vom West-Nil-Virus hervorgerufenen Symptome ebenfalls als DCI-Symptome durchgehen können.

Das Risiko für einen Sporttaucher, eine DCI zu erleiden, ist nach heutigem Wissensstand gering. Daten aus DAN’s ‚Project Dive Exploration‘ (PDE) untermauern dies und beziffern das Risiko für Taucher, die vom Ufer oder von einem Tagesboot aus tauchen, mit drei Fällen auf 10.000 Tauchgänge (zu finden auf Seite 42 des ‚DAN Report on Decompression Illness, Diving Fatalities and Project Dive Exploration‘, der [Tauchunfallstatistik] für das Jahr 2004). Der Bericht zeigte zudem auf, dass 48 Prozent der Teilnehmer des PDE-Projekts bereits vorhandene medizinische bzw. gesundheitliche Probleme aufwiesen. Der Klärungsprozess einer möglichen DCI offenbarte bei diesem jungen Mann eine komplexe gesundheitliche Vorgeschichte, und bei anderen verletzten Tauchern kann es ebenso sein. Für den Arzt / die Ärzte, die jeden einzelnen Fall zu begutachten haben, stellt das Ganze somit eine diagnostische Herausforderung dar.

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