Entschuldigen Sie, sind Sie auch „Bubbler“?
Samstag morgen, 7:00 Uhr, 29. September 2012, Orta See, Italien
Es ist ein regnerischer Morgen am Orta See, der friedlich zwischen malerischen Bergen und Städtchen der Lombardei liegt. Eine Gruppe von 20 Forschern des DAN Safety Laboratory und des Phypode Projekts hat sich an diesem schönen Fleckchen Erde zusammengefunden und wartet auf die 20 Taucher, die nach und nach auch den Weg zum Tauchverein „Sub Novara Laghi“ finden für zwei volle Tage „Wissenschaft zum Mitmachen“.
Unsere Hauptthema dieses Wochenende: Wie beeinflusst eine Änderung des Sauerstoffpartialdrucks während des Tauchgangs unsere Taucher mit besonderem Augenmerk auf die Bildung von Mikrogasblasen (Bubbles) im menschlichen Körper. Aus diesem Grund sind Forscher aus 12 Ländern und mit 14 Sprachen heute zusammengekommen – jeder einzelne mit einem anderen Ziel und mit ganz unterschiedlichen Methoden für die Bubble-Jagd und zur Messung diverser anderer physiologischer Parameter.
7:15 – Letztes Briefing mit Koordinator Massimo Pieri und abschliessende Feinjustierung der Geräte. Ein präzis Plan für diesen Tag und Sonntag hängt an der Außenwand des Tauchvereins – kein Taucher wird eine Chance haben, den Termin mit dem Doppler-Team oder die Urinprobe zu verpassen. Elisa sorgt dafür, dass jeder zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Ein Rettungswagen und die Besatzung des Rettungsbootes sind auch gerade angekommen. Alles ist vorbereitet.
Die Taucher und das Tauchprofil
Unsere Taucher, die meisten bereits mit mehrfacher Erfahrung in DAN field research, sind in zwei Gruppen eingeteilt und streng nach Protokoll wird jede Gruppe am Samstag und Sonntag exakt den gleichen Tauchgang unternehmen. Die 10 Nitrox-Taucher werden Ihren Samstag Morgen mit einem 30m Pressluft-Tauchgang und einer Grundzeit von 20 Minuten beginnen. Die Tech-Taucher sollen auf 45m Trimix 21/69 atmen mit einer Grundzeit von 10 Minuten, dann ist auf 21m ein Gaswechsel auf Trimix 50/40 geplant bis zum Ende der 20-minütigen Dekompression.
Am Sonntag sollen die Tauchprofile beibehalten werden, jedoch wird sich der Inhalt der Flaschen in der Nitrox Gruppe mit EAN32 verändern und die Trimix technischen Taucher soll bei ihrem Gemisch bleiben, allerdings ab 6m für die letzte Dekompressionsphase auf 100% Sauerstoff umsteigen. Während ich so auf die ruhige Wasseroberfläche gucke und die Bootsbesatzung beobachte, die gerade das Boot für die erste Tauchrunde beladen, beneide ich die Taucher, die gleich ins Wasser dürfen. Gerade jetzt guckt auch die Sonne über die Bergspitzen. Dann erinnere ich mich an die 7°C unter der zweiten Sprungschicht und bin schon gar nicht mehr so traurig. Das DAN-Team reißt mich aus meinen Gedanken: Es gibt Arbeit!
Die Untersuchungen
Vor dem Tauchgang muss sich jeder Taucher einer Serie von Tests unterziehen, die zusammengenommen leicht bis zu zwei Stunden dauern können. Neben Blutdruckmessung und Urinprobennahme, werden auch Blutproben entnommen, um später den Gehalt an Mikropartikeln zu bestimmen. Weitere Messungen umfassen„ Flow-Mediated Dilation“, eine Methode zur Funktionsanalyse von Blutgefäßen, Echokardiographie zum Sehen und Echo-Doppler zum Hören von Mikrogasblasen, Laser-Doppler zur Bestimmung der mikrovaskulären Funktion, ein weiteres Team beschäftigt sich mit Mikrozirkulation und mit Lungenfunktion. Darüber hinaus muss jeder Taucher vor während und nach dem Tauchgang mehrere Critical Flicker Fusion Frequency (CFFF-) Tests machen, ein Test zur Messung der Aufmerksamkeit und jeder Taucher wird einem Thermoscan mittels Infrarot-Kamera unterzogen. Die gleiche Testserie wird nach dem Tauchgang noch einmal wiederholt. Dies soll uns hinterher den Vergleich zwischen dem Zustand des Tauchers vor und nach dem Tauchgang ermöglichen. Zusammen mit den Messungen vom Sonntag erhoffen wir uns einen Einblick in die Wirkung unterschiedlicher Gasgemische auf den menschlichen Körper.
Immer wieder kommt es vor, dass ein Taucher während eines dieser Tests fragt, ob man ihm irgendetwas über seinen Gesundheitszustand sagen kann. Als Wissenschaftler beantwortet man diese Fragen meistens nicht oder nur sehr ungern. In diesem speziellen Fall jedoch springen einem einige Dinge sofort ins Aufe, zum Beispiel wissen wir nach Echokardiographie sofort, ob jemand „Bubbler“ ist oder nicht und nach dem CFFF-Test kann man ableiten, ob der Taucher am morgen insgesamt aufmerksamer war als eine Stunden nach dem Tauchgang. Nichts desto trotz werden wir das große Bild erst sehen, wenn alle Daten ausgewertet sind und zentral zusammengefügt wurden. Am Sonntag um 19 Uhr ist es dann soweit. Der letzte Test ist gemacht und die Ausrüstung ist wieder verstaut –zumindest für die Taucher. Für die Forscher war das erst der Anfang und jetzt müssen wir anfangen, zu analysieren und auszuwerten.
3. Oktober, 17 Uhr, Brüssel, Belgien
Rückblickend auf den „Feldversuch“, der meines Erachtens ein großer Erfolg war, versuche ich mich an einem kleinen Resümee: Nach zwei langen Tagen mit interessanten Menschen, ernsthaften wissenschaftlichen Diskussionen und einer Hand voll neu gewonnener Freunde war es an der Zeit, Lebewohl zu sagen. Die Menge an Daten, die an diesem Wochenende gesammelt wurde, ist enorm. Trotzdem bin ich sicher: Es war nicht das letzte Experiment dieser Art. Sicher werden wir auf ein paar Fragen Antworten finden, doch noch sicherer ist, dass sich auf dem Weg neue Fragen auftun werden. Phypode hat jetzt noch 2 Jahre und ich persönlich freue mich auf die nächsten Events dieser Art.
Was mich an diesem Wochenende am meisten begeistert hat ist, dass es in der großen Tauchgemeinschaft immer diese Menschen geben wird: Freiwillige Taucher und Wissenschaftler, die nicht aufhören werden, Fragen zu stellen und Antworten zu suchen. Das ist es, was solche Events überhaupt erst möglich macht und was das Tauchen mit jedem neuen Datensatz ein bisschen sicherer macht. Unser spezieller Dank gilt all den Freiwilligen, vor allem natürlich den Tauchern, die Geld, aber vor allem wertvolle Zeit gespendet haben, um dieses Wochenende so zu ermöglichen.
Safe dives to all of you!
Die Autorin
Frauke Tillmans ist Diplom Biologin und Tauchlehrerin. Sie arbeitet seit September 2011 im Fachbereich Tauchphysiologie am Haute Ecole Paul-Henri Spaak in Brüssel. Ihre Arbeit fokussiert derzeit auf den Effekt von “Preconditioning” auf die Funktion des Endotheliums bei Tauchern und die Bildung von Microgasblasen während des Gerätetauchens, sowie der Messung von oxidativem Stress während des Apnoe-Tauchens. Als Doktorandin der Universität Ulm und in Kooperation mit dem Brugmann-Krankenhaus in Brüssel, arbeitet sie darüber hinaus an dem Thema “Normobare Sauerstoffgabe als Zusatzbehandlung gegen Leukämie”.