Fragen des Herzens [und des Glücks]

Hallo zusammen,

wir, d.h. die Gruppe Scubadolphin, sind gerade zurück aus unserem Urlaub am Roten Meer (13.-20. Mai), und möchten euch gerne von etwas berichten das wir während unserer Reise erlebt haben.

Am frühen Morgen des 13.Mai ging es los. Um 5 Uhr waren wir bereits alle am AirItaly-Schalter im Flughafen Rom-Fiumicino und bereit unser Gepäck einzuchecken. Unser Ziel war Sharm el-Sheikh. Obwohl es noch dämmerte, waren wir alle wach und voller Enthusiasmus und Vorfreude, denn ein paar Mitglieder unserer Gruppe hatten noch nie zuvor die Schönheiten des Roten Meeres gesehen.

Unsere Gruppe bestand aus insgesamt 22 Leuten aller möglichen Berufsgruppen– angefangen beim Studenten, über den Büroangestellten, einem Apotheker bis hin zu einem Arzt. Und alle mit einer Gemeinsamkeit: Der Leidenschaft für das Tauchen. Es waren auch ein paar frisch zertifizierte Taucher dabei: Giuseppe Vairo, ein Open Water Diver, mit seinem Sohn Davide, einem Junior Diver. Beide wurden begleitet von Giuseppes Frau und dem zweiten noch jüngeren Sohn. Insgesamt eine hübsch gemischte Gruppe, angeführt von unserem Maskottchen, Nicoletta, die gerade einmal 13 Monate alt war!

Nachdem wir also die ganzen Flughafenprozeduren hinter uns gebracht hatten, stiegen wir ins Flugzeug ein. Einige von uns vorne, andere über die hintere Treppe des Flugzeuges. Giuseppe Casalanguida und Elisabetta Pisciotti stiegen über den vorderen Eingang ins Flugzeug ein und gingen zu ihren Sitzen 12A und 12B. Nachdem sie ihr Handgepäck im Gepäckfach verstaut hatten, schauten sie sich um und versuchten herauszufinden, wo der Rest der Gruppe saß, als plötzlich ein junger Mann zwischen 35 und 40 Jahren direkt in der Reihe neben Elisabetta in Ohnmacht fiel und dabei mit ihr zusammenstieß.

Jemand rief: „Oh Gott, er ist ohnmächtig geworden!”

Durch den Sturz war der Mann mit dem Kopf unter Elisabettas Sitz gelandet. Als sie sich zu ihm umdrehte erschrack sie: Seine Augen waren ausdruckslos, die Hände und Finger steif und verkrampft. Er begann zu keuchen. Es war eng und der Verletzte lag außerdem in einer schwierigen Position. Daher bewegten Giuseppe C. und Elisabetta ihn mit Hilfe eines anderen Passagiers in die Mitte des Ganges, legten ihn auf den Rücken und begannen mit lebensrettenden Sofortmaßnahmen.

In unserer Gruppe war auch ein Arzt (Giuseppe V.), den Giuseppe C. sofort herüberrief. Unser neuer Open Water Diver, alias Arzt, fragte die Ehefrau des Verletzten, ob ihr Mann an Epilepsie oder einer anderen Krankheit leiden würde. Hierauf antwortete die Frau: „Nein, er ist gesund!”

Nach einer ersten Untersuchung machte Giuseppe V. Elisabetta und Giuseppe C. darauf aufmerksam, dass das Herz des Verletzten nicht mehr schlug, und legte ihn zwischen zwei Sitze um dann sofort mit einer Herzmassage zu beginnen. In der Zwischenzeit rief Giuseppe C. nach dem Piloten und verlangte, dass sofort ein Krankenwagen gerufen würde. 30 bis 40Sekunden waren vergangen zwischen dem Moment, in dem der Mann in Ohnmacht gefallen war, die ersten lebensrettenden Sofortmaßnahmen eingeleitet und ein Krankenwagen gerufen wurde.

Giuseppe V. kniete jetzt zwischen den Sitzen auf der rechten Seite des Mannes und massierte abwechselnd mit Elisabetta, die auf der linken Seite hockte, weiter sein Herz.

Da so wenig Platz war, konnte Giuseppe C. den Kopf des Mannes nicht erreichen und ihn nicht Mund-zu-Mundbeatmen. In der Zwischenzeit bat er die Flugbegleiter darum, die Passagiere, die in der Nähe saßen wegzubringen, ebenso wie die Frau des Mannes, die ihr 3-4jähriges Kind in den Armen hielt, das immerzu „Papa, Papa…” rief.

Obwohl er über 2 Meter groß war, musste Giuseppe C. über die Sitze klettern, um die Flugbegleiter nach einem Beatmungsbeutel zu fragen, mit dem er versuchen wollte den Patienten zu beatmen. Die Flugbegleiter wussten jedoch noch nicht einmal wovon er sprach.

Also fragte Giuseppe C. nach einer Sauerstoffflasche mit zugehöriger Maske, woraufhin eine Flugbegleiterin ihm antwortete, dass eine Sauerstoffflasche vorhanden sei. Eine Frau kam herbei und machte deutlich, dass sie Krankenschwester sei. Sie setzte sich an den Kopf des Mannes. Gleichzeitig durchsuchte Giuseppe C. den Inhalt des Erste-Hilfe-Kastens des Flugzeugs nach Masken, fand jedoch keine. Der Pilot brachte die Sauerstoffflasche…

Als sie die Flasche mit den Druckabfallmasken sah, rief Elisabetta: „Was ist das denn?!“ Giuseppe C. bat den Piloten das Sauerstoffventil so weit wie möglich zu öffnen, aber der Pilot antwortete, dass das Maximum schon erreicht sei: „4 Liter pro Minute.” Irgendwann rief Giuseppe V. „Ich kann nicht mehr!“ und Elisabetta antwortete: „Ich übernehme!“

Elisabetta hat an den Übungspuppen unserer Organisation viele Jahre lang geübt. Jetzt war der Moment gekommen, all das anzuwenden, was sie bei DAN gelernt hat. Sie positionierte ihre Hände wie es sich gehört und begann mit den Druckbewegungen: erst ein bisschen langsam, aber dann hatte sie den Rhythmus raus und zählte: „Und eins, und zwei, und drei…“ Man hörte ein Knacksen. „Huch! Entschuldige, Salvatore (der Name des Mannes)“, sagte sie, „ich befürchte ùich habe dir gerade eine deiner Rippen gebrochen!“

Leider hörte man von Salvatore nur Keuchen und wie wir aus dem Handbuch wissen, ist ein Keuchen noch kein Zeichen von Atmung, und daher musste das Herz weiter massiert werden. Nach einer Weile war auch Elisabetta erschöpft und Giuseppe C., der sich später wiederum mit Guiseppe V. bei der Massage abwechselte, löste sie ab…
Fünfundzwanzig Minuten später wollte Salvatore immer noch nicht zu uns zurückkehren. Er war immer noch ohnmächtig. Der Krankenwagen kam an.

Ein Sanitäter bereitete den Defibrillator vor. Während er immer noch Druckbewegungen ausführte, fragte Giuseppe C. den Sanitäter, ob er eine passende Sauerstoffmaske habe. Endlich wurde ein Beatmungsbeutel gefunden, den der Sanitäter, der sich strecken musste, da Giuseppe C. immer noch rechts von Salvatore zwischen zwei Sitzen feststeckte, hinüberreichte. Giuseppe C. stellte fest, dass die Maske fehlte…

Nachdem Giuseppe C. die Maske entgegengenommen hatte, und während er immer weiter Druckbewegungen durchführte, sagte er dem Sanitäter, dass die Maske geborsten sei. Dieser antwortete ihm, dass diese Maske die Einzige sei, die sie hätten. Jetzt hörte Giuseppe C. mit den Druckbewegungen auf, denn einer der Sanitäter (der sich in der Zwischenzeit oberhalb des Sitzes von Giuseppe V. positioniert hatte), löste ihn ab. Giuseppe C. ging zum Sitz hinüber und legte die Maske auf Salvatores Gesicht. Dabei wies er die Krankenschwester darauf hin, dass sie geborsten war und das sie sie mit beiden Händen gut festhalten und sicherstellen müsse, dass sie gut an Mund und Nase des Verletzten anliegt, damit so viel Sauerstoff wie möglich in seine Lungen gelangen könne. Giuseppe V. und der Mann vom Krankenwagen wechselten sich bei der Herzmassage ab. Elisabetta ging zur Seite, um Platz für den Defibrillator zu machen: Es war nur noch unter dem Sitz Platz. Mit Hilfe der Krankenschwester benutzte Giuseppe C. den Beatmungsbeutel von dort aus, wo er saß.

Dann endlich, der Moment auf den wir alle gewartet hatten… der Defibrillator war bereit und die Analyse begann. Die aufgezeichnete Stimme sagte: „Bleiben Sie vom Patienten zurück, es erfolgt eine Analyse. Berühren Sie den Patienten nicht, Analyse wird durchgeführt!“

Wir stellten sicher, dass niemand den Mann berührte während der Defibrillator weitermachte: „Analyse wird durchgeführt, berühren Sie den Patienten nicht.“ Und wir riefen: „Zurück! Alles aus dem Weg räumen!“ Nach ein paar Sekunden sagte dann der Defibrillator: „Schock verabreichen!“

Der Sanitäter des Krankenwagens war zu weit vom Defibrillator entfernt, um den roten Knopf drücken zu können. Giuseppe C. rief: „Ich verabreiche den Schock, ich komme hin, der Knopf ist neben mir!“ und der Sanitäter antwortete: „Ja, gut, dann los” und wiederholte: „Alle bereit?“ „Alle bereit!“ Der erste Schock wurde verabreicht! Der Defibrillator sagte sofort: „Herz-Lungen-Wiederbelegung fortführen.“ Jetzt nahm der andere Sanitäter den Platz von Giuseppe V. ein und begann mit der Massage, während Giuseppe C. und der andere Sanitäter mit dem Beatmungsbeutel Sauerstoff verabreichten und sich bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung mit dem Notfallpersonal abwechselten. „Los, Salvatore, komm zurück zu uns!” rief jemand.

Der Defibrillator gab dann abermals Anweisungen und wir hörten wieder die Stimme, die uns sagte: „Bleiben Sie vom Patienten zurück, es erfolgt eine Analyse“ und nochmal: „Analyse wird durchgeführt!“ Nach ein paar Sekunden der Stille folgte wieder: „Schock verabreichen!“

Elisabetta drückte den Knopf für den zweiten Schock. Nachdem der zweite Schock erfolgt war, sagte der Defibrillator wieder: „Herz-Lungen-Wiederbelegung fort führen.“ Noch ein paar Minuten Herz-Lungen-Wiederbelegung, dann sah Giuseppe C. aus dem Augenwinkel heraus auf den Monitor und stellte fest, dass das Herz des Mannes nun regelmäßig und rhythmisch schlug. Er rief: „Da ist er! Keinen Schock mehr, keinen Schock mehr“, was so viel bedeutete wie: das Herz hatte wieder angefangen zu schlagen.

Da ist er wieder! Der Mann schaute sich jetzt um, und jemand rief: „Bravo Salvatore! Bravo!” Er war wieder da! Bravo Salvatore!!! Die Krankenschwester gab dem Mann dann nach Anweisung von Dr. Giuseppe V. eine Adrenalininjektion.

Der Patient reagierte fast sofort, er versuchte sogar sich aufzusetzen und rief: „Es geht mir gut, es geht mir gut!“ Jetzt waren wir uns sicher… er lebte. Gott sei Dank! Es kam uns vor, als wären nur wenige Minuten vergangen gewesen, tatsächlich aber hatten wir ihn über 35 Minuten lang wiederbelebt bis endlich der Defibrillator angekommen war.

Salvatore hatte, wie kann man es anders sagen… Glück. Er lebt, weil wir während der ganzen Zeit und unter unbeschreiblichen und schweren Bedingungen weiter lebensrettende Sofortmaßnahmen angewendet haben. Und weil der Defibrillator ankam! Und wenn nun das Ganze passiert wäre, während das Flugzeug in der Luft war… ?!? An Bord hätten wir ihm nur die Herzmassage verabreichen können!

Das gesamte Scubadolphin Team ist darin ausgebildet lebensrettende Sofortmaßnahmen anzuwenden, Sauerstoff zu verabreichen und einen Defibrillator zu bedienen. Natürlich hätten wir uns abgewechselt… aber hätte Salvatore nur durch lebensrettende Sofortmaßnahmen überlebt?

Das Personal und die Passagiere an Bord waren davon überzeugt, dass wir Ärzte sind. Ihr hättet mal ihre erstaunten Gesichter sehen sollen, als sie hörten, dass manche von uns nur eine Erste-Hilfe-Ausbildung haben und andere DAN Europe First Aid Instructors sind.

Wir wollen keine Phrasen dreschen, wir wollen nur noch einmal darauf hinweisen, dass Wissen und Ausbildung den Unterschied zwischen Leben und Tod eines Menschen ausmachen können. Die richtige Ausrüstung hilft mit Sicherheit, aber derjenige, der hilft muss auch wissen, wie er sie verwenden muss.

Im Flugzeug konnten wir keine Ausrüstung benutzen, weil es ganz einfach keine Ausrüstung gab. Darüber sollte man mal nachdenken…

Salvatore, trotz des Pechs, das du hattest – der 13. Mai war sicherlich dein Glückstag.

Alles Gute!
Giuseppe V, Giuseppe C, Elisabetta und das Scubadolphin Team

Kommentar von DAN Training

Mein Kompliment an die Ersthelfer, die unter schwierigen Bedingungen Großartiges geleistet haben!

Es ist immer wieder eine Freude zu sehen, dass ein Leben gerettet werden kann, weil Menschen, die an verschiedenen DAN Kursen teilgenommen haben, sofort handeln.

Die Geschichte zeigt, dass es nicht immer möglich ist unter idealen Bedingungen Erste Hilfe zu leisten. Nichtsdestotrotz und dank ihres Trainings und der angemessenen Reaktion haben es die Lebensretter geschafft, den Verletzten nach einem plötzlichen Herzinfarkt wiederzubeleben.

Wir dürfen nicht vergessen, dass es überall und zu jeder Zeit zu einem plötzlichen Herzstillstand kommen kann. Meistens handelt es sich um eine Herzrhythmusstörung (Herzkammerflimmern). Mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung wird das Gewebe weiter mit Sauerstoff versorgt, aber das Herz fängt nur sehr selten wieder an zu schlagen. Im Gegenteil, die Verwendung eines AED (eines halbautomatischen Defibrillators) erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Herzschlag wieder einsetzt erheblich. Das Herzkammerflimmern hört auf und das Herz schlägt wieder in einem normalen Rhythmus- so wie in diesem Fall. Was die gebrochene Rippe angeht- das ist nicht ungewöhnlich. So etwas kann selbst Fachleuten während der Ausführung von lebensrettenden Sofortmaßnahmen passieren.

Was hier passiert ist, verdeutlicht wie wichtig es ist, angemessen und kontinuierlich geschult zu werden. Es reicht nicht, früher einmal einen Erste-Hilfe-Kurs (bei DAN einen BLS oder BLSD Kurs) gemacht zu haben: das Wissen muss aktiv, d.h. up-to-date bleiben. Nur so kann sich ein Ersthelfer sicher genug fühlen, selbst in schwierigen Situationen eingreifen zu können.

Leider müssen wir bestätigen, dass die Geschichte auch ganz anders hätte ausgehen können, da keine angemessene Ausrüstung, in diesem Fall kein AED, an Bord vorhanden war! Auch wenn das Flugzeug in der Luft gewesen wäre, wären die Chancen, dass der Patient mit dem Herzinfarkt überlebt hätte sehr gering gewesen.

Die Sauerstoffsysteme, die normalerweise an Bord von Flugzeugen mitgeführt werden, sind nicht dafür vorgesehen nichtatmende Personen zu beatmen. Reanimationsmasken (mit oder ohne Sauerstoffzufuhr) sind zwar Tauchern, aber nicht der Allgemeinheit sehr bekannt, und sind nur sehr selten Teil einer normalen Erste-Hilfe-Ausrüstung.

Im DAN BLS (und im DAN Oxygen Provider) Kurs lernt ihr wie man Reanimationsmasken (Typ Taschenmaske) verwendet. Es gibt aber auch ein paar andere Kurse zu lebensrettenden Sofortmaßnahmen, in denen man die Verwendung dieser Masken lernt.

Wenn man eine Reanimationsmaske an den Sauerstoff anschließt, erreicht man eine Konzentration von 50%. Mit einem Beatmungsbeutel hingegen, kann man die Sauerstoffkonzentration auf bis zu 97-100% erhöhen. Auch wenn er nicht an Sauerstoff angeschlossen ist, ist die Konzentration immer noch höher (21%) als bei einer Mund-zu-Mund- oder Mund-zu-Maske-Beatmung (16-17%). Um zu lernen, wie man einen Beatmungsbeutel benutzt, ist ein spezielles Training wie das im DAN Advanced Oxygen Provider Kurs nötig. Krankenwagen und Krankenwagenpersonal führen Beatmungsbeutel in ihrer Ausrüstung mit (auch wenn in diesem Fall die Maske in sehr schlechtem Zustand war), und das erhöht die Überlebenschance und reduziert das Risiko von Hirnschäden.

Guy Thomas
Director of Training and Operations
DAN Europe Foundation

Artikel herunterladen

Tauchen Sie in die
neuesten Geschichten ein,
bevor es andere tun.

Abonnieren Sie den
Alert Diver
Newsletter.