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Bereiter Taucher

Kohlendioxid – die Nemesis (Teil 2)

Dies ist der zweite Teil einer dreiteiligen Artikelreihe zum Thema Kohlendioxid und Tauchen. Den ersten Teil findest du hier. Teil drei wird in einer zukünftigen Ausgabe von Alert Diver erscheinen.

Warum ist zuviel Kohlendioxid gefährlich?

Der Fachausdruck für einen übermäßig hohen Kohlendioxidgehalt im Körper lautet Hyperkapnie. Hyperkapnie verursacht eine Reihe eskalierender Symptome, beginnend mit leichtem kognitiven und motorischen Beeinträchtigungen. Diese Effekte können recht subtil sein, so dass der Betroffene sie selbst nicht bemerkt.

CO2 ist etwa 20 mal so narkotisch wie Stickstoff. Erhöhte Konzentrationen dieses Gases in der Blutbahn haben starke psychologische Auswirkungen und verursachen Verwirrung und irrationales Verhalten. Hyperkapnie kann außerdem Beklemmungen, Erregbarkeit, den Flucht-Kampf-Reflex und sogar Panik auslösen. Kurz gesagt macht Hyperkapnie gleichzeitig dumm und ängstlich – eine ungünstige Kombination. Schwere Hyperkapnie macht handlungsunfähig und führt letztlich zu Bewusstlosigkeit.

Hyperkapnie verursacht außerdem eine Weitung der Blutgefäße oder Vasodilation. Im Kopf befinden sich sehr viele Blutgefäße, und unserem Schädel mangelt es an der Fähigkeit, sich mit diesen auszudehnen. Daher führt eine erhöhte Blutzufuhr im Kopf dazu, dass der Schädelinnendruck steigt. Bei Kopfschmerzen nach dem Tauchen ist Kohlendioxid als mögliche Ursache in Betracht zu ziehen. Erhöhte Blutzufuhr zum Gehirn und zum zentralen Nervensystem bedeutet außerdem, dass diese Organe mit mehr Sauerstoff versorgt werden, was Taucher anfälliger für Sauerstoffvergiftungen macht.

Da die Gegenwart von Kohlendioxid den Atemreflex auslöst, überrascht es wenig, dass Atemnot (Dyspnoe) ein häufig auftretendes Symptom von Hyperkapnie ist. Die Toleranz gegenüber diesem Effekt variiert jedoch stark von Individuum zu Individuum, so dass die Abwesenheit von Dyspnoe keine Garantie dafür darstellt, dass andere Auswirkungen, beispielsweise kognitive Einschränkungen, nicht vorliegen.

Wenn Hyperkapnie einsetzt, hält die Wirkung für eine Dauer von wenigen Minuten in leichten Fällen bis zu mehreren Stunden in schweren Fällen an.

Unter Wasser wird es komplizierter

Es liegt auf der Hand, dass die oben genannten Symptome unter Wasser folgenschwerer und noch weniger wünschenswert sind als an Land. Bewusstlosigkeit bringt ein hohes Risiko zu ertrinken mit sich, während kognitive Einschränkungen und andere psychologische Effekte wie Angstzustände und Panik zu schlechten Entscheidungen verleiten können. Schon milde Dyspnoe, und die durch diese ausgelöste erhöhte Atemtätigkeit, kann die Gasvorräte eines Tauchers schnell zur Neige bringen – neben anderen Folgen, die wir weiter unten besprechen werden. Und unser Flucht-Kampf-Reflex ist beim Tauchen grundsätzlich wenig hilfreich.

Totraum

Der Austausch von Luft und Kohlendioxid zwischen Atemgas und Blutbahn findet in den Lungenbläschen (Alveolen) statt, die sich am hinteren Ende des Atemtrakts ganz unten in der Lunge befinden. Um den Köper gänzlich zu verlassen, muss das CO2 von den Alveolen durch die Bronchien, die Luftröhre, und die Hohlräume im Kopf passieren, bevor es ausgeatmet wird.

Diese Passagen werden kollektiv als Totraum bezeichnet. Sie leisten keinen Beitrag zum Gasaustausch, und das nach dem Ausatmen in ihnen verbleibende Gas wird im nächsten Atemzyklus wieder eingeatmet, einschließlich des Kohlendioxids. Das durchschnittliche Volumen des anatomischen Totraums liegt bei etwa 150 ml, während das Atemzugvolumen (d.h. das Luftvolumen, das pro Atemzug in die und aus den Lungen strömt), im Ruhezustand bei etwa 500 ml liegt. Dies bedeutet, dass wir bei jedem Atemzug etwa 30% der kohlendioxidreichen Luft, die unsere Alveolen verlassen hat, wieder einatmen. Wenn wir tiefer atmen, entweder bewusst oder bei körperlicher Belastung, wird dieser Anteil geringer.

Beim Tauchen vergrößert sich der Totraum um das Volumen der Kammer der zweiten Stufe oder des Rebreather-Mundstücks. Dieser zusätzliche Totraum reduziert die Menge Kohlendioxid, die wir bei jedem Atemzug tatsächlich auszustoßen in der Lage sind.

Atemarbeit, Gasdichte und dynamische Kompression der Atemwege

Ein zweiter, wichtigerer Faktor, der beim Tauchen ins Spiel kommt, ist die Atemarbeit. Atemarbeit ist die physikalische Arbeit, die unsere Muskeln verrichten müssen, um Gas in die Lungen und wieder hinaus zu pumpen.

Diese Arbeit ist eine Funktion des Gas-Massenstroms – der physikalischen Masse der Gasmoleküle, die durch einen Querschnitt der Atemwege strömt, pro Zeiteinheit. Dieser Massenstrom wiederum ergibt sich aus drei weiteren Größen: der Atemfrequenz (wie schnell wir atmen), dem Atemzugvolumen (des je Atemzug ausgetauschten Gasvolumens), und der Gasdichte (der Masse des Gases je Volumeneinheit).

Unter normalen Umständen – wir atmen ungehindert unter Normaldruck an der freien Luft – verrichtet unser Zwerchfell diese Arbeit ohne Mühe. Wie auch beim Herzen handelt es sich beim Zwerchfell um einen effizienten und ausdauernden Muskel, der sehr wenig CO2 produziert und ein ganzes Menschenleben lang ohne Pause seine Arbeit verrichtet. Hierin unterscheidet er sich von anderen Muskelgruppen: Wir können beispielsweise nicht unbegrezt lange gehen oder Liegestütze machen.

Ungehindert unter Normaldruck an der freien Luft zu atmen beschreibt jedoch nicht unbedingt das, was wir beim Tauchen tun. Mit der Tiefe steigt der Umgebungsdruck, und somit die Gasdichte. Eine höhere Dichte bedingt einen höheren Massenstrom, und somit mehr Atemarbeit. Wenn die Atemarbeit den Bereich verlässt, für den das Zwerchfell optimiert ist, steigt die CO2–Produktion durch die Muskulatur drastisch an, und mit ihr auch das Risiko einer Hyperkapnie.

Dieser Effekt wird durch die so genannte dynamische Kompression der Atemwege verstärkt. Unsere Atemwege sind keine steifen Röhren, sondern elastische Schläuche. Aufgrund von Reibung an den Innenwänden dieser Schläuche erzeugt ein hoher Gas-Massenstrom ein Druckgefälle, welches den Durchmesser der Atemwege verringert und somit den Luftstrom reduziert. In der Praxis ähnelt dieser Effekt einem Asthma-Anfall. In einer im Jahre 2003 veröffentlichten Studie haben die Forscher Enrico Camporesi and Gerardo Bosco gezeigt, dass die maximale Gaszufuhr nach Volumen (bei Luft) auf einer Tiefe von 30 Metern etwa halb so hoch ist wie an der Oberfäche.

Die Tauchausrüstung

Neben der internen Last durch die Bewegung dichter Gase in unseren Atemwegen spielt beim Tauchen außerdem die durch die Ausrüstung erzeugte externe Last ein Rolle. Unsere Atemmuskulator muss nämlich nicht nur Gas hin- und herschieben, sondern außerdem die für die Betätigung der mechanischen Teile der zweiten Stufe benötigte Energie bereitstellen. Hinzu kommt, dass das Mundstück buchstäblich einen Engpass darstellt: Luft durch eine kleine Öffnung zu saugen kostet mehr Energie als durch eine große. Dies lässt sich leicht überprüfen, indem man versucht, während eines gemütlichen Spaziergangs ein paar Minuten lang durch einen Strohhalm zu atmen.

Beim Tauchen mit wiederum ist die bewegte Gasmenge deutlich gröißer als beim Tauchen mit offenem Gerät: Nicht nur Lungen und Atemwege, sondern der gesamte Kreislauf des Rebreathers ist mit Gas gefüllt, das transportiert werden will. Der Gaswäscher fungiert als zusätzliche Hemmschwelle, und die Lungen des Tauchers sind nach wie vor die einzige verfügbare Pumpe. Die Minimierung der Atemarbeit ist daher ein wichtiges Ziel bei der Konstruktion von Rebreathern, und Taucher sind angehalten, in punkto Gasdichte noch konservativer zu sein, als die es mit offenem Gerät wären.

Empfehlungen zur Begrenzung der Gasdichte

In Anbetracht der zusätzlichen Atemarbeit empfehlen Gavin Anthony and Simon Mitchell in einer Studie eine Begrenzung der Gasdichte auf 5 g/l, mit einer harten Obergrenze von 6 g/l. Dies entspricht Tauchtiefen von 29 bzw. 37 Metern für Luft und Nitrox. Diese Grenzwerte haben jedoch noch keinen allgemeinen Einzug in die Ausbildungsstandards der Verbände gefunden. Die gängige Maximaltiefe beim Sporttauchen liegt bei 40 Metern. Beim Dekompressionstauchen ziehen einige Verbände die Grenze noch tiefer, bei 55 Metern für Luft, wo eine Gasdichte von knapp 8,4 g/l erreicht wird.

Notfälle

Im Normalbetrieb können die meisten der oben genannten Faktoren weitgehend unbemerkt bleiben. Wenn wir jedoch mehr Arbeit verrichten müssen und der Bedarf des Stoffwechsels ansteigt, beispielsweise bei Strömung auf Tiefe oder wenn wir einem Tauchpartner Hilfe leisten müssen, können sie sich plötzlich bemerkbar machen und eine unter ansderen Umständen leicht zu bewältigende Situation zu einem echten Problem eskalieren lassen.

Hier endet der zweite Teil unserer kleinen Reihe. Im dritten Teil wird es um Gegenmaßnahmen gehen – Fertigkeiten und Verfahren, mit denen sich die CO2-Belastung im Rahmen halten lässt. Bleibt dran, und bleibt sicher!


Der Autor

Tim Blömeke unterrichtet Tech- und Sporttauchen in Taiwan und auf den Philippinen. Er ist Autor und freier Übersetzer, sowie Mitglied des Redaktionsteams von Alert Diver. Er taucht einen Fathom CCR. Im Netz erreicht man ihn über seinen Blog und auf Instagram.

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