Riskiert man durch das Freitauchen nach dem Gerätetauchen eine Dekompressionskrankheit?

Sporttaucher gehen manchmal am selben Tag Gerätetauchen und Freitauchen. Einige machen sich Sorgen, dass das Freitauchen nach dem Gerätetauchen das Risiko einer Dekompressionskrankheit (DCS) erhöht. Sie befürchten, dass wiederholtes Ab- und Aufsteigen das endgültige Ziel der venösen Gasembolie -oder der Bläschen- die sich möglicherweise nach dem Gerätetauchen im Blut befinden, ändern kann und sie als Taucher anfälliger für eine DCS werden. Ein weiterer Grund für die Besorgnis ist die Möglichkeit, dass durch Freitauchgänge die Menge des nach dem Gerätetauchen bereits vorhandenen gelösten Inertgases im Körper weiter zunimmt und so die Voraussetzungen für eine DCS geschaffen werden. Kann man aber beim Freitauchen überhaupt eine DCS bekommen?

Durch eine modelhafte Darstellung des DCS-Risikos nach einem Freitauchgang eines Menschen konnte ein hypothetisches Szenario entwickelt werden, demzufolge eine DCS nach nur einem einzigen Extremtauchgang auftreten könnte. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass das Freitauchen die Mechanismen auslöst, die zu einer DCS führen. Die kumulierten Auswirkungen vieler wiederholter Tauchgänge mit kurzen Oberflächenpausen könnten theoretisch die Voraussetzungen für die Bildung von venösen Gasemboli schaffen. Bis jetzt gibt es jedoch wenig Berichte darüber, dass bei Freitauchern Bläschenbildung beobachtet wurde. Manche Leute sind der Ansicht, dass sich die DCS beim Freitauchen von der beim Gerätetauchen unterscheidet und dass sie unabhängig von venösen Gasemboli entstehen kann.

Es gibt tatsächlich Berichte über DCS-ähnliche Symptome bei Freitauchern. Symptome von Hirnschäden wurden bei Extremtauchern wie Erntearbeitern, Speerfischern mit Scootern und Freitauchern, die wiederholt sehr tief tauchten, festgestellt. DCS kann eine mögliche Ursache dieser Symptome sein, aber andere Ursachen sind ebenso denkbar, z.B. Sauerstoffdepletion, Hirnblutungen (aufgrund der extremen Blutdruckveränderungen, zu denen es beim Freitauchen kommt), arterielle Gasemboli, die durch Lungenriss in extremer Tiefe entstanden sind, wiederholte Mikroverletzungen des Gehirns etc. Auch bereits vorhandene medizinische Leiden wie z.B. eine Mikroangiopathie können eine Rolle spielen.

Egal ob nun beim Freitauchen selbst venöse Gasemboli gebildet werden oder nicht, die Sorge, dass es beim Freitauchen nach dem Gerätetauchen zu einer Umverteilung der Gasemboli kommt, ist nachvollziehbar. Das Risiko hierbei ist jedoch sehr gering. Nichtsdestotrotz, und obwohl Unklarheit über die genauen Ursachen herrscht, wurden neurologische Unfälle beim extremen Freitauchern bereits beobachtet und können daher nicht ignoriert werden.

Ist eine DCS beim Freitauchen ein echtes Risiko?

Wong: Es gibt tatsächlich das Risiko einer DCS, jedoch nur beim extremen Freitauchen. Klinische Anzeichen und Symptome wurden bei Wettkampftauchern, kommerziellen Erntearbeiterinnen in Japan (Ama-Taucherinnen), Freizeit-Speerfischern in Australien und Spanien sowie bei den Perlentauchern im Tuamotu Archipel festgestellt. Bei den Ama-Taucherinnen treten die Symptome nie am ersten Tag der Tauchwoche auf und nur nachdem mindestens 3,5 bis 4 Stunden lang auf Tiefen von über 20 Meter mit Oberflächenpausen, die kürzer als die Tauchzeit waren, getaucht wurde. Daraus lässt sich schließen, dass ein Faktor bei einer DCS die Stickstoffanreicherung ist.

Venöse Gasbläschen wurden sowohl bei den japanischen Ama-Taucherinnen (K. Kolshi 2010, pers. Mitt.) als auch bei Freitauchern festgestellt, die mehrere Tauchgänge auf 47 Meter machten und Sauerstoff zur Dekompression atmeten (K. Huggins 2006, pers. Mitt.). Selbstverständlich bedeutet die bloße Entdeckung von Bläschen noch nicht, dass es zu einer DCS kommt, auch wenn die Möglichkeit dazu besteht. Ein offenes Foramen ovale war vermutlich bei einem Taucher, der zwischen 10 bis 12 Tauchgänge auf 10 bis 18 Meter von jeweils 60 bis 120 Sekunden mit Oberflächenpausen von 5 bis 6 Minuten gemacht hatte, einer der Faktoren, die zu einer DCS führten. Zwei Stunden nach seinem letzten Tauchgang begann er an Schwindel, Sehstörungen, einem Engegefühl in der Brust und Taubheit in der rechten Gesichtshälfte zu leiden. Es scheint, dass die Tauchgänge, die er gemacht hatte ausreichend dafür waren venöse Gasemboli zu produzieren, die dann aufgrund des offenen Foramen ovale zu Symptomen führten.1

Pollock: In der Literatur sind anekdotische und retrospektive Daten zu finden, die einer DCS-Diagnose entsprechen. Ein kürzlich unternommener Versuch zur modellhaften Darstellung des Risikos führte zu dem Schluss, dass dieses bei Tauchgängen auf weniger als 101 Meter vernachlässigbar ist, dann jedoch als steigende Funktion der Tiefe solange zunimmt, bis die Tiefe ausreicht um bei rund 229 Metern durch einem Kollaps der Luftwege die Aufnahmefähigkeit der Lunge von Gasen einzuschränken.2 Das Ausmaß der Gefahr bleibt unklar, jedoch ist das absolute Risiko für Freitaucher vermutlich sehr gering, vor allem dann, wenn Oberflächenpausen mit Umsicht kalkuliert und eingelegt werden.

Erhöht sich beim Freitauchen nach dem Gerätetauchen das Risiko einer DCS?

Wong: Freitauchen nach dem Gerätetauchen kann das Risiko einer DCS erhöhen, Beweise hierfür gibt es allerdings kaum. Der klassische Fall wurde von Paulev dokumentiert, der unter Übelkeit, Schwindel, Rülpsen, Hüft- und Knieschmerzen, Schwäche, Missempfindungen und Seheintrübungen litt, nachdem er fünf Stunden lang wiederholt Freitauchgänge auf 20 Meter unternommen hatte. Seinen Freitauchgängen ging ein 8-minütiger Aufenthalt bei 20 Metern als Assistent in einer Druckkammer voraus.3 Es wird außerdem von drei ähnlichen DCS-Fällen berichtet, bei denen die Taucher vor dem Freitauchen dem Druck in einer Druckkammer ausgesetzt waren.

Pollock: Wenn vor einem Freitauchgang mit komprimiertem Gas getaucht wird, erhöht sich sicherlich das theoretische Risiko. Bei einer hohen Konzentration von Inertgas im Gewebe nach Tauchgängen mit komprimiertem Gas kann der Effekt des Freitauchens bedeutsam sein. Während dies nicht durch Experimente bewiesen ist, können Bläschen, die nach einem Tauchgang mit komprimiertem Gas entstanden sind zu empfindlicherem Gewebe wandern wenn sie beim Freitauchgang vorrübergehend komprimiert werden. Ebenso könnte der physiologische Stress des Freitauchens das pulmonale Shunting steigern und damit das Risiko bzw. die Frequenz der Bläschen erhöhen, die in den arteriellen Kreislauf gelangen. Die Gefahr könnte zu Beginn des Freitauchgangs am größten sein wenn sowohl die Größe der Bläschen als auch die körperliche Anstrengung relativ hoch sind bzw. am Ende des Tauchgangs, falls das Shunting immer noch gesteigert ist. Es gibt jedoch, wie gesagt, keine Beweise dafür, dass diese Faktoren zu Verletzungen führen. Es ist schwierig eine so relativ seltene Krankheit wie DCS zu untersuchen; die Untersuchung einer zweiten seltenen Krankheit, die zu dieser ersten hinzukommt, gestaltet sich demnach noch um einiges schwerer.

Wie sehen neurologische Symptome bei Freitauchern aus?

Wong: Symptome, die nach dem Freitauchen auf treten, scheinen das zentrale Nervensystem häufiger anzugreifen als Symptome nach dem Gerätetauchen. Die häufigsten sind Übelkeit, Gleichgewichtsstörungen, Erbrechen, Missempfindungen, Muskelschwäche und Lähmung. Weitere sind eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit, Lethargie, Sprachstörungen und Bewusstseinsveränderungen. Muskel-Skelett- oder Gelenkschmerzen sind selten.

Pollock: Die neurologischen Symptomen, die von Freitauchern beschrieben werden, sind von kurzer Dauer. Das könnte mit den niedrigeren Gasvorkommen in Zusammenhang stehen, die beim Freitauchen vorkommen und mit der beim Freitauchen schneller auftretenden Kompression und Dekompression. Dies verleitet dazu, Dekompressionsgefahren anhand der Unmengen an Daten über komprimiertes Gas verstehen zu wollen. Diese Daten geben jedoch bei den für Freitaucher normalen hohen Ab- und Aufstiegsraten von rund 2 Metern pro Sekunde wenig her.

Wie hoch ist das Risiko von neurologischen Unfällen beim Freitauchen und wie kann man es eindämmen?

Wong: Zu den Faktoren, die für gewöhnlich neurologische Symptome auslösen, gehören Freitauchgänge auf über 20 Meter, wiederholtes Tauchen innerhalb eines Zeitraums von drei oder mehr Stunden und kurze Oberflächenpausen. Wenn die Zeit, die in der Tiefe verbracht wird, doppelt so lange ist wie die Oberflächenzeit, bestünde auch schon bei wiederholten Tauchgängen in weniger als drei Stunden das Risiko einer DCS. Um ein solches erhöhtes DCS-Risiko zu vermeiden, sollten Freitaucher die Anzahl ihrer wiederholten Tauchgänge limitieren und die Oberflächenpausen länger als die Tauchzeiten gestalten.

Pollock: Neurologische Störungen beim Freitauchen können von einem hypoxischen Bewusstseinsverlust, von einem durch Dekompression herbeigeführten Anfall oder anderen Problemen herrühren. Eine ganze Reihe von Strategien sollte zur Reduzierung der Gefahr angewendet werden.4 Zunächst einmal müssen Freitaucher das Hyperventilieren vor dem Tauchgang verstehen und limitieren. Das funktioniert zwar, wenn man die Dauer des Luftanhaltens verlängern will, kann aber die normalen Mechanismen zum Schutz vor Bewusstseinsverlust abschalten. Freitaucher sollten nicht zu viel Gewicht mit sich führen und bei rund 5 Metern oder bei tieferen Tauchgängen auch tiefer mit leerer Lunge eine neutrale Tarierung erreichen.

Entscheidend ist auch, dass die Tauchgänge angemessen überwacht werden, so dass bei Zwischenfällen schnell reagiert werden kann. Eine direkte Überwachung durch einen oder mehrere Partner sollte während des Freitauchgangs und 30 Sekunden lang danach erfolgen, damit sichergestellt ist, dass das Bewusstsein stabil ist. Das Support-Netzwerk wird aufwändiger je tiefer die Tauchgänge werden und je mehr Komplikationen wie z.B. geringe Sichtweiten, auftreten. Automatische Auftauchhilfen haben das Potential das Risiko für Leib und Leben unter verschiedenen Bedingungen zu verringern. Das Risiko für eine DCS reduziert sich, wenn man Freitauchen und Gerätetauchen trennt und zwischen den Tauchgängen Mindestoberflächenpausen einhält. Die Oberflächenpausen sollten zunächst doppelt so lange wie die Tauchzeit sein und dann entsprechen der Tauchtiefe zunehmen.

Über den Autor

Dr. Petar Denoble, M.D., D.Sc., als Forschungsdirektor von DAN Amerika, hilft bei der Entwicklung neuer Studien über die Tauchsicherheit. Er betreut laufende Studien und überwacht deren Fortschritte. Derzeit leitet er die Projekte Dive Exploration, Die DAN-Datenbank über Unfälle, Verletzungen und Todesfälle und die Studie über Das Foramen Ovale(PFO).

Lerne die Experten kennen

Neal W. Pollock, (Ph.D.), ist Forschungsdirektor bei DAN und Forschungsmitarbeiter des Center for Hyperbaric Medicine and Environmental Physiology am Duke University Medical Center in Durham, N.C. (USA).

Robert M. Wong, (M.D.), ist Mitglied des Australian and New Zealand College of Anaesthestists, war Narkosefacharzt am Royal Perth Hospital und medizinischer Direktor der Abteilung für Tauchen und Überdruckmedizin am Fremantle Hospital in Australien. Er ist tauchender medizinischer Berater der australischen Perlenindustrie.

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