Schmerzhaftschon
F: Ich bin Tauchanfänger und als solcher finde ich Seeigel unwiderstehlich. Ist es richtig, dass Seeigelstiche wehtun können?
A: Ja, aber nicht alle Verletzungen durch Seeigel sind gleich. Viele Seeigelarten haben lange Nadeln, die kaum in die Haut eindringen können. Sogar einige der Seeigel mit dünneren Nadeln, die in die Haut eindringen, führen nicht unbedingt zu großen Reizungen. Einige Wunden können jedoch schwerwiegend sein. Dr. Edgar Maeyens, einer der Ärzte, an die DAN Patienten überweist, spricht hier über die schmerzhafteren Aspekte von Seeigelstichen.
Seeigel sind stachelige Kreaturen, die man auf der ganzen Welt findet. Das englische Wort für Seeigel lautet beispielsweise „sea urchin“, wobei sich das Wort ‘urchin’ von dem mittelenglischen Wort ‘herichon’ ableitet (was wiederum aus dem Mittelfranzösischen übernommen wurde). ‘Herichon,’ bedeutet auf Deutsch Igel –auf Englisch heißen die Tiere also auch wie die runden, stacheligen Kreaturen, denen sie so ähnlich sehen.
Beim kugelförmigen Panzer des Seeigels spricht man vom Körper, auf Englisch vom ‘test’. Die Durchschnittsgröße eines erwachsenen Exemplars ist abhängig von der Spezies (die Körpergröße ist je nach Stachel- bzw. Beinlänge anders, wobei die Größe des einen nicht von der Länge der anderen abhängig ist), der Körper kann jedoch zwischen 5 und 10 cm groß sein. Die Stacheln der Seeigel können unterschiedliche Längen haben, wobei bei einigen der Arten mit längeren Stacheln die Stacheln bis zu 41 cm lang sind. Die meisten Stacheln sind jedoch sehr viel kürzer.
Seeigel gehören ebenso wie Seegurken, Seelilien, Seesterne und Schlangensterne zum Stamm der Stachelhäuter (Echinodermata). Ein Seeigel bewegt sich mit Hilfe von hunderten winzigen, durchsichtigen und klebrigen “Röhrenfüße”.
Die Stacheln können sich ebenfalls bewegen. Seeigelstacheln haben eine Einkerbung, die wie bei einem Kugelgelenk über ein Knötchen, einen Auswuchs des Seeigelpanzers passt. Muskelfasern am Knötchen erleichtern die Bewegung: wenn ein Stachel stimuliert wird, sorgt nervale Innervation der umliegenden Stacheln dafür, dass sich alle gemeinsam bewegen.
Alle Stacheln sind von einer dünnen Schicht Epithel bzw. Haut überzogen. Die Stacheln können hohl oder massiv sein; in einigen Stacheln und in der Epithelschicht sind Toxine. Die folgenden giftigen Substanzen wurden in Seeigeln nachgewiesen: Histamin, Serotonin, Steroide, Glykoside, cholinerge und Bradykinin-ähnliche Substanzen. Sie alle können Tauchern, die tief gestochen wurden eine Reihe von Problemen verursachen, angefangen von leichten Schmerzen über Schwellungen bis hin zum Schock. Vor allem Bradykinin verursacht sehr starke Schmerzen.
Zwischen den Stacheln befinden sich weitere Gebilde, die sogenannten Pedicellarien. Diese Pedicellarien sind winzige stechende Gebilde, die zur Verteidigung und zum Erbeuten von Nahrung dienen. Ebenso befinden sich zwischen den Stacheln fünf Doppelreihen Röhrenfüße mit Saugnäpfen, die bei der Fortbewegung helfen, Nahrung sammeln und sich am Meeresboden festkrallen. Wie alle Stachelhäuter haben auch Seeigel kein Gehirn.
Seeigel sind die ultimativen Algenfresser des Ozeans: sie fressen alle Algentypen, die sie finden können. Ebenso fressen sie pflanzliche und tierische Stoffe einschließlich Seetang, verwesende organische Stoffe, tote Fische, Schwämme, Rankenfußkrebse und Muscheln.
Seeigelstiche
Wenn du dich an einem Seeigel stichst, dann fühlst du zunächst einmal nur geringe Beschwerden. Innerhalb von 15-30 Minuten kann es jedoch zu Schwellungen, Rötungen und Schmerzen kommen. Die Schmerzen können schnell zunehmen und mehrere Stunden andauern sofern sie nicht behandelt werden.
Und Vorsicht mit den Stacheln: sie sind von Natur aus brüchig und wenn sie brechen, dann bleiben oft Überreste in der Haut oder tiefer im Fleisch stecken. Dein Körper kann Reste von Stacheln resorbieren, wenn kein chirurgischer Eingriff erfolgt. Teilweise können Stachel auch spontan von der Haut ausgestoßen werden. Wenn man mehrmals oder häufiger gestochen wird, kann es zu einer verspäteten Hautentzündung mit kleinen Knötchen kommen. Diese Knötchen fühlen sich fest an und sind entweder fleischfarben oder leicht violett.
Stiche in die kleinen Gelenke der Hände oder Füße können zu einer besonderen Komplikation, d.h. zu einer Sehnenscheidenentzündung führen. Diese Entzündung der Sehne oder des Membranbelags des Gelenks entsteht durch die Reste der Stacheln, die direkt in diese Gewebe eingedrungen sind. Eine Sehnenscheidenentzündung kann frühzeitig auftreten, aber auch erst Wochen später. Wenn du die Vermutung hast, dass ein Stachel ins Gelenk eingedrungen ist, dann warte nicht lange: jede Verzögerung bei der Behandlung kann zu dauerhaften Gelenkschäden führen. Die sofortige medizinische Behandlung ist Pflicht.
Wie erkennt man eine Sehnenscheidenentzündung? Außen schwillt das Gelenk an, wird rot und schmerzt. Wenn man sich das Gelenk von innen ansieht, können mit Hilfe von Röntgenaufnahmen Überreste der Stachel festgestellt werden. Weniger häufige Reaktionen auf einen Stich sind: Übelkeit, Atemprobleme, Muskelschwäche, Ataxie (die Unfähigkeit Muskelbewegungen zu koordinieren), Ohnmacht und Parästhesien (Kribbeln oder ein Gefühl des „Ameisenlaufens“), Dyspnoe (Atemnot), Hypotension (niedriger Blutdruck), Muskelschwäche und sogar Tod.
Als ungewöhnliche und verspätete Komplikation können sich auf der Haut Granulome (Knötchen) bilden. Diese Granulome entstehen höchstwahrscheinlich als eine Fremdkörperreaktion auf die Seeigelüberreste. Hierbei können die Nadel oder auch Schleim, Sand, Mikroben (Bakterien, Algen) oder Nadelreste mit Epithelgewebe bedeckt werden.
Die Behandlung von Stichen
- Behandle die Schmerzen indem du den betroffenen Bereich 30-90 Minuten lang in bis zu 45°C warmes Wasser hältst. Wiederhole diesen Vorgang zur Kontrolle der Schmerzen und zur Deaktivierung der Toxine so oft wie nötig.
- Entferne die Nadeln mit Hilfe einer Pinzette aus der Wunde. Da die Nadeln sehr leicht brechen, musst du besonders vorsichtig sein. Das kann sehr schwierig sein und möglicherweise wird medizinische Hilfe und eine lokale Betäubung nötig sein. (Achtung: nach einer lokalen Betäubung sollte kein heißes Wasser verwendet werden, da es aufgrund der fehlenden Schmerzempfindlichkeit zu Verbrennungen kommen kann). Es ist möglich, dass nicht alle Nadeln komplett entfernt werden können und dass Röntgenaufnahmen gemacht werden müssen um alle Überreste zu finden.
- Reinige die Wunde mit Wasser und Seife und wasche sie dann großzügig mit Süßwasser aus.
- Lass offene Wunden offen, d.h. schließe sie nicht mit Heftpflastern, denn so könnte sich die Wunde leichter entzünden.
- Gehe eine Woche später zur Nachsorge zu einem Arzt.
- Wenn Anzeichen für eine Entzündung oder eine allergische Reaktion auftreten, wie z.B. Eiter, Rötung oder Hitze, dann verwende Lokalantibiotika wie z.B. dreifach antibiotische Wundsalben und suche sofort einen Arzt auf.
- Beobachte deinen Körper bezüglich allergischer Reaktionen bzw. Entzündungen.
- Dein Arzt wird dir zur Bekämpfung der Entzündung wahrscheinlich Antibiotika zum Einnehmen empfehlen. Wenn sich die Entzündung verändert, nimm die Antibiotika mindestens noch fünf weitere Tage ein bis alle Anzeichen der Entzündung verschwunden sind. Dein Arzt wird dir das richtige Antibiotikum empfehlen. Lass deine Tetanusimpfung auffrischen, falls du das noch nicht getan hast.
- Lindere deine Schmerzen alle vier Stunden mit 1-2 Tabletten besonders starkem Paracetamol (Acetaminophen in den USA und dort z.B. in Tylenol®) und/oder alle sechs bis acht Stunden mit 1-2 Tabletten Ibuprofen (jeweils 200 mg; z.B. Advil®, Motrin®).
VER MEIDUN G von VER LETZUN GEN DURCH MEERE STIERE
- Vermeide es, das Tier zu berühren: das klingt einfach, ist es aber vielleicht nicht wenn deine Tarierung schlecht ist bzw. du bei schwierigen Bedingungen wie z.B. bei schlechter Sicht, Strömung, in begrenzten Räumen oder unter anderen Umwelteinschränkungen tauchst.
- Versuche nicht ein Meerestier anzufassen, zu provozieren, zu füttern oder zu ärgern. Beim Erforschen einer Felsspalte mit der Hand kann man leicht durch ein verstecktes Tier, das sich verteidigt, verletzt werden.
- Bemühe dich die perfekte Austarierung zu erreichen und sei dir immer bewusst, was sich gerade in deiner Umgebung befindet.
- Lass dich von einer Strömung nicht gegen ein festes Objekt drücken. Es könnte mit Meerestieren bedeckt sein.
- Trage Schutzkleidung.
- Bemühe dich herauszufinden welchen Tieren du möglicherweise begegnen könntest und informiere dich vor dem Tauchgang über ihre Eigenschaften und ihren Lebensraum. So kannst du deinen Tauchgang noch mehr genießen und dich gleichzeitig vor möglichen Verletzungen durch die Tiere, denen du begegnest, schützen
Über den Autor
Dr. Edgar Maeyens Jr. ist anerkannter Dermatologe, Dermatopathologe und dermatologischer Chirurg und wird häufig von Tauchern, Meeresbiologen und Weltreisenden bei Fragen zu Krankheiten und Beschwerden konsultiert, zu denen es durch Gefahren im Wasser oder bei Reisen in abgelegene Gebiete kommt.
Hast du ein Training gemacht?
Wüsstest du im Notfall, wie du einem Tauchbuddy, der von einem Meerestier verletzt wurde, am besten helfen kannst? Mache mit dem DAN First Aid for Hazardous Marine Life Injuries course einen gründlichen und interessanten Ausflug in das Thema.